Keitumer Predigten Traugott Giesen 13.04.2001
Karfreitag
Karfreitag und die Liebe Zusammenschau aus den Evangelien:
Sie nahmen ihn aber, und er trug sein
Kreuz und ging hinaus zur Stätte, die da heisst Schädelstätte,
auf Hebräisch Golgatha.
Dort kreuzigten sie ihn und mit ihm zwei
Übeltäter, ihm zur Rechten und zur Linken. Jesus sprach aber:
Vater vergib ihnen, denn sie wissen nicht, was sie tun. Und einer von ihnen
sprach zu Jesus: Gedenke an mich, wenn du in dein Reich kommst! Und Jesus
sprach zu ihm: Wahrlich, ich sage dir: Heute wirst du mit mir im Paradies
sein.
Es standen aber bei dem Kreuz Jesu seine
Mutter und seiner Mutter Schwester, Maria, die Frau des Klopas, und Maria
von Magdala.
Als nun Jesus seine Mutter sah und bei
ihr den Jünger, den er lieb hatte, spricht er zu seiner Mutter: Frau,
siehe, das ist dein Sohn!
Danach spricht er zu dem Jünger:
Siehe, das ist deine Mutter! Und von der Stunde an nahm sie der Jünger
zu sich.
Um die sechste Stunde kam eine Finsternis
über das ganze Land bis zur neunten Stunde,
und die Sonne verlor ihren Schein, und
der Vorhang des Tempels riss mitten entzwei.
Und Jesus rief laut: Eli, Eli, lama asabtani?
Das heisst: Mein Gott, mein Gott, warum hast du mich verlassen?
Danach, spricht er, damit die Schrift
erfüllt würde: Mich dürstet.
Da stand ein Gefäss voll Essig. Sie
aber füllten einen Schwamm mit Essig und steckten ihn auf ein Rohr
und hielten es ihm an den Mund.
Als nun Jesus den Essig genommen hatte,
sprach er: Vater, ich befehle meinen Geist in deine Hände! Und: Es
ist vollbracht! Damit neigte er das Haupt und verschied.
Der Hauptmann aber, der dabei stand, ihm
gegenüber, und das sah, sprach: Wahrlich, dieser Mensch ist Gottes
Sohn gewesen!
Heute ist der höchste Feiertag der
Liebe Gottes.
Also hat Gott die Welt geliebt, dass er
seinen Sohn sandte, auf dass alle, die an ihn glauben, nicht verloren gehen,
sondern das ewige Leben haben (Johannes 3, 16).
Was nicht geht, ist: Gott bringt sich
selbst das Opfer. Gott lässt seinen Sohn umbringen, damit dem Gesetz
Genüge getan ist. Das dann ja immer noch in Geltung wäre, göttlich
beglaubigt: Wir sind schuld, Gott muss uns strafen. Gott bleibt der Herr,
der Richter, der da oben. Und wir die Opfer seiner Verrechnungsart, die
ihm Dank schulden, dass er ein stellvertretendes Opfer annimmt. Dabei bleiben
wir ewig die Schuldigen, gegen Gott und dazu noch gegen Jesus, unsern Bruder,
den wir stellvertretend für uns alle getötet haben � sozusagen
dem Monstergott ein Opfer zugeworfen haben. � Das geht nicht.
Es ist anders: Also hat Gott die Welt
geliebt, dass er sich im Bild des Sohnes sandte. Gott kommt in Gestalt
des Jesus; der lebt vor, wie Gott zu uns ist, heilend, stärkend, nicht
verneinend, er liebt bis in den Tod. Dies Lieben ist Auferstehungsenergie,
die erhebt aus dem Tod, jetzt. Wer liebt, hat jetzt schon teil am ewigen
Leben.
Das Schritt für Schritt: Erst mal,
einige Merkmale der Liebe, die wir ja von Gott, von Jesus gelernt haben:
Die Liebe ist teuer aber umsonst. Sie ist nicht zu kaufen aber hat ihren
Preis.
Sie kostet Verzicht auf Gewalt. Denn Gewalt
bringt Furcht ein, bringt vielleicht Willfährigkeit aus Angst ein,
jedenfalls nicht Liebe.
Liebe kostet Geduld, Langmut, Grosszügigkeit
gerade mit den Fehlern des andern. Er soll sie nicht ablegen, weil ich
mir das wünsche, sondern weil er sie nicht mehr braucht.
Liebe kostet Anpassung an die Eigenheiten
und Grenzen des andern.
Liebe kostet Verzicht, nicht zu vergleichen,
nicht zu speichern, �es soll die Linke nicht wissen, was die Rechte tut.�
Es soll nichts getan sein, um etwas zu erlangen.
Liebe kostet Demut, den andern für
dessen Glück auch, wenn�s ihm nötig scheint, ziehen zu lassen.
Liebe lässt zu, des andern so bedürftig
zu werden, dass man Invalide wird ohne ihn.
Liebe kostet Mühe, Reibung, Kränkung,
Reue, Aggression, Phantasie.
Und alles, was die Liebe kostet, gibt
mir kein Anrecht auf den geliebten Menschen. �Du gehörst mir� darf
keiner sagen. Also auch wenn wir die Forderungen der Liebe erfüllen,
können wir doch keine Forderungen stellen. Die Liebe lässt sich
nicht kaufen. Sie ist ja auch nur wert, wenn sie umsonst ist, Wunder ist
eben.
Alle, fast alle seelischen Beschädigungen
kranken an dem verzweifelten und vergeblichen Versuch, durch irgendwelche
Handlungen Liebe zu erlangen und zu besitzen. Etwa durch Nettsein � man
ist zu nett, um vernünftige, klare Grenzen zu setzen (Bent Falk*),
oder man droht, erpresst, lässt zappeln.
Der lange Anlauf zum Thema Liebe ist an
Karfreitag nötig, weil genau diese Tricks auch in der Liebe zu Gott
nahe liegen. Wir meinen, uns Gottes Liebe durch gute Werke erkaufen zu
können, durch Verzicht, durch Glaube an Jesu Blut als Preis für
unser Heil. In christlichen Häusern hing das Bild mit dem geschundenen
Antlitz Jesu. Darunter stand: Das tat ich für dich � was tust du für
mich. � Ähnlich klingt�s in den meisten Passionsliedern, die darum
auch nicht mehr singbar sind. Sie machen ein schlechtes Gewissen � wir
leisten dafür ungeliebte, unfreiwillige Pflichten der Nächstenliebe
� ein schlechter Handel.
So würde uns Gott das Lieben nicht
lehren. Wenn er einen andern für uns leiden lässt, statt selbst
zu leiden, dann bleibt er ja der hohe Herr, der aus seiner Willkür
uns Vergünstigungen zusteckt, die von einem andern erlitten sind.
Aber es ist ja so gemeint: Gott geht selbst
ans Kreuz. �Ich und der Vater wir sind eins� sagte Jesus. Also lasst uns
�Gottes Sohn� verstehen als Zeichen für Identität. Gott tut alles,
um uns zu retten; nicht vor seiner Strafe rettet er uns, sondern uns vor
Selbstzerstörung aus falschem Gottesbild.
In Jesus tut Gott sein Werk, er liebt
bis in den Tod, zeigt uns damit die Tiefendimension der Liebe im Himmel
und auf Erden.
Liebe ist das Verlangen, mit dem andern
eins zu sein. Gottes Verlangen, mit uns eins zu sein im Leben und im Sterben,
praktiziert Jesus: Gott, die Liebe, mit uns in den Mühen des Alltags:
Zersorgt euch nicht. Gott weiss. Glaub an dein Gesundwerden, Glück
ist das Ziel der Wege Gottes auch mit dir. Und wenn es in den Tod wäre
� die Liebe ist bei dir. Jesu sieben Worte am Kreuz sind die pure Inbrunst
der Liebe.
�Herr vergib ihnen, sie wissen nicht,
was sie tun� � heisst: Gott trägt die Last mit, die du, Mensch, anstellst
mit Bösem. Du weisst nicht, was Gottbeschädigendes du damit tust.
�Heut nacht wirst du mit mir im Paradiese
sein.� � Das Sterben holt uns ins Paradies. Sterbend werden wir der Liebe
zu Ende geboren.
�Das ist deine Mutter, das ist dein Sohn.�
� Liebe ist das Verlangen, mit dem andern eins zu sein: So nehmt einander
an, sagt er zu denen unterm Kreuz. Jesus weist sie an einander: Lass sie
dir als Mutter gelten, als Frau, als Mann, als Sohn, als Tochter, als Schwester,
als Bruder.
�Mein Gott, warum hast du mich verlassen?�
� Liebe erleidet das Bedürftigsein, Liebe bleibt lange in der hingestreckten
Haltung � darin parallel zu Adam und Gott im Bild der Sixtinischen Kapelle
� das Hingestrecktsein macht unser Menschsein aus. Ich werde mit Gott ein
Ganzes bilden immerdar, diese Hoffnung ist auch im Durst.
�Mich dürstet�, Jesus-Gott lebt diesen
Schrei nach Erfüllung auch. Liebe ist ja das Verlangen, mit dem andern
eins zu sein. Sterben stellt Gott dar als Heimkehr ins Einssein: �In deine
Hände befehle ich meinen Geist� und: �Es ist vollbracht�, zeigen,
dass Gott Liebe ist, und dass Lieben Gottes Seinsweise ist � das ist vollbracht.
Also vollbracht ist auch die Klarstellung:
Gott liebt uns, weil er uns liebt. � Und ist kein anderes, weil im Leben
und im Sterben das wir zu wissen haben: Warum liebt er uns? Weil er uns
liebt.
Aber auch er kann unsere Liebe nicht kaufen.
Weil gekauft, sie ja nicht aus freien Stücken gewährt wäre.
Also kauft Gott unsere Anerkennung nicht, weder durch Belohnen, noch durch
Bestrafen, auch nicht durch Bezahlen des Jesus für unsere Sünden,
durchs Blut von Golgatha. Gott liebt uns, auch wenn wir ihm weh tun, im
Bild, ihn gekreuzigt haben.
Und lehrt uns damit, dass die Liebe tragen
kann, seine, unsere. Unser Lieben ist Gott geschehend. Also das Kind, erwachsengeworden,
gehen lassen und nicht mit Geldstreichung zur Heimkehr zwingen. Die erlittene
Blossstellung durch den Partner wohl zur Sprache bringen, sie aber tragen
und nicht rächen. Nach der abgewiesenen Entschuldigung noch mal und
noch mal bitten. Und sich was losreissen für andere in Not, immer
wieder.
Aber unser Lieben ist oft matt oder fahrig
oder ungeduldig oder gewalttätig. So kreuzigen wir die Liebe wieder
und wieder. Und Gott lässt nicht los, uns zum Vertrauen in die Liebe
zu locken. Das ist dann Auferstehung. Die Liebe ist stärker als der
Tod, als jedes Scheitern; darum auch werden wir mal sein wie die Träumenden,
unser Mund wird voll Lachens sein.
Bis dahin immer wieder Niederlagen der
Liebe, aber doch bleibt ein Sog hin zur Auferstehung. Gott kämpft
weiter als die Liebe, lässt die Welt nicht fallen � augenblicklich
machte der Kältestrom uns alle zu Eis.
Jesus ist das Bild Gottes, der Liebe,
die klar gewaltlos bleibt. �Die unausweichliche Bedingung der Liebe ist
ihre Ohnmacht. Die offen ist für den Schmerz der Zurückweisung
(B. Falk*). Und weil ja Gott Liebe ist (1. Johannes 4, 16), hält sich
Gott auch an diese Bedingung. Gott hat nicht mehr die Wahl, uns mit Macht
zu kommen. Schön ist das gesagt im 2. Timotheusbrief 2, 13: �Sind
wir auch untreu, so bleibt er doch treu, er kann sich nicht verleugnen.�
In Gestalt des Jesus und in Gestalt vieler liebender Menschen setzt Gott
zu, das ist die Macht der Liebe, die sich unterwirft dem Leid und die Furcht
austreibt. Das ist die wunderbare Art, wie Gott uns gut ist � Karfreitag
und immer. Amen.
* Bent Falk, Pfarrrrrer und Therapeut in Hellerup/Dänemark