Keitumer Predigten   Traugott Giesen   2. Advent  09.12.2001

Engel der Wärme

"Das einzige, worauf es ankommt, ist, dass wir darum ringen, dass Licht in uns sei." A. Schweitzer

"Das Volk, das im Finstern wandelt sieht ein großes Licht, und die da saßen im Schatten des Todes, denen scheint es hell." Jes. 9,1

"Der Herr ist mein Licht und mein Heil." Psalm 27,1

"In deinem Licht sehen wir das Licht." Psalm 36,10

"Brich mit dem Hungrigen dein Brot, und die im Elend ohne Obdach sind, führe ins Haus! Wenn du einen nackt siehst, so kleide ihn und entzieh dich nicht deinem Fleisch und Blut. Dann wird dein Licht hervorbrechen wie die Morgenröte, und deine Heilung wird schnell voranschreiten, und [a]deine Gerechtigkeit wird vor dir hergehen, und die Herrlichkeit des HERRN wird deinen Zug beschließen. Dann wirst du rufen und der HERR wird dir antworten. Wenn du schreist, wird er sagen: Siehe, hier bin ich." Jes 58,8f

"Werde licht, denn dein Licht kommt." Jes. 60,1

"Umgürtet euch und lasst eure Lichter brennen." Lukas 12,35

"Ich bin das Licht der Welt. Wer mir nachfolgt, wird das Licht des Lebens haben." Joh. 8,12

Die Welt ist voll Lichter und Geheimnisse, was verdeckst du sie dir mit deiner kleinen Hand?

Zu den Lichtern und Geheimnissen des Lebens gehört die Wärme, die innere Temperatur einer gutmütigen, warmen Lebensart. Anselm Grün, ein Benediktinermönch mit spiritueller Kraft, hat viele, den Christen einheizende Bücher geschrieben, eins heißt: "Fünfzig Engel für das Jahr". Er zählt auf den Engel der Zärtlichkeit und des Aufbruchs und der Ausgelassenheit und eben auch einen Engel der Wärme. Sagt man das nicht: "Es ist, als sei ein Engel durch den Raum gegangen"? - das sagt man doch, wenn ein Themenwechsel stattgefunden hat in einer Runde. Auf einmal schlug das Klima um: wo vorher nur Gerede hin und her war, ist plötzlich fröhliches und tröstliches Gespräch in Gang. Auch Wortkarge, wenig Vesprechende bekommen einen Redefluß und finden Interesse.

Es gibt viele schöne Begabungen, eine davon ist die Wärme. Erinnern wir uns an Menschen, die Wärme ausstahlten. Die uns mit Zuneigung begrüßten, schon beim ersten Bemerken. Oder die Lehrerin, die uns in Schutz nahm. Oder der Lehrer, der meine Zeichnung nicht verlachte. Oder die Großeltern, bei denen es nie Meckern gab; die einen sein ließen, wie man war. Oder einer, der einem das Fahrradflicken beibrachte, und man wurde zum Held. Oder dass eine Liebe zuletzt noch zu einer großen Wärme fand, man den Sterbenden schützte, ihm Linderung verschaffte, ihm Melodien summte, aus Kindheit und Jugendzeiten, und sein Gesicht glomm schön. Wärme ist nach Hause kommen, wo man nicht's erklären muß.

Auch kommt man nach Haus in seine Kirche, - nach einem langen Jahr oder nach Schicksal, setzt sich, und die Wärme der alten Worte, die schützenden Gesten sind wieder da. Und das eigene Herz wird einem warm. Oder wir stoßen im Nachlass auf eine Schatulle unserer Mutter aus deren Verlobungszeit, fassen die Feldpostkarten, die unsere Eltern sich geschrieben haben, spüren hinter den formellen, für alle Augen ja offen zutage liegenden Worten deren Not, an sich zu halten. Und wenn wir den Christbaumschmuck auspacken, das Glöckchen ist wieder da, mit dem wir als Kinder gerufen wurden, - und es steigt die Wärme von Dank und Wehmut auf.- Ein Glück, das Glück, dass es einem warm ums Herz wird.

Manchmal versteckt sich der Engel der Wärme auch in einem Hund. Der legt einem unsäglich sanft seine Schnauze aufs Bein. Und wenn das nicht anschlägt, etwas gebieterisch seine Pfote. Ist das der Kern des Wämeengels? Er weiß um deine Güte. Deine Herzenswärme, du bezweifelst sie ja oft, du hältst dich für menschensatt, für hochfahrend leicht und nachtragend, - aber eine Stimme redet dich an, im Bettler oder in der zähen Bescheidenheit der alten Mutter, oder in der zu Herzen gehenden Fernsehsendung, - und du entdeckst dir dein Weichsein, deine Wärme. du lässt Wehmut kommen und gehen, vielleicht auch Tränen. du bist nicht schlecht. Auch in dir ist Wärme. Du, ein kleiner Ofen, manchmal.

Luther sagte mal "Gott ist ein glühender Backofen voll Liebe." Was meint: der Erschaffer der Welt ist ja auch dein Betreiber. Und gibt dir von seiner Wärme ab. Doch du zitterst manchmal innen, spürst, dass deine Gefühle frieren, weißt nicht, mit wem du sie wärmen kannst, selbst dein liebster Mensch ist manchmal gerade mit was anderem beschäftigt und merkt dein Zittern, dein Bedürftigsein nicht, und dann ziehst du mehr Schutzschicht über deine Gefühle, lässt keinen an dich ran, kommst keinem nah, - und die Welt wird gerade wieder ein Stück eisig. Manche Seelen setzten aus vielem Schmerz Kältepanzer an; ob ihnen auf dieser Erde noch mal Frühling wird?

Advent erzählt von dieser wärmenden Flamme, Gott genannt, wie er uns näher kommt, uns ein Mensch wird, der leuchtende schützende, wärmende Jesus. Der beschafft uns ein Stück Glut, eine Flamme Heiligen Geistes. Wir finden wieder zueinander, ungläubig merken wir uns noch lebendig, noch wärmeleitend. Der Glutkern unserer Gemeinschaft ist ja das Kind in der Krippe. Es erzählt von dem Herz der Welt, dass es eben ein glühender Backofen von Liebe ist. Und in Milliarden Wärmepunkte von Leben seine Energie abstrahlt. Du merkst es doch auch. Du siehst die schillernde Feder im Schlamm, sie rührt dich. Du liest sie als Wink von Sinn. Sammle die Muschel mit dem Schildpatt als Denkzeug deines Strandspaziergangs mit dem silbernen Licht. Lade wieder mal eine Runde Menschen zu Kerzenschein und lösenden Gesprächen, lass dir Gedichte gefallen. Heb' den Moment ans Licht, diesen Schatz der Möglichkeiten, Wärme zu erzeugen. Der Augenblick ist dein, dass du gestärkt wirst mit Lust zu sein, du zu sein, du intensiver Mensch. Bitte, merke deine Wärme, deine Seele, dein Gewissen, deine Körperfreude, bleib bei dir, - leg' deine Arme über deine Brust: "Von guten Mächten wunderbar geborgen" - sag' es dir: merk' deine Wärme, halt' sie erst mal bei dir, denk' nicht weg zu anderen, - wie du ihnen gut zureden oder sie anfeuern willst, sondern bleib bei dir, merk dich als kleinen Ofen der Liebe Gottes. Die Wärme in dir bürgt dir: Ja, gut, ich zu sein.

Und dann hast du auch wieder Lust, Wärme auszustrahlen, warte nur balde. Leb' nicht über deine Kräfte. Du musst nicht freundlich grüßen, wenn du keine Neigung dazu hast. Morgen oder nächste Woche kommt die Neigung schon wieder, wenn du genug dein Ich gegrüßt und geachtet hast. Solange du deine Betrübnis nicht behandelst, wird sie vor dir herblaken wie eine trübe Funzel. Tu dir Gutes, dann hilfst du andern auch zu Gutem, und von dir wird wieder Wärme ausgehen. Wenn du dir von Gottes Wärme nimmst in Gestalt von Freude, wie sie dir erreichbar und bekömmlich ist, dann wirst du andern auch Quelle von Freude, - ganz von selbst, wirst mit andern schnell warm und sie mit dir. Dann wirst du ein Engel der Wärme und triffst Engel der Wärme, - besonders im Advent, da die Wärme Gottes in unsere Herzen ankommen will.

Wir schmücken jetzt unsere Zimmer, unsere Gärten und das Wohnzimmer der Gemeinschaft, die Kirche auch. Schmücken wir uns auch innen, dass der Engel der Wärme gern bei uns einkehre. Amen.

Gebete

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