Keitumer Predigten   Traugott Giesen   20.01.2002

Die Schöpfung bleibt ein Wunder

Bibeltext:

1. Mose,1
1 Am Anfang schuf Gott Himmel und Erde.
2 Und die Erde war wüst und leer, und es war finster auf der Tiefe; und der
Geist Gottes schwebte auf dem Wasser.
3 Und Gott sprach: Es werde Licht! Und es ward Licht.
4 Und Gott sah, dass das Licht gut war. Da schied Gott das Licht von der
Finsternis
5 und nannte das Licht Tag und die Finsternis Nacht. Da ward aus Abend und
Morgen der erste Tag.
6 Und Gott sprach: Es werde eine Feste zwischen den Wassern, die da scheide
zwischen den Wassern.
7 Da machte Gott die Feste und schied das Wasser unter der Feste von dem Wasser
über der Feste. Und es geschah so.
8 Und Gott nannte die Feste Himmel. Da ward aus Abend und Morgen der zweite Tag.
9 Und Gott sprach: Es sammle sich das Wasser unter dem Himmel an besondere Orte,
dass man das Trockene sehe. Und es geschah so.
10 Und Gott nannte das Trockene Erde, und die Sammlung der Wasser nannte er
Meer. Und Gott sah, dass es gut war.
11 Und Gott sprach: Es lasse die Erde aufgehen Gras und Kraut, das Samen bringe,
und fruchtbare Bäume auf Erden, die ein jeder nach seiner Art Früchte tragen, in
denen ihr Same ist. Und es geschah so.
12 Und die Erde ließ aufgehen Gras und Kraut, das Samen bringt, ein jedes nach
seiner Art, und Bäume, die da Früchte tragen, in denen ihr Same ist, ein jeder
nach seiner Art. Und Gott sah, dass es gut war.
13 Da ward aus Abend und Morgen der dritte Tag.
14 Und Gott sprach: Es werden Lichter an der Feste des Himmels, die da scheiden
Tag und Nacht und geben Zeichen, Zeiten, Tage und Jahre
15 und seien Lichter an der Feste des Himmels, dass sie scheinen auf die Erde.
Und es geschah so.
16 Und Gott machte zwei große Lichter: ein großes Licht, das den Tag regiere,
und ein kleines Licht, das die Nacht regiere, dazu auch die Sterne.
17 Und Gott setzte sie an die Feste des Himmels, dass sie schienen auf die Erde
18 und den Tag und die Nacht regierten und schieden Licht und Finsternis. Und
Gott sah, dass es gut war.
19 Da ward aus Abend und Morgen der vierte Tag.
20 Und Gott sprach: Es wimmle das Wasser von lebendigem Getier, und Vögel sollen
fliegen auf Erden unter der Feste des Himmels.
21 Und Gott schuf große Walfische und alles Getier, das da lebt und webt, davon
das Wasser wimmelt, ein jedes nach seiner Art, und alle gefiederten Vögel, einen
jeden nach seiner Art. Und Gott sah, dass es gut war.
22 Und Gott segnete sie und sprach: Seid fruchtbar und mehret euch und erfüllet
das Wasser im Meer, und die Vögel sollen sich mehren auf Erden.
23 Da ward aus Abend und Morgen der fünfte Tag.
24 Und Gott sprach: Die Erde bringe hervor lebendiges Getier, ein jedes nach
seiner Art: Vieh, Gewürm und Tiere des Feldes, ein jedes nach seiner Art. Und es
geschah so.
25 Und Gott machte die Tiere des Feldes, ein jedes nach seiner Art, und das Vieh
nach seiner Art und alles Gewürm des Erdbodens nach seiner Art. Und Gott sah,
dass es gut war.
26 Und Gott sprach: Lasset uns Menschen machen, ein Bild, das uns gleich sei,
die da herrschen über die Fische im Meer und über die Vögel unter dem Himmel und
über das Vieh und über alle Tiere des Feldes und über alles Gewürm, das auf
Erden kriecht.
27 Und Gott schuf den Menschen zu seinem Bilde, zum Bilde Gottes
schuf er ihn; und schuf sie als Mann und Frau.
28 Und Gott segnete sie und sprach zu ihnen: Seid fruchtbar und mehret euch und
füllet die Erde und machet sie euch untertan und herrschet über die Fische im
Meer und über die Vögel unter dem Himmel und über das Vieh und über alles
Getier, das auf Erden kriecht.
29 Und Gott sprach: Sehet da, ich habe euch gegeben alle Pflanzen, die Samen
bringen, auf der ganzen Erde, und alle Bäume mit Früchten, die Samen bringen, zu
eurer Speise.
30 Aber allen Tieren auf Erden und allen Vögeln unter dem Himmel und allem
Gewürm, das auf Erden lebt, habe ich alles grüne Kraut zur Nahrung gegeben. Und
es geschah so.]
31 Und Gott sah an alles, was er gemacht hatte, und siehe, es war sehr gut. Da
ward aus Abend und Morgen der sechste Tag.
1. Mose, 2
1 So wurden vollendet Himmel und Erde mit ihrem ganzen Heer.
2 Und so vollendete Gott am siebenten Tage seine Werke, die er machte, und ruhte
am siebenten Tage von allen seinen Werken, die er gemacht hatte.
3 Und Gott segnete den siebenten Tag und heiligte ihn, weil er an ihm ruhte von
allen seinen Werken, die Gott geschaffen und gemacht hatte.


Predigt:

Das ist ein Gedicht, ja auch Mitteilung, Wissen, vor allem aber ein Versprechen. Es ist ein Lied des Vertrauens, ein streng choreographierter Reigen der Anbetung, ein Lobgesang in gelehrtem Rhythmus.
Der Drive, die Energie, die darin pulsiert, ist Staunen, Stillehalten, Hand vorm Mund - nichts machen, nur sehen, was ist, die Natur, in ihrer Fülle wahrnehmen. Und wissen: Die Sonne, die Berge, das Meer in seinem Rauschen, der Sturm, der Regen, die Bäume, die Tiere, der Mensch, - das ist Wunder über Wunder, und der das will ist Gott,- der Kirschbaum im Blütenkleid kann nichts für sich. Er ist erfunden und hervorgebracht vom Betreiber des Lebens, der diese Schönheit und schöne Nützlichkeit will.
Jedenfalls will ich gewollt sein, weiß, dass ich gewollt bin und du auch, du geliebt, gebraucht, geliebt, gebraucht genau als Du, von dem, der die Welt will.- Ich glaube, dass mich Gott geschaffen hat. Darum auch die Welt.

Martin Luther hat dies genial verknüpft. Er erklärt den Satz: "Ich Glaube an Gott den Schöpfer des Himmels und der Erden": Ich glaube, dass mich Gott geschaffen hat, samt allen Kreaturen, mit Leib und Seele, Augen und Ohren, Vernunft und alle Sinne gegeben hat und noch erhält, dazu Kleider und Schuh... Also nicht: Ich glaube, dass Gott die Welt geschaffen hat und darum auch mich, - eher umgekehrt: Ich vertraue, von der schöpferischen Liebe gewollt zu sein, und die schönen Giraffen und die gespenstischen Fischen der Tiefsee. Gewollt Sonne und Mond und Siebengestirn und die Milchstraße voller Sterne, und die Welten dahinter.

Was das Herz schlagen macht, - der Sinuspunkt unter elektrischer Spannung, die auf einmal abbricht, wir wissen nicht, was das Herz pumpen lässt. Ähnlich auf dem Vogelmarkt, in Rom gesehen: "Welche Kraft, welche Entschlossenheit in diesen winzigen frenetischen Körpern! Das Leben beruht auf diesem bestürzenden ... etwas, das ein bißchen Materie belebt und dennoch gerade aus dieser Materie hervorgeht und mit ihr verschwindet. Aber die Ratlosigkeit bleibt: unmöglich, dieses Fieber zu erklären, diesen ständigen Tanz, diese Vorführung, dieses Schauspiel, das das Leben sich selbst gibt. Was für ein Theater ist doch der
Atem!" (Cioran)
"Wir wissen wie sich das Licht bricht, aber das Licht bleibt ein Wunder. Wir wissen, wie die Pflanze wächst, aber die Pflanze bleibt ein Wunder. So ergeht es uns mit allen Dingen auf dieser Welt: wir besitzen viele Kenntnisse, doch die Schöpfung bleibt ein Wunder" (Albert Schweitzer). Und du, ich, wir sind glücklich dran, die Wunderbarkeit zu bemerken. Von all den Farben und Formen und Entwicklungen, von Werden und Vergehen abgesehen - allein, dass was ist und nicht nichts ist, ist so grandios, so unermesslich sensationell - einen Hauch davon ahnen wir, wenn wir uns erinnern, wie wir aus tiefer Ohnmacht erwachten, zu uns kamen, indem die Dinge der Welt wieder zu uns kamen. Sind wir fast schon mal gestorben, und wir wurden wieder geboren, noch einmal ging uns die Welt auf, diese mühselige Glückseligkeit.

Unermesslich scheint das Universum zu sein, voller Objekte, Sonnen, kalte Klumpen Materie, und doch die leeren Räume, Weltzeiten voll nichts, - wie weinen die Astronauten, beim Anblick unserer kleinen Erde, wo liebende Menschen und ihr Hund auf sie warten. Dies Glück zu sein, und es zu merken, welch hinreißendes
Geheimnis die Welt ist, und ich damit auch und erst recht: Matthias Claudius hat es so innig gesagt: "Ich danke Gott und freue mich, wie's Kind zur Weihnachtsgabe, dass ich bin; und dass ich dich schön Menschenantlitz habe" .

Der nachdenkliche Text von der Erschaffung der Welt steht jetzt flagschiffartig auf der ersten Seite der Bibel. Dabei sind andere Texte bis tausend Jahre älter, zum Beispiel die Gebote und auch das Gelübde zum Erntedankfest Israels: Da soll man den Anfang der Erfahrung mit Gott erinnern: "Ein umherirrender Aramäer war mein Vater, ein Nomade, dem Umkommen nahe; und zog hinab nach Ägypten, und sie wurden dort ein Volk. Aber die Ägypter unterdrückten uns. Da schrien wir zu dem Herrn, dem Gott unserer Väter, - der erhörte unser Schreien und brachte uns ins Land, da Milch und Honig fließt. (5. Mose 26,5-9).

Also erst die Erfahrung der Bewahrung und Hilfe, dann der Rückschluß: Der uns will, hat auch Himmel und Erde gewollt. Der uns jetzt leben lässt, hat das Leben geschaffen.
Und ist ein Kindlein neu geboren, ist doch ein "Gott sei Dank" normal, noch. Oder schon? -
Sind wir die Letzten mit Transzendenzgefühl oder mit die Ersten, hat die bewusste Menschheit eine große Zukunft? Oder werden künftige Generationen sich nur stillbare Wünsche erlauben und darüber banal werden? Ich gehe davon aus, dass Menschsein ein Über-sich-hinaus braucht zum Maßnehmen und Maßhalten, sonst
verflachen wir als die findigen Vettern der Affen.

Gott - Schöpfer aller Dinge, - ohne die Rolle des Kreators ist mir Gott undenkbar, Gott ist doch die liebende, schöpferische Energie. Sie ruft aus dem Nichtsein in das Sein. Sie rief auch am Anfang; rief, sprach, ordnete an, dass etwas anfange. "Am Anfang schuf Gott Himmel und Erde." Sofort die Frage, und was war davor? Zeit ist ja Werden und Vergehen. Wenn nichts da ist, was ablaufen kann, ist wohl auch keine Zeit, jedenfalls keine begrenzte. Und wenn nichts da ist, ist wohl auch kein Raum. Wir können uns wohl nur Zeit und Raum vorstellen in Grenzen, aber vielleicht ist Zeit und Raum unbegrenzt, "ein wahrer Spiegel der Unendlichkeit Gottes" (Giordano Bruno). Und für Mathematiker und Physiker ist es noch mal anders.

Für unsere Denkgewohnheiten hat wohl alles einen Anfang. Aber die Gottvertrauten, die sagten: "Im Anfang schuf Gott", die meinen nicht einen Zeitpunkt, seit dem alles ist; sondern den Ursprung, von dem her alles ist: Also die Quelle von allem ist Gott, und nicht nur zu Beginn. Nicht, dass ein Außerweltliches den Urknall hat geschehen lassen und das, was knallen konnte hingestellt. Sondern: der Gott, der Quelle des Seins ist, lässt immer noch werden: Zeit und Raum und Kreaturen und dich und mich. Und vor allem hat er mit dem allen und uns allen noch viel vor, in welchen Zeiten, Räumen, Raumzeiten, Zeiträumen auch immer.

"Und die Erde war wüst und leer, und es war finster auf der Tiefe; und der Geist Gottes schwebte auf dem Wasser." Tohuwabohu heißt im Hebräischen der "Grobstoff des Seins im Finsteren". Die Materie allein war noch nicht Leben. Aber der Geist Gottes, - so ein Aufatmen, das Chaos ist voller Verheißung - eine Geistkraft schwebt über allem, trägt alles, ist nichts zum Sehen, sondern macht sehend, ist nicht ein zusätzlicher Gedanke, sondern macht uns denken. Wir können den Schöpfer nicht isoliert von seiner Welt fassen, wir können mit ihm aber die Welt fassen als Schöpfung und können so das Wesen, den Herzschlag des Lebens fühlen.
Auch in unserm Lebenslauf ist es manchmal wüst und leer und finster. Aber der Geist Gottes - es ist ein Trösten und Klären und Helfen in der Welt, Wunschkraft, Heiliger Geist, - wir sind noch im Werden durch die Liebe, das Licht, in dem sich Heil anbahnt.

Und Gott sprach: "Es werde Licht! Und es ward Licht."
Die Idee Licht ist das Erhellende. Erkennbar und unterscheidbar wird alles. Licht, Finsternis - ja Abend und Morgen - beides nötig, aber die Tendenz zum Tag, zur Wachheit, zum Wirken ist gesetzt. Wunderbar geht der Gottvertraute vom Abend durch die Nacht zum Morgen. Die Tendenz zum Hellen ist in Gottes Werk eingebaut.
Die erste Tat: das Licht - als wäre die dunkle Folie schon vorhanden gewesen. Erst später werden Sonne, Mond, Sterne aufgezählt, degradiert zu Beleuchtungskörpern, - sicher wegen der Sonnen-, Mond- und Sternenanbeter, von denen die Gottvertrauten sich absetzen wollen.
Die Grundtaten sind Ordnen, Trennen, Einteilen: Licht, Finsternis; Himmel und Erde; Meer undTrockenes.
Wichtig immer: Und Gott sprach. Ein Befehl: und siehe, es steht da! Aus dem Nichts ins Sein gerufen mit seinem Lebensvermögen, Atemvermögen, Arbeitsvermögen, Fruchtbarkeitsvermögen. Erde und Gras, Kraut, Bäume. Fische, Vögel, Tier und Mensch. Sie bekommen den Segen, und den Auftrag sich zu mehren. Damit verlängert Gott seine Schaffenskraft in das Geschaffene und macht, dass sich die Dinge selber machen, wohl die tiefgründigste, umfassendste Schöpferkraft, die wir uns denken können. Bis dahin, dass uns Gott zu seinen Mitarbeitern macht, die die Keimbahnen der Schöpfung verändern, - mit dem Risiko, zu wildgewordenen Sündern zu werden, die gottvergessen Herrgott spielen. Aber der Geist Gottes schwebt bitte auch über diesen untiefen Wassern. Gott schuf den Menschen ihm zum Bilde, ihm ähnlich, als Mann und Frau - zur Liebe berufen, einander zuende erschaffend in Liebe.

In Weltzeiten unserer Woche sind die sieben Abteilungen abgelauscht- ruft Gott ins Sein. Eine Abfolge ist zu erkennen, ein Aufbau, erst Fische, dann Vögel, und Landtiere, Säugetiere und Menschen sind in einem Atemzug geschaffen. Sicher denken die Gottvertrauten von einst nicht an die Evolution der Arten, dass eins
aus dem andern hervorgeht. Aber wir dürfen heute die Entwicklung als die Form der Schöpfung annehmen. Wie die Schöpfung lief, das rauszufinden ist Sache der Naturwissenschaftler. Wer die Schöpfung betreibt, das weiß, wer sich von Gott betrieben weiß.
Ein starker Vergleich: Die Wissenschaft ermittelt die Eigenschaften vom Saum des Mantels Gottes, mehr nicht, weniger nicht.

Die Evolution der Natur ist ja offen. Wir wissen nicht, was aus uns wird und ob nach uns Nennenswertes kommt. Aber sicher ist, dass wir Zwischenglieder sind, das Ende ist offen. Offen ist auch, wie der siebte Tag wird. In einem hinreißenden Bild wird ein Vorgriff gewagt: Eine Vision des Kommenden, aber bei Gott schon so gut wie perfekt: "Und so vollendete Gott am siebenten Tage seine Werke, die er machte, und ruhte am siebenten Tage von allen seinen Werken, die er gemacht hatte." Ganz sicher - mit uns - hoffentlich. Amen.

Schlußgebet

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