Keitumer Predigten   Traugott Giesen   30.06.2002

Singet und spielt dem Herrn in eurem Herzen (Epheser 5,19)

Dies Wort passt mir gut. Denn in 2, 3 Stunden werden wir fast alle per Fernsehen teilnehmen am Fußballfinale, werden das Spiel genießen, werden mitspielen. Da ist doch die Frage passend, was Christen zum Spielen sagen können.

Also in der Bibel hat Spielen keinen guten Ruf - es hat kaum ein Vorkommen. Ganz zauberhaft: Gott schuf die Walfische, um damit zu spielen (Psalm 104,26). Hochgelobt ist das Spiel in Verbindung mit Singen, Tanzen, Spielen auf der Harfe, - aber auch abfällig wird davon gesprochen:

"Als das Goldene Kalb gegossen war, da aß und trank Israel und stand auf zu tanzen und zu spielen. Bis Mose den Fetisch zerschlägt." Klar, dass da Spielen etwas Gottabgewandtes beschreibt.

Spiel hat was Unernstes, Oberflächliches. 1.Chronik 15,27: „David trug den leinenen Pristerschurz als sie die Bundeslade hinaufbrachten nach Jerusalem mit Jauchzen und Pauken und Trompeten. Da schaute Davids Frau Mikal zum Fenster hinaus, und als sie den König David tanzen und spielen sah, verachtete sie ihn in ihrem Herzen.

Die Griechen, heidnisch-fröhlich, hatten zu Ehren der Götter die olympischen Spiele erfunden. In Israel lernte man dagegen immer strenger und körperferner von Gott zu denken, die Anbetung war von höchstem Ernst, Sache einer geschulten Priesterkaste, jenseits alles Beliebigen. Bei der Urkirche kam noch eine ganz andere Tendenz hinzu: „Kaufet die Zeit aus, - es ist böse Zeit" (Epheser 5,16). Sogar zum Heiraten hatte man nach Paulus keine Zeit. Hinter dem Ziel, das Evangelium auszubreiten, hatten alle irdischen Dinge zurückzustehen.

Anders aber doch Jesus: „Sehet die Lilien auf dem Felde in ihrer Pracht; seht die Vögel unter dem Himmel, sorget nicht, zersorgt euch nicht. Euer Himmlischer Vater weiß, was ihr braucht, eh ihr ihn bittet" (Matthäus 6,8,25f). Nein, Fußball spielend oder surfend, kann ich mir Jesus nicht vorstellen, aber dass er mit seinen Jüngern Brotzeit hält im Schatten eines Baumes und sich einen Grashalm durch die Zähne zieht schon, oder dass er ein Schach spielt mit seinem Lieblingsjünger, doch.

Menschen haben immer gespielt, mit Murmeln oder Mensch ärgere dich nicht oder Flöte oder Bolzen oder Tanz oder Theater. Sie haben als Hirten genug Zeit gehabt, ein Spielchen zu machen, haben als Bauern, wenn es früh dunkel wurde, doch genug Zeit gehabt für die Liebe - „Brot (auch) der Armen." Und standen oft genug auf dem Markt herum, weil keiner sie einstellte, - da war jede Abwechslung willkommen.

Spiel ist Abwechslung von der Hauptaufgabe, sich und andere durchzubringen.

Ja, Spiel hilft auch, Fähigkeiten zu entwickeln, überschüssige Kräfte zu entladen, auch Füllung überschüssiger Freizeit. Und Unschädlichmachen von Aggresssion - früher ging man Holzhacken, heute schickt einer den andern: Lauf mal 'ne Runde.

Sport ist auch Lust am Körper, sich fit fühlen hat was. Dazu die Lust, sein Geschick zu messen im Wettbewerb. Gut sein wollen, besser sein wollen als der andere, das ist doch eine menschliche Anlage; wenn sie im Spiel gelebt wird, kann das Kriege verhindern, - man sagt, dass der Kalte Krieg zwischen China und den USA beim Tischtennisspiel zum Tauen kam.

Aber klar: Spiel ist Ausnahme. Alltag ist Ernst, Notwendigkeit. Dass man mit dem Spiel Geld verdienen kann ist eine Sonderform des Spiels als Unterhaltungsware. Wir lassen spielen, - sie spielen für uns, wie Söldnerheere früher die Kriege der Zahlenden führten.

Spiel ist Ausnahme vom Ernst des Lebens und ahmt den Ernst des Lebens doch nach: aus Stofffetzen Puppen bauen, mit Puppen ein Abbild der Gesellschaft spielen, Vater, Mutter, Kind. Ein Lumpenknäuel, vier Stangen - und los geht die wilde Jagd. Fußball als das Spiel des Lebens, überschaubar, mitspielbar, jeder ist Fachmann, weil man's ja selbst gespielt hat.

Spiel ist noch kein Sport, - Sport fordert Leistung. Auf den Ausgang von Pferderennen wurden Wetten abgeschlossen - vielleicht liegt in dieser Verbindung von Kampfspiel und Geschäft der Ursprung des modernen Sports. Hinzu kommt: Boxen wurde in England ein Mittel, Ehrenhändel auszutragen, über Klassenunterschiede hinweg, so wurde Sport ein demokratisches Mittel, jedem sind die gleichen Chancen zugebilligt. Jeder, wenn sein Talent reicht - Abstammung, Geld zählt gar nichts - jeder kann ins Rampenlicht treten. Und der Sport brachte auch Fairneß als eine Form von burschikos verkleideteter Nächstenliebe.-

Vor allem Fußball ist wie im richtigen Leben: Etwas ganz Rares muß dem Rivalen abgejagt werden und in dessen Kasten versenkt werden, den er so gerne sauber hielte. Die Regeln sind übersichtlich, ein Schiri passt auf und hunderttausend Augen per TV, das ist anständig, da ist wenig Betrug möglich, da gibt es gelbe und rote Karten wie wir sie uns ja auch zeigen. Da ist wirklich einer für den anderen da, Gemeinschaft braucht Einsatz der Einzelnen, Gegnerschaft braucht Versöhnung, und das Schönste: wir können uns Lieblinge suchen, mit denen wir mitfiebern. Und die sagen auch: Sie spielen für uns mit. Es ist da eine Stellvertretung.

Sie leben ihre Möglichkeiten, wir bewundern das, sehen schmerzlich unsere Schwachheit und nehmen uns doch auch vor, je meine Möglichkeiten noch mal auszuschöpfen. Es geht ein Ruck durchs Land, bei solchen großen Siegen.

Die Begeisterung, mitzuspielen, die Dramatik der Zweikämpfe wie mit dem eigenen Leib erleben, die halsbrecherischn Paraden, die blitzgescheiten Spielideen, die Gewandtheit, das immer und immer wieder sich Aufrappeln, das wegstecken von Enttäuschung, das Fieswerden aus Verzweiflung, nicht gut genug zu sein, die Pulswerte steigen ins Ungeheure.

Gerade das lange berufliche Stillsitzen züchtet Aggression und staut sie. Diese Stauung macht Sport so beliebt, wenn die Kampfform drastisch ist - also Boxen und Fußball, wie man da, gebändigt von Regeln, seine Dynamik loslässt. Und, anders als die Geheimnisse im Inneren eines Computers, - das hier auf dem Feld versteht man. Und hier gedeiht Kameradschft, ein Schicksal wird geschmiedet, - Ballack putzt einen Fehler von Ramelow aus mit einem Foul, um dessenwillen er am von ihm hauptsächlich beschafften Endspiel nicht teilnehmen darf, - das sind die von allen verstehbaren Dramen, die das Leben schreibt. Und wir dürfen sagen: wir sind dabei gewesen. Und werden hoffentlich sehen, wie sie gute Miene zur eigenen Niederlage machen.

Die Spieler, die Mannschaft, wir Zuschauer - wenigstens für kurze Zeit sind wir wie ein Leib, es ist ein Traum, ein Vorgeschmack von einer ganzen, guten Menschheitsfamilie. Wie gestern die türkischen Spieler die südkoreanischen in die Arme nahmen und sie als eine Mannschaft vor dem Publikum sich verbeugten, das hat doch was von Frieden.

Als die Menschen jubelten, war oben an der Stadionbalustrade ein riesiges Tuch ausgehängt mit der Aufschrift: „Wir haben noch Hunger". Das sagt doch: Alles hat seine Zeit. Und jetzt, wo das Spiel aus ist, fängt die Arbeit an. Was im Spiel dargestellt war, das gemeinsame, gleichberechtigte, das schöne Miteinander, jetzt muß es durch gerechtes Teilen in die Wirklichkeit umgesetzt werden.

Es gibt noch viel zu tun, darum ist Spiel Ausnahme. Solange Millionen Kinder nicht spielen dürfen, sondern Ziegel schleppen oder dauervergewaltigt werden - aus Hungersnot ist kein Erwachsener freigestellt zum verspielten Leben. Er blieb zu viel schuldig an Begabung, die das Leben braucht, dass es gedeihe. „Sechs Tage sollst du arbeiten, vernahmen die vor uns, „und am siebten Tage sollst du ruhen von deinen Werken" (2. Mose 20). die Entdeckung des Sabbats ist eine der ersten sozialen Großtaten Israels: Ein Tag der Arbeitsruhe, auch für den Fremdling, sogar für das Tier.- Ja, in aller Daseinsnot ist uns ein Raum der Freiheit gelassen auch fürs Spiel.

Im Krieg, in Stalingrad, in all den Bomben eine Ruine mit einem heilgebliebenen Klavier. Und ein Soldat spielt Mozart - und die Waffen verstummen für eine Zeit. Und mit Fingerfarben die Gesichter anmalen auf der Kinderkrebsstation, - einen Luftsprung weit sich über das Schicksal erheben. Auch um aus uns herauszugehen.

Dem Menschen ist mitgegeben „die Zweieinheit von Erzwungenem und Spielerischem, von Daseinsnot und freier Gestaltung" (H. Plessner).

Wir haben einen Spielraum, uns zu geben, Figur zu machen, wir können die Rollen des Lebens so oder so spielen, Vater, Mutter, Frau, Mann, wie das sein? Es gibt Erwartungen, es gibt anerzogene Muster und genetisch uns weitergegegebe, es gibt aber auch Raum, man selbst zu sein. Du eben keine typische Schwiegermutter, du kein typisches Männchen. Uns ist zur Pflicht der Menschlichkeit die Kür eingeräumt des Dekorativen, der Freude am Eigenen. Neben der Notdurft des Essens, gibt es die Kochkunst und schönes Eindecken, Blumen, vor dem Essen sich waschen, vielleicht festliche Kleidung, und der Ritus des Dankes, was allemal besser ist als einfach loszumampfen. Und speisen, nicht schlingen und würgen, wie in der Urhorde, die immer auf der Flucht war, sondern gelassen genießen unter munteren Reden, mit Nächsten.

Auch das Gespräch mit Gott hat neben der Not des Bittens und Klagens die Freiheit des Lobens, des Dankens.

Auch ist Ernst und Spiel bei der Liebesumarmung: wir sind bedürftig und hoffentlich auch spielerisch. Das Liebesspiel übersteigt den Automatismus bloßer Instinkthandlungen, es sucht, dem fliehenden Augenblick Dauer zu verleihen. "Der Mensch ist nur da ganz Mensch, wenn er spielt" (E. Jünger nach F. Schiller) - das gilt besonders auch für Liebende.

Wir Menschen sind mit Spielraum gewollt, mit Spielraum, die eigene Person zu entwickeln.

Spielen ist Freiheit, frei von Not, frei von Zwecken, frei zum Überflüssigen. Gott lässt dir Überfluß - also lache, erfreue, genieße, beschaffe Chancen. Mache dein Spiel, bring dich ins Spiel, biete dich an. Die Zeit ist begrenzt, dann nimmt uns Gott wieder aus dem Erden-Spiel, sicher für ein anderes. Aber das Spiel des Lebens ist kein Spaß: "Wenn es köstlich gewesen ist, so ist es Mühe und Arbeit gewesen" (Psalm 90), das Gebrauchtwerden auch als Glück.

Köstlich soll dir das Leben gewesen sein, du sollst mal gern du selbst gewesen sein.

Suchst du noch Deins? Tändelst du, versuchst dir alle Möglichkeiten offen zu halten? Bist du einer, von dem Kierkegaard sagte, dass er „verzweifelt nicht er selbst sein wollte?" Oder ist die Maske deiner Pflichtrollen so an dir festgewachsen, dass du noch mal ganz neu Kind werden musst: „Wenn ihr nicht werdet wie die Kinder, könnt ihr nicht ins Himmelreich kommen" (Matthäus 18,3) sagt Jesus. Übersetzt von Rabindranath Tagore: "Gott ehrt uns wenn wir arbeiten, aber er liebt uns wenn wir spielen".

Aus Vertrauen, aus Sorgelosigkeit, dürfen wir die Freiheit der Kinder Gottes leben und dem Augenblick gehören: Sorget nicht für morgen, es ist genug, dass jeder Tag seine Plage habe. Es ist Gottes Welt, in der wir zur Arbeit gerufen sind und zum Spiel. Amen

Literaturhinweis: Helmut Plessner: "Diesseits der Utopie"; Helmut Thielicke: "Theologische Ethik"

Schlußgebet

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