Keitumer Predigten Traugott Giesen 16.11.2003

Wir wollen in den Himmel, egal wo er ist. Die Sehnsucht bleibt, auch wenn die Bilder verblassen...

Psalm 126:

"Wenn der HERR die Gefangenen Zions erlösen wird, so werden wir sein wie die Träumenden. Dann wird unser Mund voll Lachens und unsre Zunge voll Rühmens sein. Dann wird man sagen unter den Heiden: Der HERR hat Großes an ihnen getan! Der HERR hat Großes an uns getan; des sind wir fröhlich. HERR, bringe zurück unsere Gefangenen, wie du die Bäche wiederbringst im Südland. Die mit Tränen säen, werden mit Freuden ernten. Sie gehen hin und weinen und streuen ihren Samen und kommen mit Freuden und bringen ihre Garben."

Ja, es steht noch viel aus, ehe der Himmel über uns allen aufgeht und kein Leid mehr sein wird und kein Geschrei. Viel Mühsal muss noch abgetragen und weitergeschleppt werden, bis Heilung kommt. Dieser Spannungsbogen vom Leid zur Freude ist die Triebfeder, die uns Menschen auf die Füße stellt, jeden Morgen neu, uns zur Zukunft anstiftet. Das „Prinzip Hoffnung“ ist der Treibstoff, der uns die Hände öffnet und unseren Geist anregt, Neues zu erfinden.

Zwei Wünsche treiben uns, dass wir uns um bessere Umstände mühen. Das Leben soll uns behagen und das Essen schmecken und die Befreundung sich gut abfühlen, das ist unser Basiswunsch: Gesund bleiben, ein paar Euro mehr im Portemonnaie als man gerade braucht, zurechtkommen eben, gern ich sein, in meinem Körper gern zu Hause.

Das andere Wünschen zielt weiter: Es muss doch Friede werden, und ich will was dazu tun; es muss doch Versöhnung geben zwischen Mann und Frau, Eltern Kindern, Brüdern und Schwestern, Nachbarn, Kollegen, Völkern - es muss ein Geben und Nehmen gelingen, dass keiner zu kurz komme und wir vom Raffen erlöst werden. Einfach Glück soll sein, ja Glück im großen Bogen, wo die Schöpfung sehr gut geworden ist, vollendet eben.

Unser egozentrisches Wünschen ist stark, aber ist auch die Sehnsucht nach Heil für Alles noch stark? Diese große Sehnsucht war mal riesig, auch weil sie angefeuert war durch die panische Angst vor großem Zorn; drohend stand über der Menschheit, Feuer fiele vom Himmel und ein großes Inferno verschlänge alles, und jede einzelne Seele werde vor ein letztes Gericht geschleppt zu Rechenschaft und Buße. Dann könne nur die unverstehbare, unbegründbare Liebe uns retten "als wie durchs Feuer" so Paulus (1. Korinther 3,15) - wenn, ja, wenn alle Bedingungen stimmen.

Eine “Schreckensherrschaft der letzten Dinge“ (E: Cioran) steckte lange in den Köpfen - vielen in anderen Religionen immer noch. Jesus wollte uns heilen, aber die Kirche, die sein Werk in die Hand nahm, meinte, „der Mensch sei böse von Jugend auf“ - konnte sich damit auch auf verzweifelte Äußerungen in der Bibel selbst berufen. Angst schien der Kirche das einzige Erziehungsmittel, die Seelen vor noch Schlimmerem zu bewahren. Kirche wusste auch von der Gnade, doch blieb die an Kirchentreue und Wohlverhalten gebunden. Luther erst hat uns die Gehirne frei gespült, hat uns den bedingungslos liebenden Gott neu gezeigt unter dem Zusammenbruch der machtvollen theologischen Lehrgebäude und der Papstkirche.

Kein Wunder, dass unsere zwölf-dreizehnjährigen Konfirmanden, wenn sie jetzt den Lutherfilm sehen, albern werden. Was dem Martin herzzerreißende Gewissensqualen bereitete, scheint den Jungen so was von abgetan, dass sie nur lachen können. Dabei, dass die Höllenangst vorbei ist, hat gerade Martin Luther uns neu gefunden, mit ihm hob die Aufklärung an.

Mit der Aufklärung aber ist uns auch das Weltbild abhanden gekommen für die große Vollendung am Ende der Tage. Ja, so war die Vorstellung: Gott ließe zu guter letzt aus dem Himmel das Paradies hernieder gleiten wie im Theater aus dem Schnürboden die Kulissen fürs nächste Stück; ein himmlisches Jerusalem stehe schon bereit, (von zwölf Perlen sind die Tore - wir haben es eben gesungen: "Wachet auf, ruft uns die Stimme" EG 147) müsse nur eben noch sich herabsenken nach dem Jammertal Erde. Verloren gegangen sind uns die Himmelsbilder, auch die des Jüngsten Gerichtes, wo die einzelnen wiederauferstandenen Leben vor Gott aufgerufen werden und Rechenschaft geben sollen für Soll und Haben. Und wir alle durch Hölle müssen, auf dass der Himmel um so schöner werde.-

Ja, Himmel und Hölle sind uns als Orte verloren gegangen. So können wir uns Erlösung nicht mehr vorstellen, obwohl wir sie so dringend brauchen. Wir wissen nicht, wohin die Toten auferstehen und wo Gott das letzte Wort hat. Aber dass wir Zukunft haben im Tod, das muss sein, das verlangt unsere Seele.

Und wie Durst uns zeigt, dass es Wasser gibt, so weist uns der Durst nach Erlösung in Richtung Jenseits. Wir wissen nicht wie und wo, die Bilder der Bibel scheinen verblasst. Aber die Sehnsucht, das Heimweh bleibt ja, und so kommen die alten Bilder in etwas modischem Gewand: Engel und Elfen und die Zauberer und Harri Potter und der Krieg der Sterne.

Wir sehnen uns ja nach Bildern vom Sieg des Guten über das Böse, und die Heilung des Bösen durch die Liebe. Und werden die Pop-Ikonen von der Erlösung auch immer flirrender und bizarrer, die Monster immer schrecklicher und die Engel immer streng-sanfter, auch wenn wir wissen, so kann es nicht sein, wissen wir noch mehr: Heilung muss werden. Es muss die Liebe siegen, es muss Frieden werden, bitte Gott, bitte, setz deine Lebensfreundlichkeit endgültig ins Recht, - auch wenn wir nicht wissen, wo der Himmel ist, wollen wir in ihn kommen.

Und darum ist Psalm 126 so wichtig. Er ist eine Oase in der Wüste der verlorenen Bilder. Ganz schlicht:

„Wenn der HERR die Gefangenen Zions erlösen wird, so werden wir sein wie die Träumenden.“

Ja, wir sind noch Gefangene, noch Gebundene, noch angeschmiedet an Trieb und Angst und Argwohn, noch bestechlich vom eigenen Vorteil. Aber wir sind Gefangene Zions, wir gehören dem Herrn, sind Gottes Volk. Den ersten Betern dieses Liedes war im Gedächtnis die Erlösung aus dem Exil von Nebukadnezar verhängt. Die Bilder vom Auszug aus Ägypten und der Rettung aus Babylon dienen bis heute bibelfesten Menschen als Pfänder für die endgültige Restitutuion, Heimkehr, Wiederherstellung des versöhnten Gottesvolkes. Wenn wir Gott gehören ist die Fesselung ans Friedlose vorübergehend. Weil Gott Liebe ist, heißt die Zukunft: Erlösung zur Liebe.

„Wir werden sein wie die Träumenden: unser Mund voll Lachens, unsre Zunge voll Rühmens.“

Habt ihr euch schon mal als Lachende geträumt? Ich meine, mich daran erinnern zu können, da war so was wie volles Glück, und ein Lobe den Herrn, unter Apfelblütenbäumen, - oder was ist dir das Schönste? Sein wie die Träumenden, Mund voll Lachens - das ist mein Bild von Gerettetsein. Wo, wie - wir werden sehen. „Dann werden wir sagen; Der Herr hat Großes an uns getan“. (Die Teilung in Heilige und Heiden, das Gegenüber von Israel und den Völkern- im Psalm noch da, ist durch Christus überwunden.)

Das ist Verheißung, Versprechen- angemessen unserem wenigen Wissen jetzt, unserm geringen Durchblick, unserm Wandel der Weltbilder: So wird’s sein: Großes hat uns Gott getan, das werden wir im Rückblick wissen. Aber jetzt, weil wir auf Großes zugehen, sind wir auch beteiligt an der Arbeit an diesem Großen: Gott ist auf dem Weg des Friedens, seine Liebe zu gestalten, ist sein Wesen. Dass er mit uns schwierigen, sperrigen Menschen unterwegs ist wunderbar. Und erst recht wunderbar ist, dass wir jetzt schon merken: Der Herr hat schon Großes an uns getan: Er hat uns freudefähig gemacht, er hat uns gelehrt, Glück zu mehren, indem wir es teilen.

Eine Regel aber um Zukunft zu bauen, heißt: Die mit Tränen säen, werden mit Freuden ernten. Segen ist den Mühen versprochen. Leid muss getragen werden, dass sich die Lage ändern kann. Auch Trauer muss gelebt werden, der Liebe muss ein Gedächtnis gestiftet werden, was versagt bleibt, ist neuer Erfahrung zur besseren Verwendung anvertraut.

„Sie gehen hin und weinen und streuen ihren Samen und kommen mit Freuden und bringen ihre Garben“.

Das ist ein starkes Wissen: Das Feld des Lebens will gut bestellt sein. Wir müssen uns in die Mühen knien, guten Samen ausbringen, uns selbst einsäen in den Acker des Lebens, da ist vieles zum Weinen und Verkriechen. Aber eben es ist getan auf Hoffnung: Es steht Ernte an, volle Arme, festliches Leben ohne Ende, mit dem Tod als Quermarke, mehr nicht. Wir die wir uns noch sehen als unter Tränen Dahingehende, werden von Gott als die Heimkommenden angesehen. Darum wir noch die Dahintengebliebenen, sie, die uns starben, in unsern Armen oder in Kriegen, oder an uns? Sie sind schon am Ziel. Davon nächstes mal mehr. Amen.

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