Traugott Giesen Kolumne 10.06.2000 Pfingsten
aus "Die Welt" Ausgabe Hamburg
Heiliger Geist macht Lust zu leben
Pfingsten feiert Kirche Geburtstag. Und hoffentlich feiern die Zeitgenossen
mit, dass Kirche da ist. Geburtstagskinder, wenn sie gut dran sind, bekommen
ja gesungen: Wir freuen uns, dass du geboren bist. Auch Kirche bekäm
es gern zu hören: Gut, dass du da bist.
Die Substanz von Kirche ist ja hochwichtig. Sie macht Leben aushaltbar
und verheissungsvoll. Schon am Tag ihrer Geburt lag offen zutage, was Kirche
treibt. Die Apostelgeschichte berichtet: Kurz nach Jesu Tod und Auferstehen
waren an die fünfhundert Menschen versammelt. Sie hörten die
Jünger die grossen Taten Gottes reden, ein jeder in seiner Sprache.
Visualisiert soll dies Verstehenswunder gewesen sein durch Flammenähnliches
auf allen Häuptern.
Die grossen Taten Gottes hören in meiner Sprache, das ist das
Wesen von Kirche. Damit ist Glanz und Elend und Unverzichtbarkeit dieser
Einrichtung im Blick. Wer benennt denn dich als von weither gewollt, als
Schöpfungswerk ganz eigener Art, wer preist dich als grosse Tat Gottes?
Die Kirche adelt mit der Taufe das Kind als geliebt-gewollt vom Herz der
Welt. Glanzvoll ist auch, wie der Mensch von Anfang an in die Pflicht genommen
ist für den Garten Eden � bebauen und bewahren soll er ihn � das steht
schon in der Bibel. Zu Gottes grossen Taten zählt auch der Jesus-Mustermensch,
wie auch wir gedacht sind: Beziehungsreich zu Gott und Kreatur und Mitmensch.
Und lebenswichtig ist auch, dass Kirche ansagt: Der Heilige ist in der
Welt, wird Materie; und Leid und Tod lässt er sich geschehen, er lässt
das Böse nicht zu, sondern unterzieht sich ihm und trägt es ab
im Laufe der Zeit. So hat die Welt im Kern ein Gott-Potential, wir haben
Zukunft auch durch den Tod hindurch.
Das Elend des Christentums ist damit auch am Tag: Wie viele Mitläufer,
wie wenig Märtyrer hatte Kirche unter Hitler und heute. Wie lieblos-kraftlos
sind viele Pastoren. Können wir miteinander nicht seelsorgerlicher,
sorgsamer sein? Was die Kirche sagt, wird erst Wahrheit durch das Anerkennen.
�Amen, so ist es� sagt eigentlich nicht der Predigende, sondern die Gemeinde,
die Recht und Pflicht hat, die Predigt zu beurteilen, ob diese Samen des
Evangeliums oder nur Wortspreu austeilt. Dazu muss jeder in seiner eigenen
Sprache, in seiner Vorstellungswelt angesprochen werden, das ist aller
Mühe wert und braucht viel Geist.
Unverzichtbar ist Kirche allemal. Schon damit wir nicht das Warenhaus
zur Kirche, den Konsum zum Gottesdienst machen; letztlich, damit wir nicht
Sterbliches zum Gott ausrufen. Mag man auch meist nicht zur Kirche gehen
� dass da jeden Tag, jeden Sonntag jedenfalls, auseinander gehalten wird:
Gut und Böse, Lebenstiftendes und Vergiftendes, Gott und Abgott, und
dass Menschen für alle mit beten: Vater unser ... dein ist die Herrlichkeit,
� das lässt Leben aushalten. Also mal ein Ständchen für
die Kirche, am besten für die gleich nebenan.
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