Traugott Giesen Kolumne 19.06.2004 aus "Die Welt" Ausgabe Hamburg

Kolumne: In Ruhe sterben kann man nur erbitten

von Traugott Giesen

"Alt und lebenssatt das Leben aushauchen" heißt in der Bibel unser Wunschbild. Mal auf weißem Laken entschlossen zu sterben, ohne viel Mühe gemacht zu haben oder wie vom Blitz gefällt, zusammenzusinken und die Seele fortgeküsst zu bekommen, so wollen wir es alle haben. Doch die Umstände unserer letzten Geburt - das Leichentuch die letzte Windel - liegen nicht in unserer Hand.

Kann sein, dass es uns schwer vom Hiersein abschält, weil der Herzmuskel stärker ist als unsere Lebenslust. Oder aus Angst vor dem Neuen klammern wir am Vertrauten, wollen auch den Liebsten nicht allein lassen, oder den Hund oder den Garten oder das Konto. Vielleicht aber oszilliert deine Seele immer schon zwischen Himmel und Erde, du fühlst deutlich, dass du hier ein Gast nur bist, dann kann ein leichter Ruck schon dich vom Leib hier wegtragen. Aber es gibt keine Garantie auf Gelassenheit aus Glauben oder Frömmigkeit. Da kann man sich innig aufs Gehen vorbereiten - gar wie ein spanischer Kaiser Nacht für Nacht sich in seinen Sarg betten, kann täglich sich sagen: Wir sind hier nur auf Durchreise. Und doch will und will das Sterben nicht kommen. Oder man verbietet sich die Gedanken an den Tod, sagt sich: "Solange ich lebe, ist der Tod nicht da, wenn der Tod da ist, bin ich nicht mehr da." Und dann kämpft man doch um jeden Atemzug und gräbt dem Nächsten die Fingernägel ins Fleisch: "Verlass mich nicht."

Wir sind nicht Herren unseres Eintritts ins Leben, wir sind's auch nicht bei unserm Abgang. Wir gehen nicht ab, wir schlagen nicht die Tür; wir sterben nicht, wir werden gestorben. Auch ein Selbstmord ist doch zwangvollstes einsamstes Geschehen, selbst wenn wir es mit dem parfümierten Titel "Freitod" beschönigen.

Was wir können, ist dies: Jetzt Altgewordene begleiten, ihr Versorgtsein sicherstellen - du musst Vater und Mutter nicht lieben, aber ehren - sie ehren als die, die dir ins Leben halfen. Und so wirst du ihnen beim Altwerden helfen und beim Von-hier-Scheiden auch, wenn es gewährt ist. Aus Angst vor dem eigenen Greisenalter jetzt das Altenheim zu meiden, produziert erst recht die Angst. Während ein treuer Umgang mit einem, mit einigen alt gewordenen Menschen das Kleinwerden in Würde bereitet, sei es, dass man den Friseurbesuch leicht macht oder bei Ausfahrten behilflich ist oder vorliest oder die Hand hält und den Schweiß von der Stirn wischt. Wenn du diesen Dienst auf andere ablädst, dann beteilige dich wenigstens finanziell großzügig. Sonst wirst du dich be-strafen mit immer mehr Angst, mal selbst völlig verlassen zu sein.

Und man sollte sich verfügen, wenn der Weg ins Sterben sich abzeichnet, verbittet man sich alle lebensverlängernden Maßnahmen; vor allem die künstliche Ernährung per Magensonde sollte man für sich ausschließen. Ansonsten: Dankbar gern hier sein, hilft, gehen zu dürfen, wenn wir nicht mehr wollen.

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