Traugott Giesen Kolumne 18.09.2004 aus "Die Welt" Ausgabe Hamburg

Lebensrezept für Paare: Gelten und gelten lassen

Wenn man Paare streiten sieht und hört, dann tut einem das fast körperlich weh. Schon der niedermachende Ton nimmt einem den Atem. Im Geschäft dies Schimpfen, als wäre der andere am Geist krank, dass er diese Limonade, gerade dies Sonderangebot, diese Wahl trifft. Wo man doch zu Hause noch genug von jenem Saft hat, und "du auch auf jede Werbung reinfällst" und "denk doch, bevor du kaufst!" Auch das Auto kann zum Kampfplatz werden, da ist vorn ein ständiges Belehren und Besserwissen und Ermahnen und Kritisieren: "Du bringst noch deine ganze Familie um." Und zu Hause? Die Kinder, das Kind duckt sich, wenn die Wortgeschosse fliegen, oft zieht es durch Unart die Aufmerksamkeit auf sich, dass die Eltern von einander ablassen und sich auf das Kind als gemeinsamen Feind stürzen. Oder wenn sie zu zweit allein sind, werfen sie sich gegenseitig vor, einander das Leben zu verderben. "Ach, könnte ich doch noch mal ganz neu anfangen" - "du wirst allein ja gar nicht fertig."

Es kann sein, dass man längst hätte auseinander müssen. Wenn man sich nur beschädigt und klein und schuldig macht, dann muss man heute die Scheidung in die Wege leiten. Wenn ihr euch nur noch braucht, um wenigstens ein Opfer zu haben und nicht allein schuld zu sein, dann wagt ein Auseinanderrücken, vielleicht findet ihr euch noch einmal in Würde. Meckern und Maulen, rechthaberische Kritik, sind meist Notwehr. Und bliebe der Angriff aus, dann wäre auch kein Widerstand nötig. Ist denn schon alles Verstehen aufgebraucht zwischen euch? Es geht um Gelten und Gelten lassen. Ihr müsst miteinander handeln.

Hältst du eine Fahrt ohne Meckern aus, verbeiß ich mir bei der nächsten Tour den Mund. Lobst du mein Essen, dann lob ich deinen nächsten Einkauf, komme was wolle. Und wenn nicht, tue ich Buße. Setzt euch mal in Ruhe zusammen, und redet euch zueinander hin: Was gefällt dir an mir nicht, dann, was mir an dir nicht passt. Legt ruhig einen großen Bogen Papier zwischen euch und schreibt es mit. Versucht auf dem Blatt doch mal mit Pfeilen zu verknüpfen die Beschwerde des einen und des andern. Merkt, wie ein Ärger am anderen hängt. Einer plant lieber, der andere lässt sich eher treiben; einer geht lieber mal allein los, einer will den andern mehr zu Hause anbinden; des einen Hobby ist teurer, des andern Kleidung. Und immer wieder die leidige Geldfrage.

Wir sind uns anvertraut, um uns zu stärken in Lebensmut und Menschenwürde. Nachgiebig und übergefügig soll keiner sein, keiner herrisch und eigenmächtig. Zusammen muss man finden, was einander gut tut, auch mal darüber streiten, und manchmal muss einer dem andern einfach folgen. Bei zwei Drittel der Entscheidungen kommt es doch auf fast gar nichts an, was soll man da streiten. Mancher Konflikt wird erspart durch zwei Fernseher und faire Absprachen. Redet lange, was wem schwer fällt, was wen kränkt, und was nicht so gemeint war. Vorrechte müssen fallen, das ist klar.

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