Keitumer Predigten Traugott
Giesen 14.10.2001
Wurzeln der Moderne (2. Samuel 11 und 12)
Es ist Zeit, besser zu verstehen, was die Grundlagen
des modernen Denkens sind.-
Wir bekommen Kenntnis von einer archaisch
anmutenden, auf heilige Schriften sich berufende Männergemeinschaft,
die behauptet, unmittelbar den Willen Allahs, also Gottes Willen zu vollziehen.
Und Gottes Krieg zu führen. Wir sehen uns erinnert an schlimme Zeiten,
da Deutsche meinten, sie führten Gottes Krieg für die Herstellung
eines ewigen Reiches. Der Führer wähnte sich als von der Vorsehung
geschickt, als Heiland und Retter. Und auf den Koppelschlössern der
Soldaten stand "Mit Gott". Jetzt treffen wir in den Fundamentalisten von
Afghanistan wieder die Rufe vom Heiligen Krieg. Und die Fundamentalisten
bei den Christen, rufen auch zum Heiligen Krieg, das Wort vom Kreuzzug ist
schon gefallen, aus Präsidentenmund.
Ebenso behaupten fanatische Gläubige bei
Christen wie bei Moslems, dass in den Anschlägen auf das World-Trade-Center
und das Pentagon in Washington Gott sein Gericht vollzog, die Täter
also Gottes Gerichtsvollzieher waren. Aber dürfen wir Menschen behaupten,
wir täten den Willen Gottes? Dass Menschen ihr Schicksal als gottgewollt
annehmen, ist was Anderes. Dass ich meine Krankheit, meinen Unfall, auch
meine Rettung als Gabe und Aufgabe von Gott geschickt annehme, hinnehme,
meistern will - das ist mein Recht. Aber darf ich meine oder irgendeines
anderen Handlung für Gottes Gottes behaupten, darf sich ein Mensch als
Hand Gottes ausgeben? Vielleicht meint er dazu berufen zu sein. Aber es gibt
kein Amt, keine Schrift, keine Institution, keine Menschen, die die
Autorität Gottes haben. Was Gott tut, steht auf einem anderen Blatt
als unser menschliches Denken und Trachten. Gott nutzt auch unser Tun, aber
wie, das ist sein Geheimnis. Darum darf kein Mensch sich als Gerichtsvollzieher
Gottes ausgegeben, und wenn er es doch tut, darf keine Kirche sich hinter
ihn stellen, auch wenn das Projekt noch so gut zu sein scheint.
Diese Erkenntnis bricht sich zum ersten mal
in der Menschheit Bahn in einer Geschichte, die in der Bibel überschrieben
ist:
Davids Schuld und Nathans Bußpredigt,
2. Samuel 11 und 12
"Und König David sandte seinen Feldherr
Joab und den Offizier Uria in den Krieg gegen die Ammoniter. David aber blieb
in Jerusalem. Eines Abend erging er sich auf dem Dachgarten des
Königshauses; da sah er gegenüber eine Frau sich waschen; und die
Frau war von sehr schöner Gestalt. Und David sandte hin und ließ
nach der Frau fragen und man sagte: Das ist doch Batseba, die Frau Urias.
Und David sandte Boten und ließ sie holen. Und er schlief mit ihr;
Dann ließ er sie und sie kehrte in ihr Haus zurück. Und die Frau
ward schwanger und sandte hin und ließ David sagen: Ich bin schwanger
geworden. Am anderen Morgen schrieb David einen Brief an Joab und schrieb
in dem Brief: Stellt Uria vorne hin, wo der Kampf am härtesten ist,
und zieht euch hinter ihm zurück, dass er erschlagen werde und sterbe.
Als nun Joab die Stadt belagerte, stellte er Uria dorthin, wo er wusste,
dass streitbare Männer standen. Und als die Männer der Stadt einen
Ausfall machten und mit Joab kämpften, fielen einige von den Männern
Davids, und Uria starb auch.
Aber Gott missfiel die Tat, die David getan
hatte. Und der HERR sandte den Propheten Nathan zu David. Als der zu ihm
kam, sprach er zu ihm: Es waren zwei Männer in einer Stadt, der eine
reich, der andere arm. Der Reiche hatte sehr viele Schafe und Rinder; aber
der Arme hatte nichts als ein einziges kleines Schäflein, das er gekauft
hatte. Und er nährte es, dass es groß wurde bei ihm zugleich mit
seinen Kindern. Es aß von seinem Bissen und trank aus seinem Becher
und schlief in seinem Schoß und er hielt's wie eine Tochter. Als aber
zu dem reichen Mann ein Gast kam, brachte der's nicht über sich, von
seinen Schafen und Rindern zu nehmen, um dem Gast etwas zuzurichten, der
zu ihm gekommen war, sondern er nahm das Schaf des armen Mannes und richtete
es dem Mann zu, der zu ihm gekommen war.
Da geriet David in großen Zorn über
den Mann und sprach zu Nathan: So wahr Gott lebt: Der Mann ist ein Kind des
Todes, der das getan hat! Da sprach Nathan zu David: Du bist der Mann!"
Dieses Geschehen ist 3000 Jahre her und bietet
doch den Nährboden der Moderne. Es handelt von dem Helden Israels,
strahlender Sieger über Goliath, Seelenverwandler, der den traurigen
König Saul immer wieder mit heilender Musik aufrichtet, Sieger vieler
Schlachten, Dichter des Psalmes: "Der Herr ist mein Hirte" und anderer -
jedenfalls wird er dafür gehalten, Begründer der Stadt Jerusalem,
Vater des Tempelbauers König Salomo. Zu ihm hat Gott als erstem Menschen
gesagt: "Du bist mein lieber Sohn, heute habe ich dich gezeugt" (Psalm2,7).
Es ist die Adoptionsformel geworden für alle Könige, dann auch
Taufspruch, Widmung des Jesus. Wundervoll ist die Zusage Gottes an David
- und uns?: "Ich will sein Vater sein, und er soll mein Sohn sein. Wenn er
sündigt, will ich ihn mit menschlichen Schlägen strafen: aber meine
Gnade soll nicht von ihm weichen" (2.Samuel 7,14).
Wohl zu Zeiten seines Sohnes Salomo sind die
biblischen Bücher Samuelis geschrieben worden, aber die Quellen sind
aus Davids Zeit, sind von David selbst den Schreibern, den Schriftstellern,
den Hofdichtern, den Chronisten des Hofes in Auftrag gegeben. Es ist eine
Sternstunde der Menschheit, dass diese tragische Geschichte nicht der Zensur
zum Opfer gefallen ist, nicht geschwärzt, nicht geschönt wurde.
In der frühen Weltliteratur taucht kein solch entlarvender Bericht aus
Hofkreisen auf. Um 1000 vor Christus, lange vor den Anfängen der Demokratie
in Griechenland, ist Gleichheit aller Menschen hier gelebt worden: Einer
ist Gott - ihr aber seid alle den Zehn Geboten verpflichtet. Einer ist euer
Vater, ihr alle Geschwister.- Israel als Ganzes sah sich zum Kind Gottes
berufen, der König war nur Erster unter Gleichen. Und sündhaft
wie andere auch, gerade weil so begnadet, der Vergebung so
bedürftig.
Davids Menschlichkeit macht, dass zum ersten
Mal Gottes Regieren und menschliches Regieren auseinandergenommen wird. Das
ist sensationell neu: Die sonst völlig übliche Vorstellung ist:
Gott regiert im Himmel, und im Pharao oder im König Hamurabi oder
König Nebukadnezar reicht Gott hinunter und regiert direkt durch diese
Vollstrecker. Dementsprechend glaubte das Volk den Herrscherwilllen als vom
Himmel verfügt.
Auch Paulus, 1000 Jahre später, hat dieses
direkte Ineinander von irdischer Macht und Gottes Willen behauptet: Seid
untertan der Obrigkeit, denn jede Obrigkeit ist von Gott (Römerbrief
13,1) heißt der Satz, der soviel Unheil gebracht hat, weil Millionen
Menschen sich zum Gehorsam gegen irdische Herren durch diesen Satz genötigt
sahen. Das "Gottesgnadentum" der Herrschaften sicherte ihnen die Teilhabe
an Gottes Allmacht zu und verleitete sie, sich für Besitzer der Wahrheit
zu halten. Die Könige im Orient haben immer noch das Bild von der
Zugehörigkeit zum himmlischen Hofstaat; Gott, bzw, Allah, der moslemische
Namen für den einen Gott, spreche direkt aus ihnen, und sie täten
den Willen Allahs hier nahtlos.
Dabei war schon vor 3000 Jahren das Wunder passiert:
Getrennt ist Gottes Reich und Menschenherrschaft, denn keine Abstammung,
keine Weihe, keine Taufe, kein Schwur garantiert das Gutsein der Regierenden.
So werden die Regierenden angreifbar, kritisierbar, stehen nicht mehr
unberührbar da. Was auch immer an direktem himmlischen Einfluß
sie sich zugute halten, ihr Tun muß sich messen lassen an den
Geboten.
Gern hat man ja den Herrschern ihren direkten
Draht geglaubt, und ihnen mehr Rechte zugestanden, zumal, wenn man abgestuft
auch Anteil an den höheren Weihen bekommt. Die Väter sahen sich
als von Gottes und des Landesfürsten Gnaden eingesetzt als kleine
Könige in ihrem Haus, denen Weib, Knecht, Magd , Vieh unterstanden,
Kinder sowieso. Gern hat man der Obrigkeit die Wahrheit als Feld
überlassen, wenn die Obrigkeit ihre Felder den Bauern zur günstigen
Pacht überließ. So hängt alles an allem.-
Um so wichtiger, dass König David auf einen
Propheten stieß, der ihm die Wahrheit sagte. Und David beugte sich
und bat um Vergebung und nahm das Bestraftwerden an und schrie die Trauer
über sein Versagen laut hinaus. Und ließ zu, ja bestellte
Geschichtsschreiber, sagen wir die Presse von damals, dass sie die Verbrechen
des Herrschers ans Licht brachten. Und damit auch öffentlich machten
Davids Buße, und wie das Leben - gesegnet mit Freude und gewürzt
mit viel Leid - weitergeht. Damit hat David die Wiege der Demokratie, ja
der heutigen westlichen Welt geschnitzt. Er hat klargestellt, dass kein Amt
die Wahrheit hat, kein menschliches Tun sich ausgeben kann als Wille Gottes.
David hat klargestellt, dass kein Mensch ohne Sünde ist, darum jeder
in öffentlicher Tätigkeit Kontrolle zulassen muß, ja erbitten
muß. Daraus folgt, mehrere Stockwerke weiter, das Recht auf freie Rede,
Pressefreiheit, dann freie Wahlen und Gewaltenteilung.
Daraus folgt, dass die Demokratie die stärkste
Staatsform ist, weil die Regierenden nur auf Zeit zu sagen haben; Und das,
was sie sagen, der dauernden Kritik ausgesetzt ist und darum immer verbesserlich
ist. Der Prophet tritt heute auf in Gestalt von Opposition und
Untersuchungsausschüssen. In Gestalt hellsichtiger Bilder, und bohrender
Artikel. "Atha ha isch" - Du bist der Mann! Was du eben zornig für
würdig hältst hoher Strafe, das hast du selbst getan! Und David
windet sich nicht, besteht nicht auf Zeugnisverweigerungsrecht. Statt den
Entlarver auf der Stelle töten zu lassen, nimmt David den Bußruf
an und steht in der Öffentlichkeit gerade für sein Vergehen.
Woher hat David die Kraft zu gestehen? Die Kraft
zur Selbstkritik? Er glaubt an Gott, der im Tiefsten Liebe ist, der nicht
die Sünde, aber die Sünder liebt: David weiß seine Ehre bei
Gott gesichert, nicht im eigenen Tun, darum kann er sein Tun kritisch beurteilen
lassen, muß es nicht verstecken, wie böse es auch ist. Er darf
Mensch sein, der recht und schlecht das Leben bestellt; was davon Gott für
"wohlgetan" hält, wird sich zeigen - es wird Dauer haben, bis es von
Besserem überholt und überlagert wird.
Wir dürfen uns mit gemeint wissen, die
Widmung Davids gilt auch uns: "Gott spricht: Ich will dein Vater sein, und
du sollst mein Kind sein. Wenn du sündigst, sollen menschliche Schläge
dich strafen: aber meine Gnade soll nicht von dir weichen" (2.Samuel 7,14).-
Dass wir, alle Menschen uns diesen Satz anziehen dürfen, entnehme ich
Jesu Botschaft. Auch den Fundamentalisten aller Religionen, die Gottes Handeln
abhängig machen vom Tun der Menschen, öffne sich das Ohr: So spricht
Gott: Ich will dein Vater sein und du sollst mein Kind sein. Wenn du
sündigst, sollen menschliche Schläge dich strafen: aber meine Gnade
bleibt bei dir. Amen