Keitumer Predigten Traugott
Giesen 17.11.2002
1. Könige 19,15-19; 2. Könige 2,
1-14 Berufung des Elisa. Die Entrückung des Elia
Das mir schönste Wort für Verstorbene
ist: "Die Entschlafenen" - also die wir entschlafen sahen. Mit friedlichem
Ausdruck bleibt der Leib, der "Reisesack des Lebens" (R. Musil) zurück.
Wir glauben sie vom Tod errettet, es gibt keine Toten, auf Erden nicht, im
Himmel nicht. Es gibt für kurze Zeit noch den Leichnam, den
ausgeglühten Leib. Aber er, die Person, sein Leben ist erhoben in die
Liebe, dem Jesus nach, dem "Erstling der Entschlafenen" ( 1. Korinther 15,20).
Auch ihrem Tod ist die Macht genommen, das Leben
und das unvergängliche Wesen ist ans Licht gebracht. Ja, letztlich
müssen wir das Leben hergeben, um es zu retten. "Wenn das Weizenkorn
nicht zur Erde kommt und stirbt, bleibt es allein, so aber bringt es viel
Frucht" (Johannes 12,24). Wir wissen nicht, wo und wie - Gott ist unser Jenseits,
aber wir haben noch viel vor uns.
Davon erzählt weit vor Christus schon die
Entrückung des Propheten Elia in dem Feuerwagen - erzählt wird
die Verwandlung des sterbenden Elia. Tauchen wir ein in die Erzählung
der Bibel, wohl 2800 Jahre zurück:
"Aber der HERR sprach zu Elia: Geh nach Damaskus
und salbe Hasaël zum König über Aram und Jehu, den Sohn Nimschis,
zum König über Israel und Elisa, den Sohn Schafats, von Abel-Mehola
zum Propheten an deiner statt.
Und Elia ging und fand Elisa, den Sohn Schafats,
als er pflügte mit Jochen Rinder. Und Elia ging zu ihm und warf seinen
Mantel über ihn. Da verließ er Pflug und Rinder und folgte Elia
nach und diente ihm."
Zu den Aufgaben des Propheten Elia gehörte
es, Könige zu benennen und auch einen Nachfolger zu weihen. Elia hat
eine Eingebung, seine Autorität leuchtete, dann war der König gesalbt
und allein gelassen.- Anders die Berufung seines Nachfolgers. Einzigartig
persönlich verlief sie: Er warf ihm seinen Mantel, seine Kutte, seinen
Talar, sein Gewand über. Da gab es nichts zu deuteln. Vielleicht war
er speckig, verfilzt vielleicht ein bunter Rock mit Goldschnüren und
Adlerfedern wie eine heilige Rüstung zugerichtet, vielleicht Bilder
der Rettung eingewebt, jedenfalls, war es das Ornat des Propheten, das verleiht
dem Träger Macht, das Amt zu bekleiden. Auch viel Persönliches
war in dieses Gewand eingewebt, Schweiß des Gotteskampfes, Tränen
der Reue, Spuren von Entbehrung. Jetzt überträgt er den Mantel
des Amtes.
Was geben wir unsern Kindern weiter oder unsern
Nachfolgern? Gibt es Schätze, die wir übertragen und dann
schützen oder befähigen sie die Träger? Es ist doch mehr als
Erinnerung, wenn ich als Pastor am Schreibtisch meines Vaters sitze, der
auch schon Pastor war. Oder wenn man den Ring des Mannes weiterträgt.
Es ist ein Geheimnis, wie wir einander Geist weitergeben - in Form eines
Mantels, das ist eher unüblich bei uns. Aber als Elisa sich eingewickelt
sah in den Prophetenmantel des Elia war sein Leben an der Wende: Er folgte
Elia und diente ihm.
"Der HERR wollte Elia gen Himmel holen und Elia
wusste, dass es zum Sterben geht. Da sprach Elia zu Elisa Bleib du hier,
der HERR schickt mich über den Jordan."-
Über den Jordan gehen als Begriff fürs
Sterben, das kommt aus dieser Geschichte - über den Jordan, hin zu Mose.
Der durfte nicht mit ins Gelobte Land, als die Kinder Israels über den
Jordan nach Westen zogen. Vielleicht war mit "über den Jordan gehen"
auch der Wunsch verbunden, von Gott selbst begraben zu werden. So ist es
im 5. Mose Kapitel 34 gesagt. Und ganz schön ist da von Mose gesagt:
"Seine Augen waren nicht trübe geworden und seine Frische war nicht
von ihm gewichen. Sein Grab aber kennt niemand bis auf den heutigen Tag".
Dass Gott ihn selbst begräbt ist ein wunderbares Bild: Gott stellt den
Frieden zwischen sich und dem Menschen sicher. Wir werden nicht vom Tod,
sondern von Gott mittels Tod aus diesem Leben hinweggenommen. Soviel zum
Begriff: "über den Jordan gehen".
"Also Elia sagt seinem Elisa- Ich muß
sterben und will das alleine. Er aber sprach: Ich weiß, dass du stirbst.
aber so wahr der HERR lebt und du lebst: Ich verlasse dich nicht. Und es
gingen die beiden miteinander."
Ein ganzes Buch steckt doch in diesem einen
Satz: "Ich verlasse dich nicht - und gingen die beiden miteinander." Hier
klingt an, wie Liebenden der Tod widerfährt: "Treue und Trauer, Wissen
und Schweigen, Einheit und Abschied ist bei ihnen. Der Tod verfügt
über die schreckliche Macht, Menschen auseinander zu reißen, die
mit tausend Seilen der Liebe aneinander gebunden sind und in Ewigkeit nicht
von einander lassen können, ihnen muß der Tod erscheinen als ein
Alleszerstörer" (E. Drewermann), von dem Barockdichter Johannes von
Tepl (im Ackermann aus Böhmen) klagt: Grimmiger Tilger aller Leute,
schändlicher Ächter aller Wesen, schrecklicher Mörder - Tod,
euch sei geflucht
Denn Ihr habt meiner Wonnen lichte Sommerblume mir
aus meines Herzens Augen ausgejätet
Ihr habt meines Glückes
Halt entwendet
Frisch und froh war ich vormals
ein jedes Jahr
war mir ein gnadenreiches Jahr
Nun wird zu mir gesprochen: kratz ab,
der Wind treibt mich, die Wellen haben Oberhand gewonnen, mein Anker haftet
nirgens. Drum will ich endlos schreien: Tod, sei verflucht."
Es gibt gute Gründe, dass der Tod sein
muß, irgendwann, aber es gibt keinen Frieden zwischen Liebe und Tod.
"So nötig der Tod auch immer ist in der Ordnung der Welt, so ist der
Tod ein Skandal in der Ordnung des Herzens" (E. Drewermann). Und so muß
die Liebe doch erzählen von einem Heilwerden durch den Tod, wir müssen
doch als Liebende, liebevoll vom Sterben des Geliebten erzählen. Und
die Erzählung des Elisa vom Hinweggerafft werden des Elia ist eine der
schönsten Sterbe-Liebesgeschichten.
Schon dieses Bild für die Liebe: Es ist
wenn es gewährt ist, ein gemeinsame Gehen an den Jordan, ein Begleiten
ans andere Ufer, wenigstens für einen. Elisa weiß, Elia weiß.
Dies jeweilige Wissen, dass die Trennung naht, ist ein Geheimnis für
sich. Und Elia will allein das letzte Stück gehen. Vielleicht will er
sich in der letzten Schwäche nicht zumuten, oder wie Menschen nicht
das Winken am Bahnhof haben können, wollen sie den Abschied abkürzen.
Elia sucht "den scheuen Tod" (E. Drewermann), er will entschlüpfen ohne
Zeugen, aber die Liebe will nicht lassen. Denn die Liebe sieht das Sterben
nicht als Schäbiges, nicht als Verlöschen und Versinken in den
Staub, - Sterben ist der Liebe nicht "auf einen Sarg zugehen". Sondern die
Liebe übergibt der Liebe: sie befiehlt den Scheidenden in Gottes
Hände, will den Geliebten ins Glück fahren wissen, auf Flügeln
der Morgenröte.
"Und gingen die beiden miteinander. Am Jordan
dann nahm Elia seinen Mantel und wickelte ihn zusammen und schlug ins Wasser;
das teilte sich nach beiden Seiten, so dass die beiden auf trockenem Boden
hinübergingen."
Sie kamen durch auch die letzte Strecke gemeinsam;
ringsum die Flut des Erschreckens, das Todeswissen, das Leiden am baldigen
Voneinander-scheiden-müssen. Aber sie kommen durch, trockenen Fußes,
ans andere Ufer, ein Bild auch für das Reich der Bilder und Träume,
nah am Paradies, die Liebenden erzählen sich den Hunger nach Vollendung,
oder einer bedenkt es für den andern. "Ja , alle Lust will Ewigkeit"
(Goethe), darum müssen wir wohl unser Fleisch hier lassen, denn der
Leib ist unstet, ist unruhig, wir sind hier noch nicht das ideale Paar, -
wir sind nur bestenfalls gerade gut genug uns zu geleiten bis an die Grenze,
wo uns Gott die Seele fortküsst aus diesem gebrechlichen und ich-verhafteten
Leib. Und dann geben wir gern den Zurückbleibenden was von uns mit,
so auch Elia:
"Und als sie hinüberkamen, sprach Elia
zu Elisa: Bitte, was ich dir tun soll, ehe ich von dir genommen werde. Elisa
sprach: Dass mir Anteile von deinem Geiste zufallen. Er sprach: Du hast Schweres
erbeten. Doch wenn du mich sehen wirst, wie ich von dir genommen werde, so
wird's geschehen; wenn nicht, so wird's nicht sein."
Also Elisa will Elias geistiges Erbe antreten,
will so werden, wie er, jedenfalls in geistlicher Bedeutung für andere.
Das ist mehr als den Prophetentalar zu übernehmen, oder seine Bücher
auswendig lernen: - Voraussetzung ist: Er weiß Elia als bei Gott
angekommen, als existent über den Tod hinaus, als in der Liebe geborgen,
denn das war doch die geistige Substanz des Elia, dass wir "von guten
Mächten wunderbar geborgen bleiben" und der Liebe gehören. Elisa
muß erfahren, dass Elia hinter das Leben geleitet ist, in ein Wachsein
nach dem Tode, in Gottes Nähe aufgehoben ist. Das ist Anteilbekommen
an dem geistigen Erbe des Elia. Darum sagt er auch: "Schwierig, dein Wunsch.
Wenn du mich sehen wirst, wie ich von dir genommen werde, so wird's geschehen;
wenn nicht, so wird's nicht sein. Du musst mich in Gottes Händen wissen,
dann bist du meines Geistes Kind."
"Und als sie miteinander gingen und redeten,
siehe, da kam ein feuriger Wagen mit feurigen Rossen, die schieden die beiden
voneinander. Und Elia fuhr im Wetter gen Himmel."
Dies Bild der Liebe: Gott führt seinen
Geliebten im Sonnen-Triumphwagen nach Hause - das ist innigstes Vertrauenswissen:
Du, geliebt, gebraucht, du Mensch, ewig, persönlich, einzig! Und das
ist mitten im Alten Testament! Das Vorbild für Christi Himmelfahrt und
für die unsrige: Auch wir dürfen hoffen, heimgeholt zu werden ins
ewige Zuhause, auf die Rückseite der Zeit, wo die Vorangegangenen schon
wandeln.
Wir sehen wohl nicht dies glühende Bild
von der Himmelfahrtexplosion. Aber wir spüren auch: Aus dem leblosen
Körper ist die Seele verschwunden. Sein Ich begraben wir nicht. Gott
führt ihn heim. Sein Ich und sein Lieben und sein Schuldigwerden und
sein erlittener Mangel münden in der Liebe, wir müssen noch um
so viel Liebe ergänzt werden.
"Elisa aber sah es und schrie: Mein Vater, mein
Vater, du Wagen Israels und seine Reiter! und sah ihn nicht mehr."
Dem Elia ist sein großes Vorbild gestorben,
der Fels, der Erleuchtete, ein Gebirge an Weisheit - da bleiben wir zurück
als Flachland, er zu schade fürs Sterben, hätten nicht wir eher
gehen sollen?
"Da fasste er seine Kleider, zerriss sie in
zwei Stücke."
Trauer, Entsetzen, das Gefühl von Verlassensein
und Leere, nicht wert, weiter zu leben. Doch dann die Bekehrung zum Selbst.
Du bist auch wer, du hast auch einen Weg vor dir, du hast noch viel zu erledigen,
du musst noch wahr werden, mehr du selbst: "und hob den Mantel auf, der Elia
entfallen war, und kehrte um."
Er nahm den Auftrag, das Erbe an, und lernte,
selbst zu leben diesen Glauben an den großen Gott, es zu tun auf seine
Weise. So auch wir, bitte. Amen.