Predigt 23. März 2003
Keitumer Predigten Traugott Giesen 23.03.2003
Wißt ihr nicht, wes Geistes Kind ihr seid?
Lukas 9, 51 Als die Zeit erfüllt war, dass Jesus die Entscheidung suchte,
brach er auf in Richtung Jerusalem. Und einige Jünger gingen voraus
in ein Dorf Samariens, um Herberge zu bereiten. Und da wies man sie ab und
schloss vor ihnen die Türen, sie galten ihnen als Fremde. Das erzürnte
die Jünger, vor allem Jakobus und Johannes. und sie sprachen zu Jesus:
Herr, das kannst du dir nicht bieten lassen; willst du, so wollen wir sagen:
Feuer falle vom Himmel und verzehre sie!
Jesus aber sagte: Wisst ihr nicht, wes Geistes Kinder ihr seid? Ich bin nicht
gekommen, Menschenleben zu vernichten, sondern zu erhalten. Und sie gingen
in ein andres Dorf.
Wes Geistes Kind seid ihr? fragt Christus uns, die es auch gelüstet,
mal, Feuer regnen zu lassen. Weil wir nicht genügend Achtung erfahren,
weil wir schlicht den anderen verübeln, dass sie uns ablehnen, wollen
wir sie zum Teufel wünschen. Schon stark gezeichnet sind die Jünger
- wegen Jesus haben sie alles verlassen und ziehen mit ihm, hängen an
seinen Lippen, saugen seine Liebe, - aber beim geringsten Gegenwind brausen
sie auf, sind tief gekränkt, wollen ausradieren und Weltgericht vollziehen.
Ja, bei den Jünger kommt noch hinzu, dass ihr geliebter Herr mit
Füßen getreten wird. In vorauseilendem Gehorsam wollen sie Macht
demonstrieren, sie sind ja mit Gottes Sohn unterwegs, und sie, die
Auserwählten, die Wiedergeborenen können nicht zulassen, dass der
Herr so behandelt wird.
Das ist typisch für uns, auch auf anderer Ebene: Wenn wir als ältere
Geschwister die Ehre der Eltern verteidigen, fühlen wir uns besonders
stark. Oder wenn wir als Beamte des Staates die unliebsamen Bürgerbegehren
abwürgen oder im Namen des Gesetzes den wehrhaften Richter oder Staatsanwalt
spielen oder als Priester im Namen Gottes die Sünder abkanzel, - oder
uns aufwerfen, im Namen der Menschheit einen Krieg zu führen, weil die
Völkergemeinschaft angeblich zu willensschwach sei.-
Immer, wenn wir im Namen höherer Mächte - Eltern, Staat, Recht,
Gott, Menschheit, - Gericht vollziehen, inthronisieren wir uns als die Guten
ab, indem wir andere als die Bösen hinstellen. Natürlich machen
wir nur die Drecksarbeit, aber wer macht es denn sonst, wer steht denn für
den Herrn ein oder für die Eltern oder für das Recht oder die
Menschheit - die andern, die kümmern sich nicht drum, die sehen den
Skandal gar nicht, die gehen ihres Weges, die machen ihr privates Ding, die
lassen Gott allein.
Die Jünger flüstern aufgebracht dem Jesus: Du, Gebieter, das kannst
du dir nicht gefallen lassen, diese Missachtung, du bittest um Quartier,
und die schlagen die Tür zu: Schlag sie mit Blindheit! Du
repräsentierst doch Gott, den Allmächtigen: Hat er nicht schon
mal Feuer regnen lassen auf Sodom und Gomorrah (1. Mose 18)? Und erwarten
nicht die Gerechten: laut Psalm 11,6: Er wird regnen lassen über
die Gottlosen Feuer und Schwefel und Glutwind ihnen zum Lohne. Ja,
gibt es nicht die Drohung des ewigen Feuers für die, die von Gott abfallen
(Matthäus 18,8)? Die dich, Jesus, verachten, die sind doch die, die
von Gott abfallen; sind die nicht der Abfall der Menschheit; wert, vom Feuer
gefressen zu werden? Also willst du, ja, wolle doch, dass wir Feuer auf sie
herabschicken, - dafür haben auch wir schon auf zuviel verzichtet, als
dass wir uns so behandeln lassen können, denk doch auch an uns. Lass
uns das Dorf abbrennen, damit wir ihre Seelen retten. -
Vielleicht sehen wir die, die Krieg machen im Irak und die Jünger, die
verzückt das Gericht vollziehen wollen, weit weg von unsereins, aber
das hat keinen Sinn, dass wir über andere reden. Vor 60 Jahren waren
unsere Eltern, Großeltern genauso an Krieg beteiligt; nichts spricht
dafür, dass wir in ihrer Lage klüger gewesen wären. Und auch
wenn wir weit von uns weisen, Feuer und Schwert auf andere zu wünschen,
sind wir den verdammenden Jüngern nah. Wir haben auch schon verlacht,
zerlacht, verhöhnt, verächtlich nachgeredet - manchmal beschämt
mich jemand, der entschuldigend redet, bei übler Nachrede im Kreis,
nachfragt, das Gute am Kleingemachten vergrößert, für
Schwächen kein Interesse hat.
Klar, warum wir hassen: Hass macht gewichtig; er versucht, die
Überlegenheit aufzuwiegen, Hass ist die Rache dafür, dass man
eingeschüchtert wurde, nicht für ernst genommen wurde,
übergebügelt wurde. Am Anfang von Hass steht Ohnmacht, und daraus
wabern die Schwaden des Hasses gegen mich selbst. Dann über die andern.
Wer die eigenen Hassausbrüche gegen sich weiß - wie kann der sich
über Haß bei anderen wundern? Da gibt es eine Automatik. Das
gekränkte Wesen richtet auf an seinem Hass; und findet seine Stärke
wieder an der Kraft zu zerstören. Das ist bei chancenlosen Jugendlichen
so, Randale zeigt, sie können noch was, irgendetwas bewegen. Und die
Ohnmacht der Palästinenser, vielleicht vieler Araber, die jetzt wieder
sich vom Westen gedemütigt sehen, kann in Gewalt umschlagen. Oder Bush,
der die Demütigung des 11. September rächen will, - um wieviel
legitimer scheint ihm sein Kampf, wenn er gleich das Reich des Bösen
meint bekämpfen zu sollen? Oder die Jünger: Herr, sollen wir sagen:
Feuer falle vom Himmel! Diese Gewissheit, dass der Himmel zu Diensten ist,
weil man ja dem Himmel diene, eine gefährlichere Versuchung gibt es
nicht.
Aber Jesus, endlich - der wunderbare Mensch sagt: Wisst ihr nicht wes Geistes
Kind seid? Wisst ihr nicht, was in euch steckt, wisst ihr nicht, dass ihr
Zweige seid meines Baumes, also gute Früchte von euch zu erwarten sind?
Ich bin nicht gekommen, Menschen zu vernichten, sondern zu erhalten. Das
ist nicht nur Beherrschung und Überwindung und Verzicht auf Rache, das
ist nicht nur vorbildliches Schlucken des Gekränktseins, sondern eine
beglückende Kraft zum Guten, - in Jesus sprudelt eine Quelle der Heilkraft:
Die erneuert den Jüngern ihr Bewusstsein und wäscht auch unserem
Geist die Finsternis aus. Ich bin doch gekommen um Leben zu fördern,
nicht zu vernichten, sagt Jesus von sich. Und zu seinen Jüngern, also
zu uns: ihr seid auch geschickt, um das Leben zu fördern.
Also lass dich nicht auf Diskussionen ein, als könne man mit Töten
Leben retten. Es gibt zerreißende Konflikte, wo man töten muß,
um Leben zu retten, - die müssen dann aufs eigene Gewissen genommen
sein, und dann muß man Gott und Strafgesetzbuch sich ausliefern. Bei
schwerer Geburt: Mutter oder Kind; Todesschuss bei Geiselnahme, Bombardierung
Deutschlands, das von Hitler und Angriffskriegen nicht abließ, Attentate
auf Tyrannen - Du sollst nicht töten. Mehr gibt es nicht
zu sagen. Jesus sagt; Ich bin nicht gekommen um zu töten, sondern zu
retten, nicht zu richten, sondern zu heilen. Und Du Mensch auch. Du weißt,
wes Geistes Kind du bist.
Der Gott und Vater Jesu Christi wirft kein Feuer, auch nicht auf Sodom und
Gomorrah, selbst wenn das Frühere anders sahen und eben
Vulkanausbrüche oder Überschwemmungen als Strafen verstanden. Ihr
seid doch Kinder der Liebe, Gott ist die Liebe, die Liebe leidet, und setzt
auf Einsicht, auf Bekehrbarkeit, auf Heilung, gibt sich selbst, aber lässt
nicht andere bluten.
Ja, es sind viele am Ende ihrer Lernfähigkeit - auch schon früh
im Leben. Aber Du nicht: Du kannst aus der Quelle Christi trinken und dein
Geist wird auffahren mit Flügeln wie Adler. Hitlers Lernfähigkeit
etwa war früh beendet, Kennzeichen war sein "auf einem Punkt Herumtrampeln".
Wie man ein Volk von so einem geistesranken Wahngenie isoliert, ist eine
schwere Frage: es kann sein, dass ein ganzes Volk in Gewaltverfinsterung
versinkt. Aber Jesus hält seine Jünger und also uns auch für
noch lernfähig. Wir können mit Jesus unsere große Berufung
zu Kindern Gottes wissen. Was können uns da Neid und Nickeligkeiten
anderer anhaben?
Wir müssen einfach größer von uns denken, und nicht so
dumpfbackig schwach, als könne uns ein schräges Wort der Nachbarin
fällen oder eine Beleidigung des Kollegen klein machen. Ein Hoch auf
die Helden, die Beleidigungen einfach überhören, die Kränkungen
mit einem Lächeln wegstecken: Ich glaube Sie verwechseln mich,
ich tu das auch schon mal - und wie der dann staunt! Ja, staunen machen
- das hat Jesu mit seinen Jüngern auch gemacht: Ihr werdet euch doch
nicht durch Unhöflichkeit zu Monstern machen lassen. Seid doch nicht
so hochtourig immer auf Abwehr aus, es ist eine Droge: sich ja nichts gefallen
lassen. Schlag auf Schlag. Dem Jesus war der Rausch des Verletzens in einem
unglaublichen Grade unbekannt (nach Cioran). Er war in der Liebe geborgen,
er war so was von überzeugt, von Gott gewollt zu sein. Darum ist ihm
der Friede möglich und Vergebung siebzig mal sieben mal. Will dieses
Dorf ihn nicht, geht er weiter zum nächsten. Er lässt zu, verleugnet
zu werden, ohne zu verfluchen. Er nennt den Verräter: Freund, Den
Verleugner: Fels. Seines Geistes Kind zu sein ist wunderbar. Wir sind noch
in Arbeit. Amen