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Predigt 04. Juli 2004

Keitumer Predigten Traugott Giesen 04.07.2004

Mose 32, 22-31

Ist es so bedenklich mit uns? Wie zu Jesajas Zeit prophezeit: „Gott werde noch einmal einen Tiefschlaf ausgießen,  dann werde es mit den Gottesworten gehen wie in falsche Hände geraten: Man gibt einem ein Buch und fordert ihn zum Lesen auf. Er aber gibt es zurück: 'Ich verstehe mich nicht auf Geschriebenes'. " (Jesaja 29,10f). Wir müssen Bibel lesen, die wichtigsten Erfahrungen der Menschheit dürfen nicht im Vergessensfluss versinken. Wir müssen uns erinnern lassen, wie Gott wohl den Menschen tut.

Die Glut der Geschichte ist zu ehernen Daten erstarrt, aber im Erzählen kann Erfahrung frisch werden. Ich sah die Pyramiden, diese Steingebirge, diese Totenstädte - das stieß mich neu auf das Glück des hellen Christenglaubens. Ja, in den goldschönen Masken und Grabbeigaben schimmert auch Hoffnung. Aber nicht in dem generationenfressenden Sklavenwerk: diese schwarzen Dreiecke des Todes. Steine sprechen lassen, und erst recht die Seiten der Bibel sprechen lassen, das ist Dienst der Kirche. Aus den Seiten der Bibel die Früchte der Erkenntnis schütteln, dazu sind wir zum Gottesdienst versammelt. In höchster Dichte, in höchster Verdichtung treffen wir in der Bibel auf Menschen, die von Gott getroffen werden.

Einer ist Jacob, das Muster eines „Gauners von Gottes Gnaden.“ Er handelte seinem Bruder für das buchstäbliche Linsengericht, also für so gut wie nichts, das Erstgeburtrecht ab, Esau, dem Jäger, der nur die Jagd im Kopf hat. Aber später rächte er sich und machte Jagd auf seinen betrügerischen Bruder. Dieser war inzwischen bei seinem Onkel Laban in 14 Jahren Dienst reich geworden durch Pfiffigkeit und zog mit seinen Frauen Lea und Rahel und seinen Kindern und massenhaft Vieh des Weges auf der Suche nach Land zum Sesshaft werden. Da hört er, dass Esau ihm entgegen komme mit vierhundert Mann, ihn berauben und womöglich umbringen werde. „Da fürchtete sich Jakob sehr und ihm wurde bange. Und sprach: Gott meines Vaters Abraham und Gott meines Vaters Isaak, Errette mich von der Hand meines Bruders Esaus; denn ich fürchte mich vor ihm, dass er komme und schlage mich, die Mütter samt den Kindern. Du hast gesagt: Ich will dir wohltun und deine Nachkommen machen wie den Sand am Meer, den man der Menge wegen nicht zählen kann. Und er blieb die Nacht da und nahm von dem, was er erworben hatte, ein Geschenk für seinen Bruder Esau: zweihundert Ziegen, zwanzig Böcke, zweihundert Schafe, zwanzig Widder und dreißig säugende Kamele mit ihren Füllen, vierzig Kühe und zehn junge Stiere, zwanzig Eselinnen und zehn Esel, und tat sie unter die Hand seiner Knechte, je eine Herde besonders, und sprach zu ihnen: Geht vor mir her und lasst Raum zwischen einer Herde und der andern. Und er gebot dem ersten und sprach: Wenn dir mein Bruder Esau begegnet und dich fragt: Wem gehörst du an und wo willst du hin und wessen Eigentum ist das, was du vor dir hertreibst? sollst du sagen: Es gehört deinem Knechte Jakob, der sendet es als Geschenk seinem Herrn Esau und zieht hinter uns  her. Ebenso gebot er auch dem zweiten und dem dritten und allen, die den Herden nachgingen, und sprach: Wie ich euch gesagt habe, so sagt zu Esau, wenn ihr ihm begegnet, und sagt ja auch: Siehe, dein Knecht Jakob kommt hinter uns. Denn er dachte: Ich will ihn versöhnen mit dem Geschenk, das vor mir hergeht. Danach will ich ihn sehen; vielleicht wird er mich annehmen. So ging das Geschenk vor ihm her; er aber blieb diese Nacht im Lager.“

Mich ergreift diese üppige Geschichte, gerade wohl, weil ich, wenn überhaupt, so kärglich im Streit liege, so krümelig rechthaben will. Oder höchstens mir ein „Tschuldige!“ abringe, also nur kleine Schritte tue auf den Andern zu. Dagegen Jacob: Was fährt der auf, um seinen Bruder gnädig zu stimmen. Was bringt der schon als Vorschuß, als Lockvogel, als Geste der Wiedergutmachung, ohne überhaupt sicher zu sein, dass Esau annimmt. Klug ist er, denn nimmt Esau nicht an, könnte er ihm alles wegnehmen. So aber hofft Jacob dem Esau, noch auf dem Weg, stückweise die Wut abhandeln zu können, besänftigt ihn mit großen Brocken, stärkt seine Ehre, stellt sie schon vorweg wieder her, zeigt, dass er sich unterwirft, aus Einsicht in seine Schuld. So könnte er Esau befrieden, wenn es gut geht. Dieses Großdenken mit großem Herzen, einen großen Mut haben, sich bedürftig zu zeigen und auch willig sein, großzügig zu teilen, dies sich wirklich die Hände schmutzig machen für Wiedergutmachung, dies Kämpfen um Versöhnung - diese Leidenschaft, Verletzung zu lindern und dem andern auch Friedenswillen zuzutrauen - groß ist das. Und das Gegenteil von unserem trägen Stolz, der sich taub stellt. Und erst mal abwartet.

Woher die Kraft zu diesem Weg der Unterwerfung? Jacob konnte sich beugen, weil er aufrecht gehalten wurde von großem Glauben: Gott, das Leben, will mich doch erhalten, da kann ich doch fahren lassen, wovon ich viel genug habe, was klammere ich mich an Besitz, Ehre, Macht, die doch immer nur Mittel zum Zweck sind - und welcher Zweck ist heiliger als Frieden zu beschaffen?

Noch ist der Ausgang offen, noch ist Jacob in Ängsten. „Und Jakob stand auf in der Nacht und nahm seine beiden Frauen und die beiden Mägde und seine elf Söhne und zog an die Furt des Jabbok, nahm sie und führte sie über das Wasser, so dass hinüberkam, was er hatte, und blieb allein zurück.“

„Lesen heißt verstehen, was dasteht“(Gerhard von Rad). Können wir noch lesen? „Und blieb allein zurück“- Jacob bringt alles, was zu ihm gehört auf die andere Seite des Flusses. Sein Geliebtes und sein Anvertrautes und seine Habe – alles am anderen Ufer, alles schon der Zukunft zugewandt, ob mit oder ohne ihn. Er aber geht noch mal zurück, waffenlos, mittellos, mit leeren Händen dastehen- Ein ideales Bild des Ausgeliefertseins, noch mal am alten Ufer Blick zurück, was war das alles, was hab ich erlebt, wer bin ich jetzt, und für was. Mit leeren Händen und heißem Herzen am äußersten Rand des Vergangenen, Dank und Wehmut, wohl, erwachsen geworden, viel geschuftet, auch gesündigt, viel geliebt - und jetzt soll alles aus sein? Was wird wohl, was wartet auf mich? Ich muß meinen Hochmut lassen. Und was ist mit Gott? Schlafen unter dem Himmel, nur mit der Sternendecke zugedeckt. Das ist ein starkes Bild, sich auszuliefern an das Schicksal, an die guten oder dunklen Mächte, er hat sich ganz allein und verletzlich gemacht.

Da geschah dem Jacob dies: „Es rang so was wie ein Mann mit ihm, bis die Morgenröte anbrach. Und als er sah, dass er ihn nicht übermochte, schlug er ihn auf das Gelenk seiner Hüfte, und das Gelenk der Hüfte Jakobs wurde über dem Ringen mit ihm verrenkt. Und er sprach: "Lass mich gehen, denn die Morgenröte bricht an".

Ein Entsetzliches ringt mit ihm, kämpft mit ihm. Auch Jakob weiß nicht, wer und was ihn da angefallen hat, etwas , das zur Nacht gehört. Nietzsche sagt: „Wir werden am schlimmsten von unsichtbaren Händen gebogen und gequält.“ Unbenennbar, formlos, so etwas muß den „Schrei“ von Edward Munch ausgelöst haben. Es kann auch ein Entsetzen über mich selbst mich überfallen, es könnte mich das Ich kosten. - Jakob, um nicht zu erstarren, schlägt zurück. Und will Sprache tauschen, er muß wissen, wer das ist, er hält das Entsetzliche für ansprechbar, nicht für einen stummen Dämon der Vernichtung, sondern unter der Maske des Bedrängenden wittert er den Engel der Verwandlung. Jacob spricht hinein in das, was mit ihm ringt, er spricht Gott selbst an, als wüsste er schon,was Paulus dann so sagt: Nichts kann uns scheiden von Gott, weder Mächte noch Gewalten“ (Römer 8,38) und schreit „Ich lasse dich nicht, du segnest mich denn.“

Jacob zwingt das Schwarze, dass es Morgenröte auflege, „Es soll doch nicht dunkel bleiben über denen in Angst“ (Jeaja 5,23), dies Versprechen ausquetschen, heißt: ich muß dem Schmerz die Heilkraft auspressen, Jacob glaubt: „Wo die Verzweiflung wächst, wächst das Rettende auch“ (F. Hölderlin). Das Leid muß das äußerste Ende des Guten sein. Es muß dahinter sich Heil finden, sonst ist es nur zum Verrücktwerden.

Kämpfen um das Rettende im Argen, ist das Wesen des Gottesglaubens. Kämpfen, dass das Böse ein Gesicht bekommt, Es ansprechen, dem Schweigen nicht das Feld lassen. Und ja, das Niederringende sprach: „Wie heißt du? Er antwortete: Jakob. Er sprach: "Du sollst nicht mehr Jakob heißen, sondern Israel; denn du hast mit Gott gekämpft."

Jakob – der Name meint ja so was wie „Fersenhalter“- der aus dem Mutterleib als Zweiter kam, und dem Ersten schon bei der Geburt den Vortritt nicht lassen wollte, ihn an der Ferse hielt.- Was mit Jacob ringt, der Niederringende gibt sich zu erkennen als vollmächtig, umzutaufen; einen Menschen umwidmen kann er, ihm neues Wesen schenken, kann uns verwandeln durch Mühen hindurch: er gibt ihm einen neuen Namen: dein Name soll sein: Israel, Du hast mit Gott gekämpft.

Dann ist das unser Wesen auch: Mit Gott, dem Leben kämpfen und ihm Segen abringen. Das ist unser Auftrag: das Beste draus machen. Gute Ernte, Freundschaft, schöne Städte, gute Erziehung, zufriedene Kunden, Chancen den Bedürftigen verschaffen. Gott, Leben, lass mich nicht verschütt gehen. Lass mich nicht versinken, zieh mich ans Licht! Und Jakob fragte ihn und sprach: "Sage doch, wie heißt du?" Er aber sprach: "Warum fragst du, wie ich heiße?" Und er segnete ihn daselbst. - Das genügt. Gott heißt: „Ich segne Dich“. Tatsächlich: Gott hat keinen Eigenname, sein Beruf ist sein Name: Jahve: „Ich bin für Euch da „ (2. Mose 3,14) oder der, die Segnende, die Spendende, der Gebende. Und Jakob nannte die Stätte Pnuël; denn, sprach er, ich habe Gott von Angesicht gesehen. Und als er an Pnuël vorüberkam, ging ihm die Sonne auf; und er hinkte an seiner Hüfte.-

Es ging dem Gesegneten die Sonne auf, und er hinkte. Der den Jacob segnet, schlägt ihm bei der innigen Umarmung auf die Hüfte. Noch ein Traumbild der Menschheit: Der Gesegnete hat auch Leid, es geht wohl nicht anders. Nur im Gehen durch die Mühen bringt der Segen Frucht. Wir sind aus zerbrechlichem Material, auch unser Lieben ist begrenzt, Schönheit vergeht, wissen kriegt Löcher. Der Segen ist: (Psalm 147,14): „Gott schafft deinen Grenzen Frieden.“ Du kannst dich aushalten, kannst auskommen mit deinen Nächsten, du bekommst genügend, aber schaff anderen auch ihr Genügen. Dann ist Friede - Jakob bittet Esau um Vergebung und teilt mit ihm seinen Besitz. Der Gesegnete ist nie allein gesegnet, darum zur Erinnerung der Schmerz in der Hüfte, oder Kopfweh oder was ist Dein Weh? Zerbrechlich, Du Gesegneter, du gesegnet und zerbrechlich. Und stündlich bist du gefährdet, dass Leid nach dir greift, aber das ist der Segen - mitten durch den Schmerz hindurch, Gott am Werk wissen, ihn anreden, sich ihm ans Herz schmeißen und auf die Morgenröte harren.

Ich wette, dass uns endgültig die Sonne aufgeht, wenn uns die Welt untergeht. Bis dahin können uns immer wieder Nächte überfallen, in denen wir uns verloren zu gehen drohen. Dann klammer Dich an das Niederziehende, und sprich es an. Auch dir soll die Morgenröte aufgehen, du wirst entgiftet durch Erleuchtung;: Du hinkend, gesegnet. Es kann sein, dass die Nacht dich bedrängt. Aber Du kannst nicht mehr ganz verloren gehen, du hast ein Bild im Kopf, dass dem Hinkenden die Sonne aufgeht.


 




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