Predigt 23. März 1997
Keitumer Predigten Traugott Giesen 23.03.1997
Palmsonntag
Markus-Ev. 14, 1-9: "Es waren noch zwei Tage bis zum Passahfest und die
Hohenpriester suchten, ihn mit List zu greifen um ihn zu töten. Er aber
war zu Gast in Betanien, im Hause Simons des Aussätzigen saß er
zu Tisch. Da kam eine Frau, die hatte ein Glas mit unverfälschtem und
kostbarem Nardenöl, und sie erbrach den Siegelverschluß des Glases
und ergoß die Narde auf sein Haupt und seine Haare.
Da wurden einige der Jünger unwillig und sprachen untereinander: Was
soll diese Vergeudung? Man hätte dieses Öl für mehr als
dreihundert Silbergroschen verkaufen können und das Geld den Armen geben.
Und sie fuhren sie an.
Jesus aber sprach: Laßt sie in Frieden! Was betrübt ihr sie? Sie
hat ein gutes Werk an mir getan. Denn Arme habt ihr allezeit bei euch, und
wenn ihr wollt, könnt ihr ihnen jederzeit Gutes tun; mich aber habt
ihr nicht allezeit. Sie hat mir getan, was sie an Liebe mir tun konnte; sie
hat meinen Leib im voraus gesalbt für mein Begräbnis. Wahrlich,
ich sage euch: Wo das Evangelium gepredigt wird in aller Welt, da wird man
auch dies festhalten zu ihrem Gedächtnis."
Es gibt so Geschichten, die ein ganzes Leben spiegeln. Diese Salbung von
Betanien ist so ein hellsichtiges Geschehen; die Passionsgeschichte des Jesus
ist in ein Bild gefaßt: Eine Frau, ein Mensch liebt. Und das ist gut.
Basta, als wüßte Jesus auch nicht mehr - aber wenn wir alle dies
Wenige wüßten, wäre Karfreitag nicht passiert und Kriege
wären nicht mehr.
Warum überhaupt hielten die Schriftgelehrten den Jesus für so
gotteslästerlich, daß sie ihn ausrotten wollten, mußten?
Sie spürten es als Auftrag. Es war eine Zeit erfüllt; eine neue
Gotteserkenntnis sollte offenbar werden. Die Schriftgelehrten verteidigen
eine Gottesvorstellung, die den Richter, den Gesetzeshüter vor Augen
hat, der die Anständigen belohnt und die Sünder durch harte Strafen
zur Besserung bringt. Die Schriftgelehrten sehen sich als Speerspitze dieser
messianischen Erwartung, sehen sich als Gottes Verteidiger in gefährlicher
Zeit. Denn da tritt einer auf, der gegen die Schrift sagt: Ich aber sage
euch. Der von sich behauptet: Hier ist mehr als Abraham. Der Sünden
vergibt, was als Vorgriff auf's Jüngste Gericht angemaßt scheint;
der Kranke heilt, wo doch gelehrt wird: Krankheit sei als Strafe demütig
hinzunehmen.
Jesus trägt dieses neue Wissen in die Hauptstadt. Ja, wenn er leise
geblieben wäre. Solange er in den Dörfern, weit von Jerusalem die
Analphabeten beglückte - so sagte sich der Priesteradel am Tempel -
solange konnte er noch totgeschwiegen werden. Aber Jesus sucht die Entscheidung,
er will gehört werden, er will sein erlösendes Wissen im Zentrum
der Macht vertreten - und wenn er daran stirbt. Er steht unter einem Auftrag,
daß mit ihm Reich Gottes anbricht: Jesus will und muß Zeuge des
Gottdurchfluteten Lebens sein und des Lebensdurchfluteten Gottes.
Jesus ist kein Religionsstifter, wie vergleichende Religionswissenschaftler
ihn katalogisieren, eben um ihn vergleichbar zu machen. Jesus ist auch nicht
abzutun als frommes Genie, das auf den Seelen der Menschen zu spielen weiß,
oder als großer Religions-Designer, der wie eine weiße Taube
die Gottheit hervorzaubert, die wir Menschen gern im Himmel hätten.
Jesus ist der Grundriß des Neuen; Jesus spürt, daß in ihm
das gottdurchflutete Leben und der lebensdurchflutete Gott geschieht.
Ja, wenn das Leben egal wäre, samsara, Haschen nach Wind, des Teufels
Schaubude, Raum für Allotria, könnte Jesus sich aus der Welt
heraushalten. Aber er meint ja, uns zum Glück, das Leben ist
gottdurchflutet. Siehe es war sehr gut, meint: Vom Ursprung her ist das Leben
voll Gotteskraft. Darum zählt Leben so, nur Leben ist Reichtum! Darum
muß Jesus nach Jerusalem, um sich einzumischen, Zeuge zu sein für
das von Gottesfäden durchwebte Leben. Und Jesus hätte sich auch
in einen Elfenbeinturm zurückziehen können, wenn er Gott für
jenseits allen Lebens gehalten hätte, alabastern, Geist ohne Natur,
ohne Körper. - Aber Jesus glaubt ja den lebensdurchfluteten Gott; das
Leben spielt in Gott, wir - seine Zellen, seine Fühler; sein Fühlen
geschieht in unseren Händen, auf unserer Haut. Was wir einander tun,
tun wir Christus, tun wir Gott an.
Jesus sieht Gott im Geschehen die je neue Form suchen: Ich bin, der ich da
bin, der ich jeweils da bin, der ich jeweils neu da bin für dich. Also
kein Träumen vom Weltenjenseitigen Guten, der das Diesseits uns Menschen
oder einem Teuflischen überließe. Auch hält sich Gott nicht
keimfrei vom Leben, er wirkt in den Leidenschaften und Wirren des Menschenlebens.
Gott ist es, der in euch wirkt beides, das Wollen und Vollbringen. Darum
schaffet, daß ihr selig werdet (Phil. 2,13).
Jesus geht ans Kreuz, als Probe auf seinen Glauben daß uns von Gott
nichts scheiden könne. Er hat diesen Weg nicht gesucht, aber auch nicht
sich ihm entzogen. Ihm nach müssen wir uns niemals verlassen sehen,
sondern im Extrem: Wir fallen, fallen in den, der das Fallen noch beherbergt.
- Von allen Seiten umgibst du mich, am Ende bin ich immer noch bei dir (Psalm
139). Die Liebe höret nimmer auf - weil wir nicht aufhören, der
Liebe zu gehören.
Das erzählt die Geschichte von Betanien, die kleine Szene: Ein Essen,
eine Frau tritt hinzu, salbt Jesus. Einige der Jünger blicken scheel,
mißbilligend; jedenfalls freuen sie sich nicht mit. Sie sind
ärgerlich, daß ein anderer Mensch, ein Außenseiter, irgendeine
Frau ihren geliebten Herrn mit soviel Zartheit beschenkt - und sie, die
hölzernen Kerle, haben keine, die sie salbte; auch keine, die sie das
Salben lehrt, das Zartsein. Und wahrscheinlich mögen sie ihren Körper
auch nicht, vielleicht sich letztlich selbst nicht. - Sie müssen die
Liebe dieser Frau zu Jesus madig machen; und brechstangenhaft geht das mit
moralischen Argumenten: Man hätte das Geld den Armen geben können.
-
Aber Jesus entlarvt ihr Argument. Es klingt nur menschenfreundlich, aber
es verletzt den einzelnen, konkreten Menschen. Es ist Waffe, nicht Erleuchtung.
Die herrischen Argumente, die engen bedrängenden Vernünfteleien,
die an andern rummäkeln: Man hätte es den Armen geben sollen...
Ja, tut es, wann immer ihr es wollt. Ihr habt allezeit Arme bei euch. Aber
ihr Gutes zensieren und das Gute, das diese Frau tut, in andere Kanäle
leiten zu wollen. Gebt doch ihr das Eure, wofür ihr wollt. Sie hat mich
auf den Tod hin gesalbt; sie hat mir Gutes getan, wohl wissend, daß
es das letzte Mal ist - und ihr wollt es ihr vermiesen. Freude vernichten,
das könnt ihr.
Jesus rechnet nicht mit einem ehrenvollen Begräbnis, Grauen und Nivellierung
stehen bevor, die Salbung des dann leblosen Leibes wird nicht geschehen,
da er weggeworfen wird, vor die Hunde wahrscheinlich. So ist die Liebe dieser
Frau ein Leuchtzeichen gegen Zerstörung und Verneinung (Drewermann).
Diese Frau erkennt den Jesus als einmalig, wunderbar; und hat den Mut, sich
zu erkennen zu geben als Liebende, die das Zerstörende des Todes bestreitet.
Genau das ist die Feurige Flamme des Herrn, die Liebe, die stark ist wie
der Tod, wie es die Bibel schreibt (Hohelied 8,6); die es aufnimmt mit dem
Tod, dem Verneinen und Vergleichgültigtwerden. - Sie salbt ihn, meint
ihn, sie erkennt ihn als einzigartig. Diese Zeit der Liebe, dieses Merken
und Bemerkt werden - sagt Jesus - soll zu ihrem Gedächtnis weiter
erzählt werden.
Und nicht nur erzählt werden, sondern nachgeahmt werden - wir können
das auch. Wir können nicht viel Welt bewegen, aber Liebe trägt
die Welt. Wo eine Krankenschwester mit einem todgeweihten Patienten
zurückbleibt, und wo einer Verrat begeht, um einen Menschen aus der
Wüste zu retten, und wo der Sprengstoffexperte im letzten Augenblick
die Bombe entschärft auf gut Glück, da ist Reich Gottes am Keimen.
- Sein Leben geben, seinen guten Ruf, sein Weiterkommen lassen für Liebe,
für diesen konkreten Menschen (seht euch den Film an "Der englische
Patient").
Lieben kann Sterben nicht verhindern, die Salbung verhindert nicht Karfreitag.
Der Sterbenden im Krankenhaus das Weihnachtsoratorium vorspielen - das ist
ein Anfang von Auferstehung. Amen.