Traugott Giesen Kolumne
03.02..2001 aus "Die Welt" Ausgabe Hamburg
Abfuhr und Sich Berappeln
Du hast dem Kollegen zum Geburtstag geschrieben,
und der geht beim nächsten Treffen einfach so vorbei. Du hast dich
vielmals beworben und bestenfalls Absagen kassiert. Du hast deinen Patenonkel
vergeblich um Geld angepumpt. Du meintest mit dem Freund gut zu stehen,
aber sein Auto wollte er dir nicht leihen. Du hast dich auf Sehen, Reden,
Fühlen gefreut, aber der/die Geliebte hatte was anderes vor. Du hattest
fest auf die Grosseltern als Babysitter gesetzt, aber die winden sich.
Und die grössere Wohnung bekommen andere.
Die Welt ist voller Absagen und oft hängt
ein Leben dran, und du kannst nur stillehalten. Ob der dich liebt, den
du meinst unsterblich zu begehren, kannst du nichts dran machen. Oder ob
der Streit verheilt. Oder ob du wieder heimisch wirst dort, wo du lange
fort warst, du musst es sehen.
Dass was glückt, hängt von hundert
Unwägbarkeiten ab, von Nuancen der Wahrnehmung, von passender Neigung
und ähnlichem Tempo, von gütigem Geschick.
Ja, die Welt ist voller geplatzter Termine,
verpfuschter Planung, voller Verwechslung und Verstimmung. Und doch gelingen
viel mehr Treffen, mehr Verbindungen kommen zustande, mehr Liebe hält,
mehr Geschäfte klappen, nahezu alle Züge kommen an.
Es passiert viel mehr Gutes als Schlechtes,
sonst wäre die Menschheit längst ausgestorben. Wir tun uns mehr
Freude an als Leid. Ja, viele Mitmenschen sind überfordert, und nach
dem Dienst sind unsere Gesichter ziemlich verloschen. Wir wollen nach Hause
und möglichst nicht angemacht werden auf dem Weg. Aber hält uns
einer die Tür auf, werden wir�s mit einem Lächeln bedanken. Und
wenn an der Kasse die Verkäuferin hochkonzentriert arbeitet aber uns
keines Blickes würdigt, ja, was verlangen wir denn?
Aber haben wir denn ein Recht auf Erhörtwerden?
Von genau dem, den wir uns in den Kopf setzen? Haben wir ein Recht auf
diesen Job, diese Wohnung, diese Gesundheit? Schuldet uns der Freund die
Freundschaft? Wer kann denn Lieben schwören? Soziale Fairness kann
man versprechen, ein Recht auf Gerettetwerden in der Not hat jeder Mensch,
auf Brot, Bildung, Dach überm Kopf. Aber Recht auf genau diesen Arbeitsplatz
doch wohl nicht, wenn mein Einsatz sich nicht bezahlt macht. Wir müssen
etwas für andere tun im Rahmen unserer Begabungen, müssen anderen
verheissungsvoll sein. Wir können keinen zwingen, uns was abzukaufen,
uns was zu glauben. Und die Liebe ist Gnade, das grösste Wunder, der
Gleichklang der Herzen und Hormone ist ein Himmelsgeschenk.
Hast du keine(n), such dir eine(n), jede
Abfuhr ist auch eine Chance. Kein Unglück ist ein ganzes Unglück,
es kommt drauf an, was daraus wird.