Traugott Giesen Kolumne 07.04.2001
aus "Die Welt" Ausgabe Hamburg
Dank für Rettung
Hast du einen zweiten Geburtstag? Einen Tag,
an dem dein Leben auf der Kippe stand, du warst schon so gut wie tot, nur
eine wunderbare Rettung hat dich dir wiedergeschenkt? Hast du so einen Tag,
an dem dir die Welt einstürzte, du warst schon fortgetragen von hier,
der Knall, das Gellen, das Knirschen war einer zitternden Stille gewichen,
der Schmerz des bohrenden Stahls presste dich zusammen, Hören und Sehen
verging dir, oder waren schon Melodien und Farben wie von jenseits über
dich gegossen? Und du warst hinüber, merktest nur von ferne, dass sie
was mit dir machten. Dann warst du noch wie neben dir, schautest von oben
auf den Schauplatz des Unfalls, ein Gewimmel und Blaulicht. Und du wurdest
gehoben, in Tücher geschlagen, mit rasender Fahrt erreichten sie weiße
Räume, beißende Helle. Dann kamst du dir ganz abhanden. Erst Tage
später fandest du zu dir, warst ein einziger großer Schmerz. Das
Zurückfallen in die Narkose, den Heilschaf, es tat so gut, weil es den
Schmerz verdünnte. Irgendwann wurdest du wach. Dein Nächster, die
Nächsten saßen um Dich, schauten mit großen Augen auf dich.
Was hast du uns angetan, was hast du uns für Sorgen gemacht? Du wolltest
dich wieder verkriechen ins Nirwana, du hattest doch das gelobte Land schon
zu fassen gehabt, schon stand dir Himmel offen, eben noch fühltest du
die Welt wegfliegen nur mit einem Wehmutsgedanken an die zu Verlassenden,
dann wäre es geschafft. Hast du gedacht und wärest nicht traurig
gewesen. Doch die Rettung war unaufhaltsam. Bald doch Glanz in den Augen
derer, die einen wiederhaben. Und tief drinnen ziehen "Trompeten des Lichts"
dich ins Leben. Etwas in dir überredete dich: Lass dich noch mal
mitschleifen zu Glück und Mühe. Wenn die anderen, die Ärzte,
Schwestern sich schon so um dich plagen und die Kinder dir flehend,
drängend die Hand streicheln und Bilder malen am Familientisch, dann
kommt ein Schiff, geladen mit Lebensmut, und seufzend fingst du wieder an,
zu wollen. Dann die Monate der langsamen Genesung und der peinvollen
Übungen. Und noch Jahre danach hat man seine Einschränkung, seinen
Schmerzpunkt. Und findet das Hiersein herrlich. Du bist durch dieses
Unglück und diese Rettung anders geworden.
Beinahe wäre man schon lange tot. Das geht
mit einem, vertieft die Sonnenglut, stärkt die Gefühle der Liebe,
macht Freundschaft köstlich, treibt die Lust am Gelingen. Man kann losheulen
vor Freude, sieht Unscheinbares funkeln, reißt sich einen Ring vom
Finger und lässt ihn in die Hand der Bettlerin gleiten. Man zittert
um die Enkel. Lobt die Kraft, die dem Grashalm durch den Asphalt hilft. Zeit
ist das Kostbarste überhaupt. Um den eigenen Tod ängstigt man sich
kaum mehr. Es gibt gute Gründe, ein Fest zu geben. Das neu geschenkte
Leben ist eines der besten, du Glückskind.