Traugott Giesen Kolumne 21.07.2001
aus "Die Welt" Ausgabe Hamburg
Ein Geschenk, seinen Enkeln zuschauen zu
dürfen
Zum ersten Mal einen Enkel für vierzehn
Tage zu Gast haben - und man kommt aus dem Staunen nicht heraus. Eben mal
gut tausend Tage auf dieser Erde, sind sie hier schon heimisch, meinen alles
gehöre ihnen und alle Menschen seien lieb. Wollen tun sie unbedingt.
Mal helfen sie beim Aufdecken, mal nicht; mal baden sie begierig, mal laufen
sie vor dem Duschen weg. Mal streicheln sie, mal treten sie Opa, weil er
kein zweites Eis bewilligt. Sie wollen Grenzen merken, wollen wissen, ob
ein "nein" Schluss meint oder doch ein "vielleicht" bei sich hat. Sie sind
von Kraft getrieben, wie sie die großen Abenteurer an sich hatten,
immer neue Räume nehmen sie in Besitz. Sie lüften Deckel, sie
öffnen Schubladen, sie suchen sich Schlüssel für die
verschlossenen Türen. Sie schauen in Nähkästen und
Schmuckkästchen und Werkzeugkoffern nach und versuchen alles zu
handhaben.
Sie probieren Salben aus und kleiden sich neu
ein. Sie malen Malbücher aus und Tischdecken an und
Frühstücksteller ehe man sich versieht. Sie gehen ans Telefon und
erledigen manches. Noch machen sie in die Windeln, ziehen sich dazu aber
unter den Tisch zurück. Auf dem Spielplatz klettern sie auch die Rutsche
rauf wie die Größeren. Sie lernen im Nu die verschiedenen Geräte
zu nutzen, die andern Kinder sind die Herde, zu der sie gehören, bis
einer unsanft gestoßen hat und Oma ein Pflaster zum Trost anbringt.
Unbändig ist auch ihr Wille, aufzustehen, wenn sie fielen und
weiterzumachen. Wenn sie die Packung nicht aufkriegen oder den Gurt nicht
schließen können, kämpfen sie. Und will man zu früh
helfen, rufen sie "selber, selber". Der Tätigkeitsdrang ist von keinem
Ställchen mehr gepfercht. Entsprechend geschafft sind die Großeltern
am Abend. Und die Brut will immer noch: Der Mond ist aufgegangen - wir
müssen es viele Male singen.
Und beten für Papa und Mama und die anderen
Großeltern und die Kinder im Haus und Schnüffel, das
Lieblingsschmusetier. Und noch danken fürs Kutschefahren, für Paul,
den Kutscher und Max, das Pferd, und erinnern wie weich sich ein Pferdemaul
anfühlt, als das Kind nach der Fahrt dem Pferd die Möhre reichen
durfte, seine Hand in des Kutschers Hand geschmiegt. Unfassbar ist, dass
die Kinder in diesem Alter täglich und spielend wohl zehn bis zwanzig
Wörter lernen; dreimal gehört, schon ist es einverleibt in ihren
Schatz. Wohlwahr: Muttersprache, Großmuttersprache - die reden mit
den Kindern. Und grandios: Nie wieder lernen sie so viel Neues wie jetzt.
Wenn man sich Zeit für sie nimmt. Auch in eine Kirche gehen und beim
Feuerwehrfest ins rote Auto steigen dürfen; Pommes backen und auf den
Bahnhof gehen, Züge gucken; ein Geschenk schön einpacken, und sehen,
wie die Bötchen ganz platt auf dem Schlick liegen, weil das Wasser
weggelaufen ist. Wie zittert man um alle Kinder. Wer könnte eines Kindes
Feind sein, wer?