Traugott Giesen Kolumne 01.09.2001
aus "Die Welt" Ausgabe Hamburg
Urlaub ist Erlaubnis, dienstfrei zu
haben
"Sorgt euch nicht um den morgigen Tag. Es ist
genug, dass jeder Tag seine eigene Plage habe." Dies starke Wort des Jesus
spricht uns frei zum Urlaubmachen. Denn das Leben ist so eingerichtet, dass
uns bei einigem Fleiß und bei einigermaßen günstigen
Umständen ein Drittel Erwerbsarbeitszeit reicht. Noch ein Drittel
verschlafen wir und das letzte Drittel ist für Privates, Familie und
Freundschaft, Hobbys und vieles andere, das auch Arbeit macht. Urlaub ist,
mal ein paar Wochen allen Dienst los zu sein, auch Küchendienst, die
normale Arbeit und Feierabendbeschäftigung lassen, die Kollegen nur
aus weiter Ferne mit einem Kärtchen grüßen. Es zeigt sich
dann der andere Mensch, der auch noch in uns steckt: der Faulenzer, der keinen
antreiben muss, nicht mal sich selber. Und der Entdecker, der nicht jeden
Tag den selben Weg fährt, sondern der neue Landschaften unter die
Füße nimmt oder neue Rezepte ausprobiert oder eine neue Sprache
kennen lernen will.
Urlaub ist Erlaubnis, sich vom Dienst zu entfernen.
Tatsächlich stehen wir alle im Dienst des Lebens, müssen ihm
kräftig dienen, um es von ihm gut zu haben. Es wäre fürchterlich,
nur freie Zeit zu haben. Auf wessen Kosten ginge denn das? Es ist schon recht,
sich mit zu plagen, dass der Lebensacker gute Früchte bringt. Man muss
ja nicht so scharf an der Kandare sein wie der Schriftsteller Peter Handke:
"Meine Arbeit ist ein Tier, das mich in der Nacht aus dem Schlaf holt, wenn
es tagsüber nicht ganz gewissenhaft versorgt worden ist."
Urlaub, Ferien, freie Zeit, sie helfen, mich
um mein persönliches Schicksal zu kümmern. Der Alltag läuft
ja meist bewusstlos, alles auf die Reihe kriegen fordert die ganze
Aufmerksamkeit, der Rest ist Zerstreuung und Abschlaffen. Aber im Urlaub,
auf langen Spazierwegen und bei stillen Abenden reden sich die Seelen wieder
zueinander - oder merken ihre Leere, und Merken ist besser als nichts. Wenn
wir mal völliges Entspannen und Einsinken zulassen, fühlen wir,
dass uns Freiheit zurückgegeben ist, mal nichts zu müssen, nicht
mal wollen zu müssen, sondern einfach da sein dürfen und das wundervoll
finden: Wenn du im Sand liegst und die Körner durch die Finger rinnen
lässt, dann ist das ganz von selbst dir ein Gleichnis für die
geschenkte und enteilende Zeit. Und du denkst, was in Dir sich ansetzt an
Sinn und Erfahrung, und du fühlst endlich mal wieder hin, was dir Behagen
macht. Und du gehst dran, deinen inneren Schatz aufzufüllen: Du liest,
tauchst in fremde Lebensläufe ein, du baust mit deinen Kindern eine
Strandburg, nimmst mal an einem Gottesdienst in der Landessprache teil. Du
liebst dich wieder ein bisschen mehr. Du kannst Dir nicht leisten, keinen
Urlaub zu machen. Du würdest sonst verblöden. Urlaub, möglichst
von zu Hause weg, beschafft dir einen anderen Blick - einen mit
Weitwinkel.