Traugott Giesen Kolumne 15.12.2001
aus "Die Welt" Ausgabe Hamburg
Neues Geld, komm ran!
Alle reden vom Euro. Oder ist es genau andersrum:
Überhaupt keiner redet vom neuen Geld, bis auf die Kassierer, die die
ersten Stürme werden aushalten müssen. Ehrenpräsidenten und
Altkanzler haben uns ja schon die Bedenken ausgeredet. In zwei Monaten soll
der Wechsel schon Vergangenheit sein. Dann werden wir gar nicht mehr verstehen,
wie es hat sein können, doppelt so viel Geldscheine oder Münzen
mitzuschleppen.
Es soll ja eine richtige Zeitenwende werden,
jedenfalls für Vielreisende und über die Grenzen Zappende und alle
Kaufleute, die dauernd umrechnen mussten. Und doch wird es geschmeidig abgehen
wie der Abbau der Zollschranken. Wir werden ein kleineuropaweites einheitliches
Geld haben, von heute auf morgen. Es ist ein dolles Ding.
Unvorstellbar viele Lkw voll Geld rollen aus
Geheimfabriken zu den Banken, damit die es an uns weiterreichen in kleinen
Portionen. Es drängt sich die Frage auf, ob nicht jeder Mensch hier
mit der gleichen Geldsumme neu an den Start gehen sollt. Aber ein Rattenschwanz
von Fragen lässt uns lieber die gewohnte ungerechte Gerechtigkeit
weitermachen. Warum dann nur in Deutschland, nicht in ganz Europa oder gar
der ganzen Welt? Und wäre der Geldbesitz auf alle sieben, acht Milliarden
Menschen aufzuteilen, wie viel bekäme dann jeder? Sagen wir 1000 Mark,
oder 1000 Euro. Es dauerte doch nicht 14 Tage, dann hätte die eine
Hälfte der Menschheit nichts mehr und die andere das Doppelte, weitere
sechs Monate später hätte dreiviertel kaum noch was und ein Viertel
hätte Dreiviertel. Denn die einen sind im Dunklen und die anderen sind
im Licht. Die einen haben die fruchtbaren Böden und die
Erdölschätze und die Schiffsflotten und die Fernsehstationen und
die modernen Fabriken.
Gut, dass die Habenden wenigstens flott miteinander
konkurrieren, das hält die Preise niedrig - wovon auch die was haben,
die kaum was haben. Aber am schlechtesten bezahlt ist die Arbeitskraft derer,
die nichts anderes zu Markte tragen können als ihrer Köpfe und
Hände Arbeit. Geldkraft vermehrt sich, Arbeitskraft verbraucht sich
- das ist der Kern aller Ungerechtigkeit. Aber nicht das Geld ist böse
oder gut; es liegt an dem, ders brauchen tut.
All die neuen sauberen Scheine und polierten
Münzen haben den Glanz einer der grandiosesten Menschheitserfindungen
bei sich. Ja, Geld ist eine hoch entwickelte Spezialform der Gewalt; aber
Geld "organisiert die Ichsucht nach der Rangordnung der Kräfte, sich
Geld zu verschaffen" (R. Musil). Und die sicherste Art, sich Geld zu verschaffen,
ist, anderen zu nützen. Profit muss ja sein, sonst geschieht nichts
auf der Welt.
Gott sei wahrhaft gedankt für die vielen
Sorten Gewinn, die wir Menschen genießen können, Kaufkraft ist
ja nur eine davon, Zeit eine andere. Mit dem Euro haben wir weniger Arbeit
mit dem Geld an sich, das weniger gezählt, gerollt, gebündelt,
gewechselt werden braucht. Jedenfalls haben wir mit dem Euro alle und
täglich ein bisschen mehr Zeit. Und das summiert sich.