Traugott Giesen Kolumne 15.06.2002
aus "Die Welt" Ausgabe Hamburg
Das Kunstwerk von Geben und Nehmen
Geben ist seliger als Nehmen - steht schon in
der Bibel. Aber stimmt es sonnenklar? Der große Max Frisch erzählte
mal von einem Onkel, dem er als Architektur-Student in schlechter Zeit viel
zu danken hatte. Der verhalf ihm zu Geld für Essen und Wohnen. Aber
die Anzüge und Schuhe, die er ihm nachtragen sollte, sie gingen ihm
gegen die Ehre. Da war ein Gefälle offensichtig, das wehtat.
Sicher geben wir lieber als bitten zu müssen.
So gesehen ist Güte besser als Bedürftigkeit; lieber schleppt man
doch einen zur nächsten Tankstelle ab als am Straßenrand
händeringend auf einen Erbarmenden zu warten. Rat geben ist angenehmer
als Rat zu brauchen. Den Kindern beim Hausbau beistehen zu können, ist
beglückender, als den Schwiegersohn anpumpen zu müssen. Auch Besuche
im Krankenhaus sie müssten doch viel häufiger sein, schon
aus Dankbarkeit, dass man (noch) nicht hier liegt.
Aber für so manchen, sicher auch für
mich dann und wann, wäre Nehmen seliger. Ich muß mir helfen lassen,
muß Arbeit und Anerkennung teilen, muß Rücksicht erbitten
lernen. Manch einer ist so stolz, dass er seine Not verschweigt und geht
nicht mal das Rathaus um Sozialhilfe an; manch überforderter Mensch
pflegt seinen Angehörigen bis zur Selbstaufgabe. Ihm muß man Hilfe
aufdrängen, - ihm wäre Nehmen seliger.
Natürlich gibt es welche, die sind vom
Stamme: "Nimm - sie feiern jedes Fest gerne mit, aber tragen kaum was
bei und helfen auch kein Stück, doch bei der Frage nach
Getränkewünschen lassen sie sich was Mühemachendes einfallen.
Es ist schon ziemlich viel Dummheit in der Welt, die meint, man habe doch
dankbar zu sein, sich der Gesellschaft dieses wichtigen Menschen erfreuen
zu dürfen. Doch keiner ist nur zum Nehmen da.
Besonders für Paare ist es wichtig, Geben
und Nehmen ins Gleichgewicht zu bringen; aber nicht mit der Goldwaage, sondern
spielerisch und leichten Herzens. Denn beide haben, was je dem andern fehlt;
beide haben was zu geben und zu nehmen. Beide brauchen das Wissen der
Ebenbürtigkeit. Keiner darf immer zusetzen, mal muß er verwöhnen
und mal sie; beide auf je ihre Weise. Beide müssen ihre Gaben und
Bedürftigkeiten einbringen. Einer trage dem andern die Last mit
ist ein berühmter Trauspruch, und eigentlich gut für alle Fälle.
Auch Begehren und Gewähren in der Liebe
sind die beiden Seiten der einen Münze. Beides ist groß. Begehren,
Wünschen, Sehnen ist groß und Schenken, Einwilligen, Mitgehen,
Annehmen ist auch groß. Welchen Ausgleich sich die Paare geben, das
geht nur sie selbst an, aber wenn der Austausch gelingt, strahlen ihre Gesichter
Friedliches.
Das Geheimnis der glücklich Gebenden ist
das der der Stillenden: Sie nehmen beim Geben, sie geben beim Nehmen. Beuys
sagte es so: Ich ernähre mich durch Kraftvergeudung". Jedenfalls
ist eine Quelle da des reichen Segens, unermesslich viel Gewährtes ist
auch für dich in der Welt.