Traugott Giesen Kolumne 30.11.2002
aus "Die Welt" Ausgabe Hamburg
Sonntag nochmal Kirche wittern - Zur
Kirchenwahl
Mit der Post wurden Sie, wenn Mitglied der Kirche,
vor kurzem eingeladen, die Kirchenvorstandswahlen mitzumachen. Ja, bereiten
Sie sich das Erlebnis, in Ihr Gemeindehaus zu gehen. Sie wissen, wo es ist?
Wohl neben der Kirche Sie wissen, wo die ist. Und wenn Sie schon auf
sind, dann feiern Sie doch den Gottesdienst mit, vermutlich um zehn. Sie
werden auf eine erlesene Schar von Menschen treffen, die sich den Luxus einer
sakralen Verabredung gönnen. Einer redet zu Ihnen, Sie können es
auch an sich vorbeilassen, jedenfalls, Sie müssen nicht antworten, Sie
tauchen ein in den Schatz des Abendlandes, um den Kriege geführt wurden
Sie hören und summen Lieder mit, die an Ihre Seele rühren,
Sie hören Hoffnungstexte von weither. Der Seelsorgende in Schwarz wird
Ihnen fröhliche Augen machen wollen: Er wird vom Frühling des Geistes
reden und Ihnen neuen Schwung verpassen.
Ach, wäre das schön, wenn er eine
Spur ist, keine Repräsentation. Drücken Sie ihm am Ausgang die
Hand, belehren Sie ihn nicht, danken oder trösten ihn, schenken Sie
ihm ein Lächeln. Und dann schlendern Sie ins Gemeindehaus, achten Sie
auf Spuren von Heimat, ob Menschen dort ihr Nachbarschafts-Nest haben, dann
ist es gut, auch wenn Sie seit Konfirmandentagen die Kirchengemeinde nicht
mehr genutzt haben. Sicher hängen irgendwo die Namen und Portraits der
zur Wahl Stehenden aus.
Sie treffen vertrauensvoll ausschauende Menschen
fragen Sie, worauf es bei dieser Wahl ankommt; ob es Probleme gibt,
außer Finanzen; welche Trümpfe das Gemeindeleben aufweist, welche
Kleinlichkeit ärgerlich ist, ob hier der gute Ort des Quartiers ist
und wann das nächste Fest steigt, Sie würden gern mit vorbereiten.
Also Sie gehen wählen, wem Sie das Sagen
in der Gemeinde zugestehen. Wer hier das Feuer der Nächstenliebe am
Köcheln halten soll, wer mit den Pastoren, Pastorinnen die Menschen
hier erwecken soll mit Christenglauben. Wer der Jugend Raum und Zeit für
Freundschaft unter Verschiedenen einräumt, wer die allein wohnenden
Alten zur Telefonkette und Zusammensein verbandelt. Unter dem Dach der Kirche
kann so viel Lebensmut neu aufbrechen, viel Nachdenken kann hier starten,
Initiativen keimen, hier soll nicht Politik gemacht werden, aber Politik
möglich werden durch Entfeindung.
Und die Feste des Lebensbogens sollen hier gefeiert
werden; Kinder sollen in der Taufe noch liebevoller willkommen geheißen
sein, Jugendliche werden selbstbewusst durch den stärksten Stoff
überhaupt: Gott liebt dich und braucht dich, er hat dich ja erfunden.
Paare lassen sich anvertrauen, Menschen besprechen ihre Krisen. Wer außer
Kirche hat ein Wort über den Tod hinaus, für alle, für die
es gesucht wird? So was oder Ähnliches bedenkend, haben Sie gewählt
und gehen ihres Weges, freuen sich, dass Kirche ist; besser als noch ein
Parkhaus, noch ein Kaufhaus. Du atmest durch: Gut, dies Schatzhaus heiligen
Geistes. Wir müssen doch Gott mehr gehorchen als den Menschen.