Kolumne 9. April 2005
Traugott Giesen Kolumne 09.04.2005 aus "Die Welt" Ausgabe
Hamburg
Weltkirche und Kapellchen - Fels und Schiffchen
Schon grandios, wie sich die Menschheit verabschiedet von einem großen
Glaubenszeugen. Das ist große Oper, formvollendet, imperial. Denkt
man da an die beinah anonyme Beisetzung des Herrn, dann ist der Circus Maximus,
den man mit dessen Stellvertreter macht, absurd. Und nicht mal hat sich der
Vatikan zwecks Machtstabilisierung seiner bemächtigt. Auf seine ureigene
Anweisung scheint das Megamedienereignis geplant und entworfen. Und wir alle
lassen uns bannen von den Bildern, die völlig verneinen, daß hier
ein Menschlein zu Grabe kommt. Der irdischen Hülle wurde eine Weihe
zuteil, als würde wie im alten Ägypten ein Gottmensch bestattet.
Dem Verstorbenen Eitelkeit anzulasten, das griffe zu kurz. Sein Ziel war
die mächtige Kirche, die zugunsten der Menschen Bastion ist gegen Tyrannei
und Menschenverachtung. Dem Hitlerwahn und dem Kommunismus bot er die Stirn,
gegen Verlorengehen im Konsumrausch setzte er geistliche Macht. Die wollte
er als einen Fels in der Brandung der Gottlosigkeit.
Doch unter Johannes Paul II wurde und blieb die Römisch-Katholische
Kirche selbst herrisch und ausgrenzend und sogar menschenverachtend. Allein
der Bann über Aids als Geißel Gottes zur Strafe für unerlaubte
Sexualität ist verheerend. Und sich selbst als letzte Instanz für
Wahrheit auf Erden zu halten, das baut eben eine Kirche, in der noch das
letzte Priesterlein seine abgeleitete Macht ausspielt gegen die Ungeweihten.
In diesen Tagen könnte man als Protestant sich arm vorkommen, Evangelische
Kirche spielt wirklich in einer anderen Liga. Aber gut, daß dieses
Schifflein da ist: Nicht viel Macht und Purpur, aber der Respekt vor dem
Gewissen des Einzelnen ist herrlich und das Wissen vom Gott der Liebe ist
groß. Wir wollen keine Marienverehrung, die alle Frauen auf Hingabe
und alle Männer auf kleine Jungen reduziert. Wir kämpfen gedanklich
um eine Überzeugung, die in der Moderne angekommen ist. Hier wird keine
Höllenangst gehegt, um die kirchlichen Schätze nötig zu machen.
Hier ist jeder Christ, jede Christin zum Priestertum aller Gläubigen
beauftragt. Hier ist Freude über die Vielfalt der Ökumene - und
den Römern wird ihr Kirchesein nicht abgesprochen, wiewohl diese das
mit uns tut.
Natürlich ist eine Kirche felsengleich, wo einer das Sagen hat. Diese
Sorte Kirche macht den Eindruck von Vater und Mutter: Auf uns ist Verlaß.
Evangelische Kirche ist Kirche der Schwestern und Brüder. Oft zerstritten,
aber quicklebendig, barmherzig, und jeden Menschen stärkend in seinem
Selbstbewußtsein.
Ein kluger Katholik sagte mal nach einem Evangelischen Gottesdienst: "Ihr
habt den besseren Text, aber wir die bessere Inszenierung." Wohl wahr: Die
Weltkirche weiß sich ins strahlende Licht zu setzen! Da kommen die
Großen der Erde, um den Allergrößten zu ehren, aber war
das der Kirche versprochen? Man reibt sich die Augen, kann es nicht verstehen
und schaut doch hin. Und gern würde auch ich sterben mit seinem
Schlußwort: "Ich bin froh, seid ihr es auch!"