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Kolumne 03. Dezember 2005 - <br>Erstaunlich, wie fromm man ist, im Schnitt

Traugott Giesen Kolumne 03.12.2005 aus "Die Welt" Ausgabe Hamburg

Erstaunlich, wie fromm man ist, im Schnitt

Himmel und Erde

von Traugott Giesen

So richtig Atheist will kaum einer sein. Auch wenn die Verbindung zur Kirche gleich null ist. Minister Seehofer fragte seine neuen Mitarbeiter im Ostberliner Ministerium: "Seid ihr evangelisch oder katholisch?" Unisono tönte es: Weder, noch. Aber Religion haben auch sie. Religion hat man, wie man Manieren hat. Sicher hört man schon mal: "Religiös bin ich, nicht musikalisch." Aber daß die Kanzlerin sagte: "Ja, so wahr mir Gott helfe", und bis auf einen alle die gottvolle Eidesformel gebrauchten, das geht schon in Ordnung, meinen wir doch zumeist. Und wenn die Enkel ein Krippenspiel mit aufführen, dann freut man sich doch als Großeltern. Und Weihnachten - gut daß wir es haben, sowieso.

Man könnte auch mal verreisen über die Feiertage und das ganze gemütvolle Weihnachtsgetüddel sich schenken. Aber selbst auf einer Kreuzfahrt unter südlichen Sternen ist ein stattlicher Baum mit an Bord und wird unter viel Hallo aufgerichtet. Und Heiligabend werden auch unter sommerlichem Himmel Weihnachtslieder erklingen und die Gottesdienste an Bord gut besucht sein.

Es gibt viele Arten, der metaphysischen Obdachlosigkeit zu entrinnen. Normale Kirchlichkeit ist die unaufwendigste Sorte - man will zu Menschen gehören, die die Grundwerte pflegen und noch beten, wenn auch ganz formlos, und sich "von guten Mächten wunderbar geborgen wissen" und sie finden Kirche "gut" und nötig. Du kannst dir gar nicht vorstellen, was du alles glauben mußt, wenn du nicht an Gott glaubst. Allein schon die Idee, du wärest voll und ganz deines eigenen Glückes Schmied, macht verrückt, bis hin zum Wahn, du wärest selbst schuld, wenn Krebs dich trifft. Ohne Gott wäre der Mensch an allem schuld - allein schon, daß einer das Leid der Welt mitträgt, ist in seiner Trostkraft gar nicht auszuloten.

Natürlich kommt Religion auch in anderen als kirchlichen Kleidern: Der Mensch lebt nicht vom Brot allein, es reicht nicht, nur vorhanden zu sein. Was begeistert dich, du wirst sehen, es hat Frommes an sich. Allein schon die Fußballweltmeisterschaft: Die Freude, die Fairness, hoffentlich eine Demut der Sieger, Frieden statt Krieg - wenn den Hunderttausend im Stadion und den Milliarden an den Fernsehern im gleichen Augenblick der Atem stockt, dann ist das doch Gebet, oder so was wie. Oder die Erfahrung der Wüste, die Stille eines Klosters, die verzückten Prediger in den Pfingstkirchen, die Zucht des Islam, die Askese und die Entfesselung der Sinne, Versenkung und Jubel, rettende Arbeit bis zum Umfallen, das sich Verausgaben in den Künsten, Meditation und Spiel, Forschen und Konstruieren, all das weist doch über sich selbst hinaus. Und verkörpert auch was Heiliges. Die Umarmung der Liebenden und die Geduld mit zu Pflegenden, die Hingabe von Kindern, da gehört der Mensch doch nur halb sich selbst, die andere Hälfte ist überirdisch.

Religion ist Dankbarkeit und Ehrfurcht. Woher nehmen, ist die große Frage. Um die kommt keiner herum.

Der Autor war Pastor in Keitum auf Sylt. Sie erreichen ihn unter: [email protected]


 




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