Traugott Giesen Kolumne 11.01.1997 aus Hamburger Morgenpost
Fair sein macht Freude
Man kann die Mitmenschen so leicht verachten und es führt zu nichts,
führt erst recht nicht zu ihnen hin. Es gibt schon schlimme Sachen,
die einen nur den Kopf schütteln lassen, von Verbrechen ganz abgesehen.
- Da hat eine den ganzen Weihnachtsschmuck mitgenommen, als sie kurzerhand
auszog und die Restfamilie sitzenließ. Da hat einer, dem gekündigt
wurde, dem verbleibenden Kollegen das Programm gelöscht, womit ein
Vierteljahr Kundenkartei-Aufbau den Bach runter ging.
Ich weiß nicht, was sie dazu gebracht hat, Mitmenschen so zu verletzen.
Sie müssen selbst über die Maßen beschädigt worden sein.
Keiner ist freiwillig so kaputtmachend. Wird nicht unter Druck fast jeder
fies? Ich will Menschen in Schutz nehmen vor Verachtung, will mich selbst
zur Ordnung rufen, wenn ich wieder meine Niedermachphase kriege. Denn leicht
läßt sich ein Kübel Beschuldigung über die Menschen
ausschütten. Die Zeitungen sind voll von Verbrechen - das gibt
Menschenverächtern Argumente en masse. Aber wir leben nicht in einem
Tollhaus, der Ehrliche ist nicht der Dumme, es ist viel Hilfe unter uns.
Daß in der Zeitung soviel Mord und Totschlag steht, liegt daran, daß
nur die Abweichungen von der Norm Beachtung finden. Wer ordentlich seine
Steuern zahlt, wer für Privatfahrten nicht den Firmenwagen nimmt, wer
nicht auf seine Frau losgeht, gibt keinen Lesestoff ab. Die Normalität
macht kein Aufheben. Es ist viel Moral unter uns, gerade auch bei denen,
die knapp zu beißen haben.
Jesus hat doch recht, wenn er rät, dem Widersacher auch die andere Wange
hinzuhalten. Der wird wohl eher nicht hauen und wenn doch, dann ist er mit
schlechtem Gewissen bestraft, viel viel länger als du den Schlag erinnerst.
Jammern über die Verwahrlosung der Moral bringt nichts, eher streut
es Nebelkerzen, um den eigenen Mangel zu verbergen. Sehen wir doch zu, daß
wir möglichst wenig Unrecht tun - wir sind doch nicht in Not. Seien
wir uns doch zu schade, fies zu werden und übers Ohr zu hauen. Wir brauchen
doch den rausgeschlagenen Vorteil gar nicht, er ist doch nur frech und
blöder Spaß. Ich vergifte mich selbst ja am meisten. Der Andere
hat nur den Schaden, aber ich muß mich immer daran erinnern, wie
niederträchtig ich war und bin. Gehässigkeit bleibt meine, bis
ich sie wieder gutmache oder um Verzeihung gebeten habe und sie gewährt
bekam.
Wir dürfen nicht kleinmütig werden, es ist viel Zerstörerisches
bei uns. Aber du, ich, laß uns Freude haben, Gutes zu tun. Das wirklich
Gute ist immer neu, wunderbar und berauschend.