Traugott Giesen Kolumne 21.03.1998 aus Hamburger Morgenpost
Zu Tode betrübt � die Kindermorde
Kein Wort reicht heran an das Unheil. Unsäglich ist die Untat.
Wenn Kinder zerrissen werden von Menschen, dann ist das Weltuntergang,
dann ist das ein Herzausreißen der Gemeinschaft. Es ist doch das
(fast) uns allen am weitesten entfernte Verbrechen, es ist Verneinung von
Wachsen und Freude, es ist ein Zertreten des eigenen Gesichtes, ein Zermalmen
dessen, was leben will.
Der das tat, hat einem Menschen die Seele aus dem Leib gerissen. Und
hat das entfliehende Leben sich als Sache unterwerfen wollen. Er hat Eltern
ausgeliefert an die Schreie: Warum? Er hat ihnen ihr Glück zertreten,
sie werden verwaiste Eltern sein, ein Baum mit zertrümmerter Krone.
Er hat Geschwistern und Mitschülern das Vertrauen ins Hiersein zerschnitten
wie mit einem Rasiermesser ins Auge. Er hat unser Netz des Vertrauen zerfleddert;
was und wen wir mit Gott bezeichnen, den sehen wir aus der Welt gegangen.
Kein Wunder, wenn andere Zeiten die Sintflut herabwünschten auf die
Erde, die solche Kreaturen gebar.
Karfreitag ist uns der Tag, da ein Kind uns entrissen wurde. Gott und
Sinn und der Glaube an die Liebe ist uns verloren. Und wir haben keinen,
dem wir unsere Fäuste ins Gesicht schlagen können. � Jedenfalls
hassen, hassen wir mit aller Macht den Mörder unserer Kinder. Und
weinen mit Euch, Eltern, Großeltern, Allernächsten, � und wollen,
daß dieser Mensch gefaßt wird.
Und bitten und fordern den Mörder auf: Zeig dich, stelle dich.
Daß wenigstens das Gift des Argwohns und Mißtrauens aus unserer
Nähe weicht. Du hast dein Leben lang das Schreien, das Wimmern dieses
Kindes bei dir, du hast den flehenden Blick über dir, du wirst keine
Haut mehr berühren ohne angefallen zu werden von Angstschweiß.
Du wirst �unstet und flüchtig sein�, wie Kain. Komm, stell dich und
laß dir helfen. �
Du hast es für unmöglich gehalten, daß dich jemand liebe.
Wer an dir diese Selbstverneinung verbrochen hat, wer dir jegliche Chance
auf Zartsein und Umarmen in Freiheit abgesprochen hat, wer dich lehrte,
daß Geschlechtlichkeit Gewalt braucht, Gewalt ist, der/die sind mit
unter dem Fluch des Lebenvergiftens.
Wer hat dich als Stück Holz behandelt, immer wieder dir beigebracht,
nur dummes Ding zu sein? � Ach du hast am allerwenigsten bekommen, was
du dir wünschtest. Du wolltest es anders machen, und machtest nur
alles schlimmer.
Sollen wir unsere Kinder mit Notruf am Arm ausrüsten, Geheimsender
ihnen unter die Schuhe binden? � Ach, Mensch, du am meisten Verzweifelter,
stell dich, beichte den Sog des Bösen in dir, laß uns mit dir
erkennen die falsche Bauformel unseres Zusammenlebens. Und Ihr Eltern,
wir weinen mit euch, wir sind voll Angst und Wut. Beten wir einander Mut
zu, und Frieden dem Kind.