Pastor-Sein - was könnte das sein?
Kaum ein Verhältnis ist so kostbar und
gefährdet, so lebendig und wichtig, so spannend und gespannt wie das
zwischen Gemeinde und Seelsorger. Je länger die beiden Personen - man
nehme die Gemeinde ruhig mal als Individuum - aufeinander einwirken, desto
mehr nehmen sie von einander an oder bleiben sich Wesentliches schuldig.
Immer aber ist es irgendwann auch gut, voneinander zu lassen. Es gibt Kirchen,
in denen zwingend die Pastoren alle acht Jahre wechseln. Es gibt Gemeinschaften,
die sich nur von einem Jahr zum andern binden. Es gibt religiöse Genies,
die für ein paar Tage und Nächte bleiben - bis der Segen seine
frischeste Frische einbüßt. Und es gibt Pastoren, die bleiben
- wenn's hoch kommt, so sinds vierzig Jahre. Der hat dann - jedenfalls bei
seßhafter Gemeinde- eine ganze Generation begleitet von der Wiege der
Kinder bis zur Bahre der Eltern; er hat Überblick über
Schicksalsgeflechte erlangt und tiefe Blicke auch ins eigene Innenleben dabei
geben müssen und dürfen. Hoffentlich ist ihm ein Gefährte,
ein Lebensgesprächspartner zur Seite, sonst geht er leicht verloren.
Stippvisiten und Besuche haben das Rauschhafte
bei sich, jedenfalls bei Wundertätern. Jesus zog von Dorf zu Dorf und
schüttelte bald den Staub von den Füßen, kam mal wieder vorbei
oder später seine Jünger. Viel spricht für fünf bis acht
Jahre an einem Ort. Man kann die Menschen dann eine gute Phase begleiten,
gestaltet alle Arten von Festen, versucht viel, gewinnt Sicherheit und nimmt
zu an Alter, Weisheit und Erkenntnis. Dann hat man einen erheblichen Teil
der Gemeinde wahrgenommen, hat Berührung erfahren und gegeben. Vor allem
persönliche Begegnungen werden in Erinnerung bleiben. Man durfte an
Knotenpunkten des Lebens Geleit geben und im Glücksfall aus der amtlichen
Person zum Freund auf Zeit werden - das bleibt stärkend für beide
Seiten. Jedenfalls hat man in den wenigen Jahren viel Kraft vor Ort gelassen,
auch durch Wunden, die ausgeteilt und hingenommen wurden. Wenn man
überlegt, wie lange Liebende brauchen, bis sie sich kennen, kann man
ermessen, wie viel Zeit Seelsorgende brauchen. Türen öffnen sich
nur langsam.
Keiner lässt sich gern in die Karten schauen.
Seelsorge braucht das Vertrauen, dass der Pastor, menschenfreundlich,
verschwiegen und unparteiisch ist. Und dass er Gott vorträgt, was den
Menschen aufliegt. Er weiß soviel Geheimnisse im Laufe der Zeit, ihm
kann schon mal verschwimmen, was Gerücht und was Tatsache ist. Aber
wenn der Pastor lange bleibt und man sich mag, dann weiß er aus eigener
Erfahrung vieles annähernd recht zu bewerten. Und wird immer mehr geneigt
sein, "zu entschuldigen, Gutes von ihnen zu reden und alles zum Besten zu
kehren" (M. Luther). Auch wird er dankbar, wenn die Gemeinde ihn und seine
Familie vor Gerede in Schutz nimmt. Denn unter jedem Dach ist ein Ach - bei
Pastors wie überall. Das sollte auch ihn großmütig machen.
Gut, ihm abzuspüren, daß er auch von Versagen weiß und Vergebung
in Anspruch nimmt. Eine besondere Gnade ist es, wenn einiges Unrecht unterblieb
in der Gemeinde, auch, weil im Hintergrund klärende Gespräche liefen
und der Pastor nicht gutheißt, sondern anspricht, was nicht zu dulden
ist.
Ein Pastor wird viel Zeit für die Vorbereitung
der Gottesdienste verwenden. Da soll wohl sein Herz besonders schlagen. Auch
wenn der Kirchenbesuch spärlich ist, soll das Evangelium gut gesagt
werden und soll stellvertretend gebetet wird. Immer noch wird beim "Vaterunser
" die Glocke geläutet, um ringsum zu erinnern: Das Dach aus Gebet und
Segen wird hier aufgespannt für den ganzen Ort, die ganze Gegend. Der
Pastor soll auch für die mitglauben, die vom Gegenteil überzeugt
sind. Im Laufe der Zeit kann er sich entwickeln zu einer guten Verbindung
von Prediger, Ratgeber und Tröster. Wenn er lernt: "Die steilste Theologie
und die beste Qualifikation helfen dem Pfarrer nichts, wenn er die Menschen
nicht mag, für die er da sein soll, denn dass der Pfarrer seine Gemeinde
mag, vielleicht nicht so, wie sie ist, sondern wie sie nach der Verheißung
sein kann, sein soll, sein wird, wenn die Liebe Jesu am Werk ist, das ist
das Existenzrecht seines Berufs."
Geht ein Pastor, so hat er viel Kraft hier gelassen.
Auch wird er viel Erfahrung mitnehmen; immer wird er dankbar gehen für
das Gefühl der Fröhlichkeit, mit dem er an einzelne Menschen, vor
allem Kinder, zurückdenkt. Geht ein Pastor, hat die Gemeinde auch die
Chance eines Anfangs. Neue Gaben fachen neues Feuer an, Bewährtes gilt
es zu bewahren, Neues zu versuchen. Ein reger Kirchenvorstand ist da goldwert.