Traugott Giesen:
Segen
Jeder Gottesdienst schließt mit dem
wunderbaren Aaronitischen Segen. Der Text steht im 4. Buch Mose im 6. Kapitel:
Und Gott redete mit Mose und sprach: Sage Aaron und seinen Söhnen und
sprich: So sollt ihr sagen zu den Israeliten, wenn ihr sie segnet: Der Herr
segne dich und behüte dich, und der Herr lasse sein Angesicht leuchten
über dir und sei dir gnädig, der Herr hebe sein Angesicht über
dich und gebe dir Frieden, denn ihr sollt meinen Namen auf die Israeliten
legen, daß ich sie segne.
"Viel Glück und viel Segen auf all deinen
Wegen, Gesundheit und Freude sei auch mit dabei" singen wir anderen zum
Geburtstag. Und, wenn man will, kann man auch noch das Geburtstagskind abstimmen
lassen, ob es Frohsinn oder Wohlstand zugesungen haben will. Viel Glück
und viel Segen.
Aber was ist Segen anderes als Glück? Ist
es nur eine Verdoppelung? Vielleicht ist Glück ja nur ein Tarnwort für
Segen. Wie Zufall ein Tarnwort ist für Schicksal und Schicksal ein Tarnwort
ist für Gott.-
Segen jedenfalls haben wir für unsere Kinder
im Sinn, wenn wir sie auf lange Reise von uns weglassen. Oder wenn wir im
Krankenhaus einen geliebten Menschen lassen müssen - noch ein Blick
durch die Scheibe - wir heben die Hände, als wollten wir Gutes
hinüberschicken. Oder beim letzten Blick zwischen Freunden: Fahr wohl,
Gott segne dich. Vielleicht sagen wir es nicht mehr, und doch sagt es in
uns: Gott segne dich.-
Das ist grundanders als "paß auf dich
auf" - dieser trostlose leere Segen, so ähnlich, wie man sich vor Tisch
die Hände reibt; da wo früher ein Gebet war, jetzt nur noch
Händereiben und "Mahlzeit".
Dabei sehnen wir uns doch nach Segen, nach diesem
Teilchen "ich denke gut für dich". Wie Sonnenstrahlen Wärme uns
zuwenden, so gibt es doch gedeihliche Blicke, heilende Hände, klärende
Worte. Sie übermitteln Gutes in die Welt, sie rufen ein Strömen
hervor, Heiligen Geist, gute Gedanken, ein Fluidum, eine Atmosphäre,
eine Mandorla, einen Heiligenschein, eine Melodie,die uns in Harmonie bringt,
das Rieseln des Gebirgsbaches, das Klatschen der Wellen, das Seufzen und
Gejuchze der Kinder - was klingt, ist Nachhall von guten Energien, die die
Welt tragen.
Segen ist die Werde- und Vergehe-Kraft, die
die Welt betreibt. Und jedes Glücken ist gelungene Gestalt von Segen.
Jedes Fest, jeder Gesprächsstrom, jeder liebende Gefühlsstrom ist
Segen auf frischer Tat.
Aber wie gefährdet ist dieses Fließen:
Telefonanrufe, - Hilfeschreie oder Banalitäten, aus Denkfaulheit -,
wieviel tumbes, törichtes Dahintreiben, Gefährdung, Streit, Haß
- wieviel Gefahr türmen wir uns auf. Der Haussegen, Landsegen hängt
schief, wir verwünschen, wir verfluchen, wir mißachten Segen.
Segen muß gehegt werden, erbeten werden,
ersehnt werden. Wir können nicht segnen. Wir können bestenfalls
Gottes Namen auf den anderen legen, daß er ihn segne, Gott ihn hineinziehe
wieder in den Strom des Lebens mittels guter Kräfte, z.B. daß
uns der Giftfraß der Verzweiflung von der Seele abgehoben werde. Wieviele
sehen sich verflucht, sehen sich verfolgt und belegt mit bösen Ahnungen,
schlimmen Prophezeihungen, zerstörerischen Bildern von Überheblichkeit
oder Schändung. Da ist die Bitte um den Segen Gottes heilend, wie wenn
zwei Männer einen anderen aus einem Wasserloch ziehen mit aller
Kraft.
Daß Gott dich in die Zukunft zieht, dich
abkettet von Vergangenheit, dir neue Verheißung einpfropft wie einem
Apfelbaum den guten Zweig. Ja, sicher: Menschen müssen her, die Gottes
Segen weiterleiten, die Geschosse herausoperieren und Giftwörter
ausspülen mit der Milch der Verheißung: Du - gut, du im Werden,
du - geliebt. Ja, Menschen, die den Strom der Güte Gottes in sich
strömen fühlen und darum heilsam sind - weil sie da sind, still
und unerkannt, ohne Ämter und Würden, ohne Namen, ohne Titel. Sie
begegnen mit Wohlwollen, Wohl wollen. Wollen Wohl weitergeben, Zerstörendes
ableiten, Mißgunst entkräften, "Gott segne dich" einem sagen,
eventuell ihm mit einem Kreuz auf der Stirn bezeichnen. Das ist: ihn wieder
anschließen an den Strom heilend guter Kräfte.
Und irgendwann fällt es einem ein: Ich
- gesegnet, ich - gestützt gegen den Unflat von kalkulierenden Blicken,
von berechnenden Wortsalven, ich in Gottes Mantel. Das hilft gegen böse
Blicke, Versuchungen falscher Freunde. Hände auflegen statt zu Fäusten
geballt, können sie lossprechen von fixen Gedanken und sogar von
körperlichen Gebrechen, in denen sich diese fixen Gedanken manifestiert
haben.
Gerade, wenn Menschen sich aus den Augen lassen
müssen, ist es wichtig zu wissen, daß wir von Gott im Auge behalten
werden. Gerade, wenn wir nicht mehr stützen können, müssen
wir auf den gemeinsamen Schutz hoffen. Gerade, wenn wir uns mißverstehen,
erhebe Gott sein Antlitz über dir und bereite dir einen Tisch im Angesicht
deiner Feinde.
Wir wenden uns einander dem zu, der uns gemeinsam
leuchtet: Gerade, wenn wir uns lassen müssen, lassen wir einander ein
in dies "Gott segne dich und behüte dich, Er lasse sein Angesicht leuchten
über dir und sei dir gnädig, Er hebe sein Angesicht über dich
und gebe dir Frieden". Was können wir einander mehr tun, als einander
den Namen Gottes auflegen, daß er uns segne!