Keitumer Predigten
Traugott Giesen 15.10.2000
Zachäus
Lukas 7, 20 ff: Und sie kamen zu Jesus
und liessen von Johannes dem Täufer fragen: Bist du, der da kommen
soll, oder sollen wir auf einen andern warten? Da sagte Jesus: Geht und
verkündet Johannes, was ihr gesehen und gehört habt: Lahme gehen,
Aussätzige werden rein, Taube hören, Armen wird das Evangelium
gepredigt, und Blinden gibt er das Gesicht;
und selig ist, wer sich nicht an mir ärgert.
Lukas 19, 1 ff: Jesus ging nach Jericho.
Es war da ein Mann mit Namen Zachäus,
der war ein Oberer der Zöllner und war wohlhabend.
Und er begehrte, Jesus zu sehen, wer er
wäre, und konnte es nicht wegen der Menge; denn er war klein von Gestalt.
So lief er voraus und stieg auf einen
Maulbeerbaum, um ihn zu sehen; denn dort sollte er durchkommen.
Und als Jesus an die Stelle kam, sah er
auf und sprach zu ihm: Zachäus, steig eilend herunter; denn ich muss
heute in deinem Haus einkehren.
Und er stieg eilend herunter und nahm
ihn auf mit Freuden.
Als die andern das sahen, murrten sie
alle und sprachen: Bei einem Sünder ist er eingekehrt.
Jesus aber sprach: Heute ist diesem Hause
Heil widerfahren, denn auch er ist Abrahams Sohn.
Diese Geschichte leuchtet ein. Sie hat
ein Strahlen bei sich. Wer so zu Menschen ist, wie dieser Jesus, der hat
recht, der hat einfach die Wahrheit auf seiner Seite, ja, ist die Wahrheit
mit Hand und Fuss. So wie Zachäus wollen wir erkannt und bemerkt sein,
und so wie Jesus wollen wir andern Lichtblick sein; Grund, das Leben gut
zu finden.
Jesus zog durchs Land, tat Gutes und lässt
es sich dabei gut gehen. �Wir müssen uns Jesus als einen glücklichen
Menschen vorstellen� (D. Sölle). Mit ihm geht Menschen die Sonne auf.
Er beleuchtet die Verhältnisse mit einem warmen Licht, dass sie ins
Tanzen geraten. Mit Jesus konnten viele wie tot dahinlebende neu beginnen,
konnten ihre Lähmung abschütteln, in moderner Übertragung
� Forest Gump: Als wieder die Mitschüler ihn wegen seiner Stahlschienen
an den lahmen Beinen hänselten und jagten, da rief die Schulkameradin
�lauf, Forest, lauf� und sagte es so beflügelnd, dass Forest was wie
Flügel wachsen und er läuft sich gesund. Jesus schickt die Aussätzigen
los: �Geht, zeigt euch den Priestern� �und während sie gingen, wurden
sie rein� (Lukas 17, 11 ff). Jesus heilt so: Er bestärkt Menschen
im Vertrauen, dass Gott sie heil bekommt. Also liegt Besserung vor ihnen.
Und sie mühen sich, ihrer Heilung entgegen zu kommen.
Zachäus litt an einem besonderen
Mangel: Er war schlecht angesehen. Er war Steuereintreiber in Diensten
der verhassten Besatzungsmacht. und verdiente gut daran. Man mochte ihn
nicht, er hatte zwar Macht, den Mitmenschen Geld abzuverlangen, aber Achtung
bekam er keine. Im Gegenteil, sie mieden es, ihn anzuschauen, verächtlich
drückten sie die Münze ab � keiner sprach im Dorf mit ihm. Bis
auf die, die von ihm profitierten.
Einmal sollte Jesus kommen. Andern hat
er ihr Leben neu auf die Beine gestellt, der Mensch scheint eine Verheissung
zu sein. Zu dem geht man wenn er kommt. Aber Zachäus weiss, wenn das
Volk den Star erst umringt, dann geht er unter, wird weggedrängt,
zumal er klein von Wuchs ist.
Also läuft er dem, der kommen soll,
entgegen, klettert auf einen Baum � sicher, wo er weite Vorausschau auf
den Wundermann hat. Auch die Kinder waren mit vor den Ort gezogen und die
Hunde, endlich passiert mal was.
Zachäus wird den Meisterdenker mit
seinen Blicken aufgesogen haben, der mit dem Schwarm von Freunden um sich
� eine heitere Schar, Männer, Frauen � da könnte man mitziehen,
denkt Zachäus, könnte alles schlechte, weil im Gewohnten versunkene
Leben hinter sich lassen. Aber wer ist er denn, dass ihn der leuchtende
Mensch überhaupt bemerken sollte. Jesus kommt auf ihn zu. Er scheint
schon fast vorbei, die Augen des Zachäus leuchten auf, aber haben
schon den Glanz des Erinnern aufgelegt, das Ahnen, es hätte was Grosses
mit ihm passieren können � aber vorbei, vorbei. Da bleibt Jesus stehen,
sieht zu ihm auf, spricht ihn mit Namen an, nimmt ihn in Dienst.
Dies den Andern Merken, ihn aus der Masse
herausheben, ist ein Wunder. �Ja, der meint mich und kennt mich� � ist
eine Art Neuschöpfung. �Der mich lieb hat, der mich kennt und bei
meinem Namen nennt�, ja, ich bin wer, ich bin ihm bekannt, es kann kein
Irrtum sein, nicht nur eine menschenfreundliche Geste, auch die wäre
schon schön, nein, der weiss was er tut, der grosse Jesus, dass er
mich anspricht, mich erkennt, also auch meine dunklen Seiten weiss, Irrtum
ausgeschlossen � der lädt sich bei mir ein. Zachäus lebt das:
�Auferstanden aus Ruinen und der Zukunft zugewandt� und läuft los.
Das gibt Ärger im Städtchen,
zu dem miesen Typen geht er � weiss er nicht?
Doch Jesus weiss. Er sagt: �Die Kranken
brauchen den Arzt, nicht die Gesunden� (Lukas 5, 31). Ihr fühlt euch
doch komplett, seid gut beleumundet. Ihr fühlt euch im Reinen mit
Gott und den Menschen, dieser nicht. Ihr seid geachtet, dieser nicht. Er
tut, was in eurer Meinung ein anständiger Bürger lassen sollte,
so schneidet ihr ihn, dreht euer Gesicht weg, wenn er vorbei geht, eure
Kinder sollen mit seinen nicht spielen � ihr sprecht ihm das Mitmenschsein
ab. Doch er ist auch Abrahams Nachkomme, auch ein Kind Gottes. � Vielleicht
hat Jesus auch noch gesagt: Ich habe keinen Mut, mich bei euch einzuladen
mit meinen Freunden. Aber er steigt vom Baum, rennt heim, lässt auftischen
was geht, für mich und meinen ganzen Anhang. Aber Zachäus nimmt
mich auf mit Freuden.
Ja Zachäus, so möchte ich auch
sein: Seine Augen waren Augensterne geworden, die flammten und glichen
goldenen Spiegeln, die das Bild des Jesus strahlend zurückwarfen (nach
Musil). Die Freude kommt davon, dass Jesus ihm die Gastfreundschaft zutraut.
Jesus lädt sich bei ihm als Verwandten ein, Kind Gottes speist mit
Kind Gottes � das Einfachste, das Normalste überhaupt, wenn wir einfach
menschlich wären. Einer hat Hunger, einer hat genug zu essen, also
werden beide satt. Einer fühlt den Hunger des andern mit, ehrt den
andern als ebenbürtig � das Wort kommt von: beide von gleicher Geburt,
darum gleichen Rechtes, ebenbürtig eben.
Jesus sagt: Heute ist deinem Hause Heil
widerfahren. Jesus bestätigt ihm die Würde, zusammen zu gehören.
Daraus folgt das Gebenkönnen. Gebrauchtwerden ist Glück. Jesus
traut Zachäus zu, dass es ihm Freude macht, Freude zu machen. Und
alles nimmt seinen Anfang mit Anschauen, ein Betrachten, das schön
macht.
Wir haben doch alle ein Antlitz vor Augen,
das uns den Zusammenhalt der Welt verbürgt? Das sonnige Angesicht
von Mutter oder Oma, später der/des Geliebten. Darin sehen wir uns
als geliebt. In seinen Augen entwickeln wir unser eigenes Bild vom tauglichen
Menschen. Oder ist es einmal, dies bewahrende Bild, dir zersplittert? Wir
bleiben alle auf der Suche nach dem heilenden Bild. Noch von den Gesichtern
der Tagesschausprecher, Damen oder Herren, pflücken wir uns Lebenszuversicht,
die noch den schlimmen Nachrichten standhält. Einige haben ein inneres
Leuchten mit, das verbürgt: Wir sind in Gottes Hand, was auch geschieht.
Unsern Hunger nach heilendem Angeschautwerden
nutzt die Werbung; sie umzingelt uns mit sympathischen Figuren. Die nutzen
unsere Bedürftigkeit nach Anerkennung, versprechen sie, wenn wir ihre
Sachen kaufen. Das kommt von dem Süchtiggewordensein nach Mutters/Vaters
liebendem Gesicht. Und das waren nur Vorschattungen von dem Gesicht des
grossen Gottes. Der Segenszuspruch der Menschheit lautet auch: �Der Herr
segne dich, er lasse sein Angesicht leuchten über dir, er erhebe sein
Angesicht über dich� (4. Mose 6, 24).
Unwahrscheinlich: Wir wissen wie Jesus
aussah � jeder hat von ihm ein Bild in der Seele � ein Inbild der Bewahrung,
fast wie in der Brieftasche wir die Bilder unserer Lieben mitführen,
Glückspfänder, oder wie in den mexikanischen Taxis die Bilder
Marias.
Wir leben vor, im Gegenüber, face
to face, Auge in Auge, als Wahrgenommene, Gemeinte, Bemerkte und sehen
uns selber als Bedeutungsgeber. Wenn du jemand grüsst, gibst du ihm
Achtung. Wenn einer dein Lachen sucht, deine Bestätigung, dein Wohlwollen,
deinen Augenwink, erhebt dich das. Und du erhebst mit deinem Wahrnehmen.
Darum, wenn einer im Supermarkt dich anbufft mit dem Einkaufswagen, sofort
suchst du sein Gesicht , ob er dich anschaut, eine Geste des Bedauerns
sendet, oder solltest du für ihn nur ein störender Gegenstand
gewesen sein?
Wie wir Menschen wichtig sind, das hat
mit Ansehen zu tun; wir sind zum Bild Gottes geschaffen, dass er uns ansieht,
sich darin findet. Modell des Menschen, der Bild Gottes ist, ist der Mensch,
der nach dem andern schaut. Damit ist aber auch das Vorläufige aller
Paare angedeutet � sie schauen einander an, aber bleiben Ich und Du. Ein
Ganzes werden wir nur in Glücksmomenten. Paulus sagt das so: Wir sehen
jetzt wie im beschlagenen Spiegel nur ein dunkles Bild. Dann aber von Angesicht
zu Angesicht. Jetzt erkenne ich bruchstückhaft, dann aber werde ich
erkennen, wie ich von immer her erkannt bin, gemeint bin von der Liebe,
die Gott ist (1. Korinther 13, 11f).
Die Augenblicke von Herz zu Herz bleiben
die Sternstunden unseres Menschseins. Dann mustern wir nicht, kontrollieren
nicht, schätzen nicht ab sondern betrachten, und dabei füttern
wir mit Energie, tragen mit Achtung, erheben aus der Menge, behüten.
Wir nehmen die guten Augen der Ärztin, der Seelsorgerin, des Pflegers
als Kraftquelle, in jedem gütevollen Menschen finden wir Vater, Mutter,
den geliebten Menschen wieder, darin Jesus, darin Gott. Wer nicht besitzergreifend
sondern liebevoll anschaut, der ist uns Gottes Bote, heller Schein, schafft
Erleuchtung, beglaubigt mir mein Wertgeachtetsein in Gottes Augen.
Die Geschichte von Jesus und Zachäus,
ist ja eine Ikone, ein mit Gotteskraft geladenes Bild: Jesus erhebt sein
Gesicht und bringt das Antlitz des kleinen Mannes in der Baumkrone zum
Strahlen; ein starkes Portrait des Jesus ist das und ein deutliches Bild
Gottes. Hätten wir doch diese Bildgeschichte immer bei uns: Wir auf
dem Baum, klein, mit Fehlern � und Gott schaut uns an, lädt sich zu
uns ein, spricht uns tauglich, ihn zu bewirten. Dann speist er durch unsere
Augen Vertrauen in die Welt. Und wir werden aufgeschreckt aus unsern Baumplätzen,
als wäre die Welt dazu da, uns zu gefallen. Wir werden angesprochen
und in Dienst gestellt. Vom Zuschauer und Meditierer werden wir zum Veranstalter
von Leben und Glück bestellt. Das macht Freude. Das Fest des Lebens
mit zu inszenieren ist unser Auftrag.
Zachäus wurde ein neuer Mensch. Er
gab viel Besitz frei, dass Gutes damit geschehe. Aber das ist nicht Forderung
sondern Frucht. Der so geachtet ist, der wird achtsam.
Ein Fund aus dem Schatz der Theologie
zum Schluss: Revelatio ist das lateinische Wort für Offenbarung: wegtun
das Velum, den Schleier, der mir die Welt verdunkelt: Jesus schaut Zachäus
an, nennt ihn beim Namen, beauftragt ihn, ein Fest zu geben. Er lehrt ihn
ein neues Sehen. Merken, aus Bemerktsein, achtsam sein aus geachtet sein,
im Anderen das Geschwister der Familie Gottes sehen. Paulus sagt: �Wir
alle spiegeln auf unserm Antlitz die Herrlichkeit des Herrn wider� (2.
Korinther 3, 18), wenn in unsern Augen die Wolken der Selbstverachtung
verscheucht sind und wir den Himmel sehen.