Keitumer Predigten Traugott
Giesen 15.09.2002
Als Gottes Erdenbürger gebt dem Staat,
was er braucht
Wir sollen die Wirklichkeit nicht nur genießen
bis ausbeuten, nicht nur sie aushalten, sondern sie ordnen, wir sollen das
Dasein hüten, bebauen, bewahren. Gott vertraut uns die Erde an und gibt
uns Heiligen Geist, um das friedliche Zusammenleben zu organisieren. Stark
ist das Bild für diesen Herrschaftsauftrag" in der ehrwürdigen
Schöpfungsgeschichte: Gott führt dem Menschen die Tiere vor,
dass er sähe, wie er sie bezeichne, und wie er sie benenne, so
sollen sie heißen" (1. Mose 2,19). Dies ist kein einfaches
Schilderanheften, sondern ein Sichzuordnen durch Ernennung. So gehört
es ja auch zu den vornehmsten Rechten der Eltern, ihren Kindern Namen
aufzuerlegen; und überhaupt ist das die Urmacht: bestimmen, wie es
heißt. Das öffnet Türen, das besetzt die Köpfe, wer
die Namen gibt, der bestimmt; wer die Schlagzeilen entwirft, sagt, was gedacht
werden soll; Medien machen auch Politik. Aber wenigstens alle vier Jahre
sind wir Bürger zur Wahl gerufen, Politik zu gewichten; wir dürfen
entscheiden, welche politische Meinung am meisten gelten soll.
Wir können das Regieren anderen
übertragen, aber wem und was gelten soll im Land, das müssen wir
sagen. Es gehört zu unserer Bestimmung als Menschen, das Zusammenleben
zu gestalten, - und der wesentliche Teil dieser Gestaltung von Zusammenleben
ist Politik. Natürlich gestalten wir Zusammenleben auch in der Familie;
auch auf der Arbeit, in Vereinen, Kirche, Schule, - aber alles wird durchzogen
von gemeinsamen Absprachen, für die wir "Häuptlinge", weibliche
und männliche auf Zeit wählen. Die sollen der Stadt, des Landes,
der Erde Bestes bewerkstelligen, jedenfalls die Rahmenbedingungen verabreden,
in denen Zusammenleben auf allen Ebenen gestaltet werden soll.
Alle paar Jahre stehen neue und alte Kandidaten
zur Wahl. Wir können alte Häuptlinge verabschieden oder sie
veranlassen, weiterzumachen, wir können Neue vor den Politikkarren spannen.
Es ist schon fair, dass wir alle zur Wahl gehen, es ist doch unsere Regierung,
unsere Opposition, es sind unsere Kanzler und Bürgermeisterinnen, -
niemand ist eine Insel, keiner hat einen eigenen Staat.
Gerade weil keine Retter zur Wahl stehen, muß
jeder sein Gewicht in die Waagschale legen und den oder die mit einem winzigen
Hauch mehr Zutrauen zu belegen, oder eben gerade dem die Macht zu entziehen.
Demokratie ist eine Regierungsform voller Schwächen, aber immer
noch die Beste aller uns möglichen", soll Churchill gesagt haben. Nicht
zur Wahl gehen, das hat die Wahl schon vollzogen: es verstärkt die
Mehrheit.
Politik ist ein, ja ist das Feld
der Nächstenliebe über ich und du hinaus. Wir dürfen nicht
privatisieren, was so verlockend ist. Der Wahrheiten müde, loben
wir wieder die Gärten - verlegen uns auf Mädchen und suchen Leute
auf, die wir mögen, sagt einer resignierend, der mal viel zu sagen hatte"
(Nicolas Born). Wir Christen müssen uns einmischen, wir müssen
Politik machen. Jesus hat seine Jünger: Salz der Erde" genannt,
und das Licht der Welt" - Also lasst euer Licht leuchten"
(Matthäus 5,13ff). Wir wissen die Eckpfeiler des Menschlichen: Du sollst
nicht Gott sein wollen, nicht von Allmacht träumen, nicht eine Katastrophe
als unvermeidlich hinstellen, du sollst deines Bruders Hüter sein, du
sollst Gerechtigkeit beschaffen, Krisen sollen wahrgenommen werden, Wege
in der Gefahr gesucht werden.
Christen haben das Urwissen, dass wir in einer
Schöpfung leben, die noch auf dem Weg ist, heil zu werden, und wir sollen
Schrittmacher zu Besserem sein. Das verlangt eine Politik, die nicht auf
Pump bei den nächsten Generationen lebt.
Und Christen wissen auch: Wir sind schwierig,
sind nah an der Hartherzigkeit, sind gern auf der richtigen Seite, nutzen
gern Vorteile, überlassen Nachteile gerne anderen. Wir haben die Tendenz,
gewaltsam an uns zu reißen - schon bei Geschwistern, das kann dann
gestylt werden zum großen Geldverdienen und zur Geschicklichkeit, sich
bei gemeinsamen Kosten zu drücken - wie immer welche sich wegdrücken
bei Arbeit. Wie können wir Eigensucht zähmen? Der Eigensucht jedenfalls
etwas abzweigen fürs Gemeinsame, vor allem aber die angeborene Lust
zu wirken, wie die fördern - das muß Politik auf die Reihe
bringen.
Christen glauben bei allen Schattenseiten des
Menschlichen an einen guten Kern in einem Jeden. Darum muß Politik
die Eigenkräfte entfalten, die Talente heben helfen, Chancen freilegen,
muß Eltern helfen, dass Kinder nicht durch Vereinsamung behindert,
nicht durch Angst starr gemacht, nicht durch Verwöhnung irre gemacht,
nicht durch Verwahrlosung hart gemacht werden. Der Glaube an den guten Kern,
heißt theologisch: Keiner ist ein Kind des Teufels, keiner darf aufgegeben
werde, jeder hat ein Recht, noch Neues über sich zu lernen. Darum ist
Todesstrafe uns nicht möglich, und jede Strafe muß den verbesserlichen
Menschen fördern.
Christen wissen, dass "einer dem andern die
Last tragen helfen soll" (Galater 6,2), dass also Unglück, Krankheit,
Armut von allen zusammen gelindert werden muß. Wir wissen aber auch
von Schicksal und Bestimmung, wissen, dass einiges ausgehalten werden muß,
so das meiste, das mit dem Anfang und dem Ende des Lebens zu tun hat. Wieweit
sind öffentliche Krankenkassen verpflichtet, die Kosten für
künstliche Befruchtung zu bezahlen, haben Menschen ein Recht auf
eigengezeugte Kinder? Ist es nicht vielmehr so, dass Kinder ein Recht auf
väterlich-mütterliche Menschen haben, aber ansonsten Kinder eine
Gabe (und Aufgabe) Gottes sind (Psalm 127,3). Und welche Lebensverlängerung
ist eigentlich Sterbeverlängerung aus Angst vor dem Tod, - wissen da
nicht Christen was von einem Danach, das uns auch mal hilft, dies Erdenleben
loszulassen? Das hat Folgen für die Krankenkassen und Rentenkassen,
das Wissen beeinflusst auch die Grenzziehung für die Solidargemeinschaft.
Politik von Christen geht aus nicht vom Kampf
aller gegen alle sondern vom gemeinsamen Streben nach höchstmöglichem
Glück, und wenn wir nicht alle satt machen können, müssen
wir jedenfalls dafür kämpfen, dass weniger Menschen hungers
sterben.
Die Geschichte vom barmherzigen Samariter Lukas
10,25ff hat die tätige Güte, die schnelle Hilfe in Not fest in
unseren Herzen verwurzelt. Der freiwillige Einsatz zehntausender hilfsbereiter
Menschen bei den Überschwemmungen im Sommer 2002 hat die Herzensbildung
vieler gezeigt. Und das verlangen Christen auch, eine Aufbauhilfe loszueisen,
die wirklich was kostet, und jedem Zahlungsfähigen Merkliches
abzieht.
Der barmherzige Samariter heute in der Politik
beschafft schnelle Hilfe, zeigt Unmenschliches auf, schützt den Fremden
vor Beleidigung, initiiert findig Nachbarschaftshilfe. Und wir wollen nicht
immer reicher werden dadurch, dass arme Länder immer ärmer werden.
Wir wollen nicht mehr die Arbeitskraft eines Bananenarbeiters in Equador
uns kaufen für 20 Cent die Stunde, wollen keine Firmen, die das betreiben.
Christen und die Macht - wir tun gern machtlos,
weisen weit von uns, Druck auszuüben. Doch du hättest keine
Macht, wenn sie dir nicht von Gott anvertraut wäre, also nutze sie zum
Guten, so Jesus sinngemäß zu Pilatus" (Johannes 19,11). Liebe
wünscht sich geradezu Macht, das Gute zu befördern, das
Schädigende einzudämmen. Macht ist ja Wirkmacht. In dem Sinn ist
auch Geld ein Werkzeug, ist gespeicherte Arbeit, was ich damit mache ist
zum Guten oder nicht. Macht ist die Macht zu machen, zu besorgen, zu motivieren,
bringt in die Gänge. Gut, dass Macht in Konkurrenz steht, sich
bewähren muß, an ihren Früchten kenntlich wird.
Die Menschenwürde hat für Macht
unantastbar zu sein. Keine Macht darf sich darauf berufen, Gottes
Gerichtsvollzieher zu sein, weder Eltern noch Regierende. Das ist eine Gabe
christlicher Ernüchterung in der Politik: Wir können nicht die
Welt in ein Reich des Guten und ein Reich des Bösen aufteilen, wir wissen
zuviel von der Verflechtung aller mit allen. Nicht schwarz oder weiß
sondern vielstufiges Grau steht zur Wahl." (G. Grass). Kein Kampf der Kulturen.
Sondern aufeinander hören und lernen von einander, auch dass
die Folgen meiner Angst die Ursachen meiner Ängste sind" (E. Fried).
Eins hängt im anderen.
Hochexplosiv ist die Vermischung von Religion
und Politik. Dass die einen Gott anrufen und die andern denselben einen Gott
anrufen unter ihrem anderen Namen - und jeder bittet, im Namen Gottes oder
Allahs um die Vernichtung der Feinde. Das dürfen wir nicht mitmachen,
wissend um den Gott und Vater Jesu Christi, der uns alle zu Geschwistern
bestimmt hat.
Christen können Politik machen mit Vernunft
und Augenmaß, mit Geist und ohne den Radikalismus der Unerfahrenheit.
Heiliger Geist heilt von Größenwahn durch Maßvollwerden
und heilt von Selbstverachtung durch Zugottgehören. Und das gestehen
Christen aber jeder Kreatur zu: Ich bin Leben, das leben will, inmitten
von Leben, das leben will" (A.Schweitzer). Selbsterhaltung und Kampf gegen
Lebensvernichtung, wo auch immer, gehören zusammen.
Damit sind einige Linien gezogen für eine
Politik aus dem Geist des Christentums. Welche Partei die bessere Politik
zu versprechen scheint, muß jeder selber finden. Und entsprechend
wählen. Wir müssen wieder wacher Politik machen, nicht nur Steuern
zahlen, das ist ja noch das Geringste, sagt Jesus (Matthäus 22,21):
Gebt dem Kaiser, worauf er ein Recht hat, einen Teil der Münze, aber
ihr, gebt euch, gebt euch Gott. Als Helfer, Engel, als Prokuristen seiner
Erde, Gott wohnt im Himmel aber auf Erden hat er seine Werkstatt und uns
als seine Mitarbeiter.
Wir dürfen uns nicht wegdrücken aus
der Verantwortung für Politik; dürfen nicht bescheiden tun, als
hätten wir doch keine Ahnung und die da oben sind doch alle gleich-
Zu keiner Zeit wurde so direkt auf Meinungsumfragen hin Politiik gemacht-
das beschafft ein Regieren ohne Visionen, aber nah am Ohr des Volkes. Und
du, ich wir sind Teil davon, und können mit Phantasie und
Bündnisfreude um Aufmerksamkeit ringen. Achten wir darauf, dass die
Stimmen einen menschlichen Klang behalten und dass noch anklingt die
Leidensgeschichte der Menschheit.
Politik ist das Ausbalancieren von Interessen,
die lange noch gegensätzlich bleiben. Politik muß Mehrheiten suchen
und vermitteln, muß geduldig Unvereinbares auf den kleinsten Gemeinsamen
Nenner bringen und dabei Zukunft einsäen. Den Gott der Zukunft am Werk
wissen- das lässt uns weiter machen, fröhlich in Hoffnung geduldig
in Mühen, gehalten im Gebet. Amen.