Predigt 13. Oktober 2003
Keitumer Predigten Traugott Giesen 12.10.2003
Der Turmbau zu Babel 1. Mose 11, 1-9
Es hatte aber alle Welt einerlei Zunge und Sprache
Als sie nun nach Osten zogen, fanden sie eine Ebene im Lande Sinear und wohnten
daselbst. Und sie sprachen untereinander: Wohlauf, lasst uns Ziegel streichen
und brennen! - und nahmen Ziegel als Stein und Erdharz als Mörtel und
sprachen: Wohlauf, lasst uns eine Stadt und einen Turm bauen, dessen Spitze
bis an den Himmel reiche, damit wir uns einen Namen machen; denn wir werden
sonst zerstreut in alle Länder.
Da fuhr der HERR hernieder, dass er sähe die Stadt und den Turm, die
die Menschenkinder bauten. Und der HERR sprach: Siehe, es ist einerlei Volk
und einerlei Sprache unter ihnen allen und dies ist der Anfang ihres Tuns;
nun wird ihnen nichts mehr verwehrt werden können von allem, was sie
sich vorgenommen haben zu tun. Wohlauf, lasst uns herniederfahren und dort
ihre Sprache verwirren, dass keiner des andern Sprache verstehe! So zerstreute
sie der HERR von dort in alle Länder, dass sie aufhören mussten,
die Stadt zu bauen. Daher heißt ihr Name Babel, weil der HERR daselbst
verwirrt hat aller Länder Sprache und sie von dort zerstreut hat in
alle Länder.
Diese alte Geschichte ist ewig jung. Menschen wollen hoch hinaus, sich einen
Namen machen. Das geht auf Kosten anderer. Konkurrenz bis zum Zerreißen.
Die Sprache, ursprünglich zum Verstehen gedacht, wird zur Peitsche,
zur Propaganda, zum Kommando. Die Macht wird blind und gewalttätig.
Man kann nicht mehr miteinander reden, spricht verschieden Sprachen, führt
Krieg, sucht nicht den Ausgleich sondern den Sieg- und Wehe,den
Siegern, das Werk, so glänzend angefangen, zerfällt.
Die alte Geschichte kreist um Babylon, im 2. vorchristlichen Jahrtausend
das Machtzentrum der alten Welt, Der Kodex Hammurabi, mit die älteste
Gesetzessammlung der Menschheit, die mächtigen Stufentürme, aus
buntglasierten Ziegeln stehen als Ruinen bis Heute.
Man hat sich später so seine Gedanken gemacht, warum der Turm, die
Türme eingestürzt waren. Es erzählt sich gut: Das waren
hochmütige Menschen, Emporkömmlinge, die wollten klotzen vor den
andern, wollten herrschen und angsteinjagen. Aber Gott erteilte ihnen eine
Lehre: Er verwirrte ihre Sprache- sie konnten sich nicht mehr verstehen,
sie konnten ihr Projekt nicht fertig kriegen, verlangte einer einen Hammer,
brachte der andere eine Kanne Bier, befahl der eine: An die Arbeit,
hörten die andern: Feierabend- klar, dass sie auseinanderfielen und
sich verloren in der Historie.
Diese alte Geschichte fand der Jahvist, der Erzähler des 1. Buchs Moses
vor. Dieser große Theologe, von dem wir nichts wissen, als dass in
seinen Texten Gott Jahve heißt, fädelte Geschichten
von Gott auf eine Schnur, eine Heilsgeschichtsschnur - also nicht nur eine
Sammlung frommer Geschichten, sondern er erzählt die Liebesgeschichte
Gottes mit seinen Menschen, der Jahvist fängt sie an, dann reihen sich
andere dran. Und benutzt diese Geschichte für einen starken Auftritt
Gottes.
Ja, es fing an mit der Schöpfung, der wunderbare Garten, die Menschen
geschaffen, ihn zu bebauen und zu bewahren. Da kam aber was dazwischen: Die
Menschen waren argwöhnisch gegen Gott, sie übertraten sein Gebot,
aus Misstrauen, Gott könne seinen geliebten Menschen was vorenthalten,
abgebildet im Baum mit der verbotenen Frucht. Mit dem Wissen von Gut und
Böse kam die Sünde in die Welt, Kain erschlug Abel, de Menschheit
kam beinahe in der Sündflut um, und beim Turmbau zu Babel, wollten sie
sogar Gott aus dem Himmel holen. Da war es Gott leid. Er störte ihre
Kommunikation, anders: Er fing nochmal von vorne an mit einem Menschen zu
sprechen, sich ihm zu buchstabieren. In Abraham, sollen gesegnet werden alle
Völker auf Erden, in Jesus dann sollen alle zu Kindern Gottes erhoben
werden.-
Die alte Geschichte vom Turmbau zu Babylon dient dem, der sie in die Bibel
gebracht hat, zur Kennzeichnung der äußersten Schuld. Dermaßen
haben sie Gott gereizt, dass er die eine Menschensprache in viele Dialekte
gekürzt hat als Strafe und zum Schutz vor weiteren Allmachts-Phantasien.
Der ursprüngliche Ort dieser Erzählung ist nicht mehr zu finden.
Aber wichtig ja, was machen wir mit dem Turmbau zu Babel? Als Warnung vor
Hochmut und Sprachverwirrung ist er allemal gut. Schuld kommt aus Hochmut
und hat Sprachverwirrung und Sprachabbruch bei sich.
Es ist dies die Arroganz der Macht: gebieten wollen; Kopf der Verteilungsmeute
sein, es genießen, dass Leute sich um deine Beachtung raufen, durch
Demütigen anderer sich für machtvoll ausweisen und ist doch Sache
der Enttäuschten, nur an Geld und Gewalt zu glauben. Es ist Anmaßung,
sich selbst für den Macher der Geschichte zu halten, auch nur seiner
kleinen Familiengeschichte, wo man herrscht und wenn es durch Traurigkeit
ist - und hat alle im Griff. Man sieht sich als kleiner Herrrgott, sieht
seinen Herrschaftsbereich als seine Kirche, die nur der eigenen Anhimmelung
zu dienen hat.
Anmaßung im großen Stil: Der Präsident der Vereinigten Staaten,
der einen Krieg beschließt, der Ministerpräsident Israels, der
palästinensische Gewalt durch vielfache israelische Gewalt erdrosseln
will. Aber auch unser anmaßendes Benehmen, wie wir als Land des reichen
Westens mit hohen Schutzzöllen die preisgünstigen Waren der armen
Länder künstlich verteuern und so an ihnen mehr verdienen als sie
selber.
Auch Arroganz der Macht: Mit Bomben oder Flugzeugen, die man in Gebäude
stürzen läßt, Menschen hinrichten, wahllos, gesichtslos,
namenlos, reine Angst verbreitend, um so sich oder seine Überzeugung
als machtvoll zu erweisen.
Einen Turm, eine Burg, ein Pentagon bauen, dass wir uns einen gefürchteten
Namen machen, eine Armee, Neutronenbomben - sie sollen Macht besorgen, so
dass man nicht mehr verhandeln muss, sondern befehlen kann; und die Religion
der Macht zelebriert. Hitler war darin ein Meister und hat fast alle Deutschen
zu seinen Messdienern gemacht. Dass wir oder unsere Eltern, Großeltern
uns lange berauschten an seiner gewissenlos gemachten Sprache, die das Morden
verherrlichte - er hat uns verwickelt in Übertretungen und so uns zu
seinem Komplizen gemacht.
Sprachverwirrung ist natürliche Folge von Mächtigsein. Da muss
Gott nicht extra und immer neu eingreifen: Gott macht, dass sich die Dinge
selber machen. Das Natürliche ist die natürliche, die normale Form
seiner Allmacht: Wo Macht ist, ist auch Ohnmacht, und dazwischen hört
die Unterhaltung auf. Mit einem Revolver in der Hand redet man anders, hört
anders, antwortet anders. Der Revolver kann auch das Taschengeld sein,
überhaupt das Geld als Druck und Lockmittel, der Revolver kann
auch Redetalent sein, "Maschinengewehr Gottes" nannte man mal einen Prediger
in USA anerkennend, kein Wunder, dass einer seiner Bewunderer eben der
Präsident Bush ist. Aber auch zu Hause, kann Sprache zur Waffe werden.
Wenn einer brüllt oder zischt:Haben wir uns verstanden?
oder nur: verstanden?! Dann ist die Zeit des Verstehens verbei,
ist bleierne Zeit, Argumente kommen als Geschosse, es wird nicht mehr
zugehört, sondern verhört, es ist nicht mehr Austausch, sondern
Wortkrieg und Anblaffen und dann, wenn kein Wort sich noch von selbst versteht,
fällt Schweigen über sie - es gehen ihnen die Worte verloren, dann
gehen sie einander verloren, gehen auch je sich verloren. Denn Sprache soll
dienen doch um kenntlich zu machen, wir erkennen einander, helfen einander
durch Spiegelung; Bemerken ist doch Ehren, dein Sagen ist nicht deinen
Senf dazugeben, sondern Aufmerksamkeit schenken.
Warum Sprache so kostbar ist? Eine linde Zunge zerbricht Knochen
Sprüche 25,15;
Eine richtige Antwort ist ein Kuß auf die Lippen Sprüche
24,26. Das Wort ist erhaben wie eine Offenbarung, mächtig wie ein Donner,
warm wie die Liebe, gnädig wie der Himmel, weit wie die Erde, fruchtbar
wie ein Acker, süß wie eine süße Frucht (Joseph
Roth) Wenn, ja wenn der Brunnen, aus dem alles Sagenswerte kommt, nicht
zugefroren ist. Wenn doch, dann können wir nur um heiligen Geist bitten,
mit glühender Kohle vom Altar müssen unsere Lippen gereinigt werden,
riesig dieses Propheten-Bild. Gott muss neu die Menschen zum Segen der Liebe
bekehren, er beruft Abraham und im großen Bogen auch uns, dass wir
einander freisprechen, dann auch frei miteinander sprechen, nicht Wörter
suchen als Munition, nicht Zäune aus Wörtern bauen, sondern
Wörter sammeln, wie Zweige für Nester- (Graham Greene).
Harold Brodkey lässt seinen jungen Helden denken: Mama kann zu
mir sagen: Komm her, ich will dich kämmen. Ich verstehe
nicht, wie es Gesprochenem gelingt, mich zum Gehorchen zu bringen.
Gesprochenes hat die Macht und Ohnmacht des Sprechenden in sich, Wörter
haben Fracht geladen, Erfahung, Verheißung - auf sie horchen,
läßt gehorchen.
Und noch eine Begabung der Sprache mehr: Nicht die Taten bewegen die
Menschen, sondern die Worte über die Taten so Aristoteles. Was
wäre Archill ohne Homer, was Jesus ohne die Evangelisten, was Lübeck
ohne Thomas Manns Buddenbrook, was irgendein Ereignis ohne die Deuter und
Schallverstärker in den Medien.
Sprache orientiert und macht handlungsfähig in einer offenen und
gefährlichen Welt, Sprache stellt fest und unterscheidet, schließt
auf, ebnet ein, kennzeichnet, auch mit falschen Etiketten, benennt,
bestärkt oder entmutigt, kann Schwierigkeiten machen durch Unklarheit,
kann Erleuchtung bringen, kann klären, erklären, mitteilen,
ankündigen, verkündigen - Hauptsache: wir wollen uns verstehen.
Ach, hätte Sokrates seine Frau Xantippe verstehen wollen, sie wäre
nicht zur traurigen Berühmtheit gelangt: Aber er war mit anderen
beschäftigt, so konnte der große Geburtshelfer der Wahrheit seiner
Frau den Mund nicht öfnnen, konnte ihr nicht zur Sprache verhelfen,
in der sie die Gründe und Rechte ihrer Wut hätte ausdrücken
können. So mußte sie wohl zanken.
Das Höchste der Sprache: Sie kann Sinn machen. Ist sie vewirrt, dann
verbreitet sie Unsinn. Das Messer des Sagens schneidet am tiefsten, und das
größte Geschenk neben der Liebe ist der Wortschatz, aus dem man
sich auch bedienen kann, sich anzuhübschen. Frei nach Wilhelm Busch:
Es war im schönen Karneval, wo - wie auch sonst und überall
- der Mensch mit ungemeiner List, zu scheinen sucht, was er nicht ist."
So kann viel öffentliche Aufmerksamkeit dem dekorativen Gesabbel gelten:
Die meisten Reporter der hiesigen Frankfurter Buchmesse kamen zur
Präsentation von Klatsch und Tratsch, zu Geständnissen, Bosheiten
und Bettgeschichten eines abgeschabten Schlagerstars, von Fernsehen und von
Regenbogenpresse gehätschelt. Öffentliches Interesse wird aufgesogen
für Quatsch, besetzt wird unser Kopf mit Müll. Als hätten
wir nichts Wichtigeres zu sagen und zu bedenken.
Doch nach Babylon geschieht neue Berufung: Abraham und uns gilt dieser Ruf
in einen Sinnraum der Güte und der Freundlichkeit. Wo Liebe ist, sind
die richtigen Worte, wo die richtigen Worte sind, ist Liebe. Geben wir einander
Worte, die sich über den Abgrund des Unaussprechlichen hinbeugen, die
das im Streit verlorene Land als noch vorhanden, das erschütterte Haus
als wieder bewohnbar darstellen. Und denkt an Frederik:
Als der Winter alle Vorräte aufgezehrt hatte, und die Mäusefamilie
Hunger litt, da erzählte Frederik. Der hatte sich im Sommer oft hingestreckt
dem schönen Planeten, während die andern fleißig sammelten.
Jetzt erzählte er von der Sonne, von all ihrem Leuchten, ihren Farben,
ihrer Glut und dass sie bald kommt, ganz bald, und die Erde auftaut und Speise
wieder in Fülle bringt. Ich sehe sie schon, darum kann ich euch so
erzählen, und die Mäuse tanzten sich vor Freude warm - was kam
von den goldenen Körnern der Worte.