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Predigt 19. Oktober 2003

Keitumer Predigten Traugott Giesen 19.10.2003

"Seid barmherzig, wie euer himmlischer Vater barmherzig ist" (Lukas 6,36)

Immer wieder: Reiß dich zusammen, bezähm deine Wut, dein Spottlust laß nicht ins Zeug schießen, deine Mäkellust verbeiß dir; nimm nicht die Parklücke, die dem vor dir zusteht, auch wenn er es noch nicht geschnallt hat, lass die üble Nachrede - immer wieder deine, meine innere Stimme: Keine Rache, kein „wie du mir so ich dir“, kein Geiz. Immer wieder muss ich mich ermahnen. Es ist eine Kraft zum Bösesein in uns. Der Paulus ganz rigoros: „Das Gute, das ich will, tue ich nicht, aber das Böse, das ich nicht will, tue ich, ich Elender! Wer wird mich erlösen von diesem todverfallenen Leben: Dank aber sei Gott durch Jesus Christus“ (Römer 7,18.24).

Christus versichert uns der Liebe Gottes: Gott liebt dich. Du bist durch diese Liebe gut. Du musst dich nicht erst zu einem Liebenswerten machen. Du, Gott ist dir barmherzig; der Rest, deine Entsprechung, die kommt von selber.

Der himmlische Vater dir barmherzig! Du bist berechtigt, du zu sein, auch wenn du aneckst bei deinen Mitmenschen, oder deine Makel dich verklagen. Du bist dazu auf der Welt, gern du zu sein, du Tochter/Sohn Gottes. Du sollst Gott mehr gehorchen als den Menschen,- also geh davon aus, dass du ihm gehörst. Den Menschen kannst du nicht gehören, höchstens zu ihnen.

Wenn Menschen uns Gehorsam abverlangen, dann dringen Stimmen von außen auf uns ein. Wenn wir Gott gehorchen, dann hören wir unsere Seelen-Muttersprache, unsere Seele hört sich nach Hause gerufen, also ich zu meinem innersten Selbst gerufen, ich erlöst.

Natürlich ist diese Erlösung zu mir selbst ein langer Weg. Ich, Du,  wir sind frei, ja zu sagen oder nein, den Forderungen und Ratschlägen der Welt zu folgen oder nicht - und doch wissen: Gott trägt dich auf Händen. Also such' Freude, gib Freude. Du musst nicht in erster Linie das Böse vermeiden, sondern dem Guten in dir seinen Lauf lassen, Gott hat dich erfunden, dann sei auch barmherzig mit dir und mag dich, freu dich, besorge Glück.

Du kannst keinen zwingen, dich für sein Glück zu halten, du kannst keinen zwingen, sein Geld, sein Haus, sein Brot mit dir zu teilen. Du musst dann weg und weiter: „Bittet, suchet, klopfet an“, sagt Jesus (Matthäus 7,7), auch durch schwierige Menschen hindurch können wir die Barmherzigkeit Gottes zu spüren bekommen. Erlebst du Gott als barmherzig, dir zugewandt, dir hilfreich? Doch, find das raus! Das ist der Motor allen barmherzigen Tuns, dass du seine Barmherzigkeit an dir siehst. Dein Gutes Tun brauchst du dir nicht mühsam abringen, es quillt aus dir als Dank.

Und er ist dir doch gut, ja, im Vergänglichen. Das Vergängliche, die schönen Stunde, das Trösten, das Herbstlaub, das Jauchzen der Kinder, der Duft des Gelingens, die Schönheit deiner Haut oder? Ja, vergänglich, alles, aber kostbar, in jedem Schönen ist der Glanz doch Schimmer des Heiligen. Jedes innige Fühlen doch ein Flimmern, als hätte dich der Himmel still geküsst, spürst du es? Vielleicht unter Mühen, aber du siehst Gott im Irdischen mit dir gehen, du gibst dich ihm hin, und durch deine Hingabe wird das Irdische dir zum Gleichnis des Ewigen, und Gott ist dir nah, wie der Schmerz und die Wonne.

Du, denk dir Gott nicht aus unter Abzug der Welt. Der dir barmherzige Gott gibt dir ein Stück Schöpfung zum Bebauen und Bewahren - ein Kind, einen Hund, einen Garten, ein Geschäft, eine Kanzel, ein Beratungstableau, du hast eine Fülle, die unter die Leute muss, du siehst einen Mangel, der nach Abhilfe schreit, alles ist doch Schöpfung, die du mit dem barmherigen Gott gemeinsam handhabst; die unter deinen Händen blühen soll. Und wo du nichts mehr ausrichten kannst, ist doch Gott barmherzig, weil er da ist und sich dir hinhält, dass du an ihn deine Klage richtest, in ihn hineinweinst das unerträgliche Leid des Sterbenlassenmüssens.

„Ich fürchte mich nicht vor Gott - der ist gescheit“ – herrlich sagt das Harold Brodkey. Der weiß dich doch zu nehmen, der weiß doch, wie wir Staubgeborenen nur vom Hauch seines Odems, von seinem Willen den nächsten Herzschlag empfangen, niemals bestraft er dich, niemals wütet er gegen dich. Ja, er setzt dich den Folgen deines Tuns ein Stück weit aus, aber dann schickt seine Barmherzigkeit dir bald einen Schlaf, oder ein Gespräch oder die Eingebung: um Vergebung zu bitten. Dein großer Hintergrund ist Barmherzigkeit - fiel dir nicht das Los aufs Lieblichste? In Krieg und großen Schrecken  - Du immer durchgekommen, auch wenn versehrt. Gott ist mit dir tolerant, - sei du es mit deinen Nächsten auch, nicht aus Gehorsam, sondern aus Verwandtschaft.

Toleranz - das Schmieröl des Zusammenlebens, Geduld, ein Stück Leidensbereitschaft. Wie lange lass ich mir den Lärm des Mieters über mir gefallen? Sein lautes Fernsehen? Es gilt Zimmerlautstärke, aber die seiner oder meiner Ohren? Soll ich ihm eine moderne Hörhilfe schenken? Oder doch mir Dämmplatten montieren oder ihn rausklagen oder lieber fortziehen- Was zu weit geht, geht zu weit. In Ehe, Nachbarschaft, Freundschaft, Geschäftsleben. Aber wie weit ist zu weit? Das verabreden; den langen Atem haben, die gemeinsame Waage erst mal zu bauen, auf der die Argumente gewichtet werden.

Geduld stiftet einen Raum für verschiede Sorten der gleichen Art; Geduld hilft, Menschen, deren Verhalten man ablehnt, dennoch als Mitmenschen zu achten. Da ist viel Platz für persönliche Freundlichkeit bei aller Distanz.

Toleranz ist auch staatliche Aufgabe: Der Staat hat das Gewaltmonopol, um die Grundrechte der Bürger zu sichern, und wird das alleinige Recht auf Gewalt nur behaupten, wenn er die Grundrechte sichert. Die Freiheit, Religion auszuüben und die Freiheit, Religion nicht auszuüben, ist ein Grundrecht. Also müssen wir als Christen es uns gefallen lassen, dass im mehrheitlich von Muslimen bewohnten Viertel jetzt der Muezzin mit starken Lautsprechern mehrmals zum Gebet in die Moschee ruft. Schweren Herzens, ja. Wir Evangelischen haben das Glockengeläut unserer Kirche lange gekürzt und gedämpft. Und jetzt kommen Zugereiste, die hier sich Heimat bauen nach ihren Maßstäben. Wir können ihnen nicht verbieten, was ihren Vorstellungen nach ihre religiöse Pflicht ist. Man muss aber miteinander beraten, wie der Wunsch der einen mit dem Wunsch der anderen zu vereinbaren ist, wie die einen zum Gebet gerufen werden können, und die anderen die Freiheit behalten, nicht gerufen zu werden. Schriftliche Einladungen kann man sich verbitten, aber wie verbíttet man sich akustische Einladungen? Ja, man kann sie dämpfen und kürzen - es bleibt wie bei den Glocken nur eine Lösung, die von beiden Seiten Toleranz fordert.

Genau so mit dem Kopftuch. Die Lehrerinnen sollen im Unterricht nicht ihr Glaubensbekenntnis vorführen. Wie staatliche Räume nicht mit Kruzifix christlich in Beschlag genommen werden sollen, so sollen die Lehrkräfte im Unterricht nicht ihre religiöse Überzeugung zur Schau stellen. Aber was ist mit Nonnenhabit, was mit schwarzem Anzug, weißem Collar der Priester. Ja, wenn sie konfessionsgebundenen Religionsunterricht geben, können sie in ihrer Dienstkleidung kommen, wie auch der Mufti mit Kaftan oder die muslimische Islamlehrerin im Kopftuch kommen kann. Aber unser Staat ist zur religiösen Toleranz verpflichtet, darum muss er wohl seinen Lehrkräften die Toleranz abzuverlangen, ohne ihr Glaubensbekenntniskleid zu unterrichten - außer an Privatschulen. „Im Namen der Toleranz sollten wir das Recht beanspruchen, die Intoleranz nicht zu tolerieren“ (Karl Popper). Oder kann man von den Bürgern verlangen, das Tuch als Modestück zu tolerieren, als Geschmacksfrage eben, wie Dirndl oder Irokesenschnitt? Ist aber das Textil hier eben nicht; anders in Großbritannien, wo die vielfachen Herkunftsländer in verschiedenen traditionellen Kleidungen überdauern.

Toleranz im Verkehr - das wäre schön: Wir ließen die Schnellen gern passieren, wir ließen die Langsamen gerne trödeln, wenn sie rechts fahren. Klar hat es der Handwerker zum Feierabend eiliger als der Pensionär im Urlaub. Darum stoßen sich verschiedene Interessen auf dem engen Raum der Straße und fordern ein Denken für die andern mit.

Ja, und soll der ADAC auch Nichtmitgliedern helfen? Natürlich, wenn auch doch nicht ganz umsonst. Und soll Kirche Kinder auch von Nichtgliedern taufen? Klar; und sollen auch Nichtmitglieder eine Trauung bekommen? Nein, aus nackter Fairness sollte wenigstens einer Kirchensteuer zahlen. Und Beerdigung? Da kann man doch schlecht mit Gegenargumenten kommen, wo nur geweint wird. Auf "Vaterunser" und Segen hat doch jeder auf dem Weg ein Recht. Hier mal ein Dank an die "treuen Unkirchlichen", die so tolerant sind, Kirche mitzufinanzieren, auch wenn sie die gerade überhaupt nicht sehr brauchen.

Toleranz ist ein großes Wort; ganz nah an Humanität und Menschenfreundlichkeit. Aber gegenüber Drogen, Antisemitismus, Rechtsextremismus, Verhungernlassen - „Nulltoleranz“. Das Wort signalisiert schon das Nein gegen eine Weggucktoleranz. Ein liebloses Egalseinlassen kann nicht gemeint sein.

Seid barmherzig, wie euer himmlischer Vater barmherzig ist. Eben. Amen


 




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