Predigt 1. Januar 2004
Keitumer Predigten Traugott Giesen 01.01.2004
Neujahr
Losung 2003: Ein Mensch sieht, was vor Augen ist, aber Gott sieht das Herz
an (1. Samuel 16,7)
Losung 2004: Himmel und Erde werden vergehen: aber meine Worte werden nicht
vergehen, spricht der Herr- (Markus 13,31)
Prediger 3,1-8: Alles hat seine Zeit und alles Vornehmen unter dem Himmel
hat seine Stunde: Geboren werden und sterben, pflanzen und ausreißen,
töten und heilen, brechen und bauen, weinen und lachen, klagen und tanzen,
herzen und ferne sein von Herzen, suchen und finden, behalten und wegwerfen,
zerreißen und zunähen, schweigen und reden, lieben und hassen,
Streit und Friede hat seine Zeit.
Aber Gott gehört die Zeit. Er läßt es Zeit werden, ja, Gott
wird Zeit.
Der Jahreswechsel ist erst mal ein technisches Problem. Die meisten Umstellungen
sind schon einprogrammiert. Es ist kaum noch eine Kerbe sichtbar, vielleicht
weckt ein Doppelpiep, alles geht weiter. Die Zeit scheint ein Fließtext
zu sein. Nimm man den Raum kommen zur Landschaft Namen hinzu, aber die stehen
auf einem anderen Blatt, sind Verabredung. Wie die Namen für die Orte,
so die Jahreszahlen für die Zeit: sie helfen zu Absprachen, aber
können auch ganz anders heißen. Darum ja auch die verschiedenen
Kalender der Menschheit.
Wenn wir einen altmodischen Kalender an der Wand haben und das letzte Blatt
abreißen, dann starren wir auf helle Leere. Hängen wir den neuen
auf, sieht es nach einem Packen Gutscheine aus. Gestern wünschte man
sich: komm gut rüber, als kröche uns ein Grauen an vor der Leere
des Kalenders. Was wäre, wenn die Zeit abbricht? Technisch gesehen
könnte uns in Minutenschnelle eine Eiskruste überziehen, weil die
Erde aus der Bahn gefegt wurde.-
Ach, zum Glück haben wir ja soviel christlichen Glauben mitbekommen,
dass uns ein Zeit- und Weltende nicht schreckt. Das ist auch die Beute dieses:
Von guten Mächten wunderbar geborgen erwarten wir getrost was
kommen mag. Wir brauchten keine Schreckfiguren an Silvester mehr
vertreiben, es gibt keine Macht, die uns böse will. Wir Menschen haben
es selbst in Hand, dass es ein gutes neues Jahr wird.
War das alte für dich ein gutes Jahr? Dann wirst du herzlich gedankt
haben für die Beute des Jahres. Hast du Jahresringe geschrieben? Oder
heute unbedingt: Du machst Bilanz, nicht nur fürs Finanzamt, sondern
für deine Seele. Du willst doch wissen, was mit dir ist, willst doch
merken die Bewahrungen, Bedrohungen, die zwei, drei schweren Fehler, die
sechs, zehn Glücklichkeiten deines Jahres. Würdest du nicht danken,
würde dir was Menschliches fehlen, und du müsstest dringend zum
Seelenarzt.
Und jetzt: der Packen Gutscheine, eine Kette Perlen, Tage voll Chancen,
Nächte voll Erholung. Jedenfalls staunst du auch: du bist noch hier,
du hast noch Zeit. dir, uns, wird ein neues Zeitkonto eröffnet. Sicher
musst du auch alte Posten übernehmen. So ist ja deine Gesundheit die
sehr genaue Abbildung deines Gewordenseins. Wir nehmen uns mit, wohin wir
gehen, Und der neue Kalender - erstaunlich, wieviel Festgelegtes da schon
schwarz auf weiß steht. Er verzeichnet die Tage, die Feste, die Sonnenauf-
und Untergänge. Nicht zu fassen, was alles schon an öffentlichen,
uns allen gehörenden Terminen, vorgegeben ist. Allein schon das weise
Wochengerüst beschafft uns ein uns (fast) allen vorgegebenes Gefüge.
Wenn du jetzt von deinen Lieben die Geburtstage noch einträgst und von
Losgegebenen auch die Sterbedaten; und deine, eure Ferien festlegst, dann
ist das Gelände 2004 schon heimatlicher. Und wenn du vorne
A(nno)D(omini)_(Jahr Gottes) reinschreibst und hinten Es wird gut
werden dann kennzeichnest du dir das Neue als von Liebe umarmt. Und
freust dich, dass es losgeht.
Alles hat seine Zeit und alles Vornehmen unter dem Himmel hat seine Stunde,
sagt die Bibel. Ist das tröstlich, ist das bedrohlich? Es ist, was es
ist - und ist Gottes Zeit, darum letztlich gut, auch das Schwere gut, weil
es zum Guten gehört. Das Böse bildet die weiteste Ferne vom Guten,
seinen äußersten Rand. Das Glück, alles hat seine Zeit, also
seinen Rahmen, von Gott gehalten, die Zeit und was darin geschieht.
Geboren werden und sterben, - dazwischen ausgespannt der Regenbogen des
Geschehens, den du mit bauen darfst. Was heißt das: Geboren werden
und sterben hat seine Zeit - hat seinen Termin? seine vorausgehende
Beschlussfassung? Keine Ahnung, aber innerhalb des Zirkels der Allmacht.
Also gewollt bist du, ich, mittels dieser Eltern geboren, du, ich. Und irgendwann
ist meine Lebenszeit erschöpft, ausgetrunken, dann ist es für mich
Zeit, allerbeste Zeit, einzigmögliche Zeit. Weil ja auch Gott mich aus
der einen Hand in seine andere füllt. Sterben für mich selbst nur
umsteigen, - im Hause des Herrn. Aber auch das hat dann seine Zeit, zu wissen,
wer ich bin ohne den anderen.
Bis dahin Zeit für pflanzen und ausreißen, erst ausreißen,
dann pflanzen, erst roden, dann ackern - lebenswichtig: das Feld bereiten,
auch dich ausreißen aus deinem Kindheitsgarten? Und durch immer neue
Räume gehen, unter Mühen, immer haben sich schon andere gemüht,
und du kommst, räumst erst mal auf, also weg. Wegräumen,
leerräumen, dass Neues gepflanzt werden kann, Zeit für töten
und heilen: nimm nur die Tiere, die du verzehrst, und das heilen auf der
andern Seite, was auch dein Talent ist. Heilen, ja achte mal auf deine Heilkraft:
Handauflegen, Besuchen, Worte der Tröstung, Und auch die Wehmut, dass
du verdrängst, streitig machst, auf dem Weltmarkt einkaufen kannst für
einen Stundenlohn die Arbeit eines Wochenlohnes, brechen und bauen. Erstaunlich,
wie gleichwertig das Zerbrechen neben dem Bauen steht. In deinem Leben, was
musst du brechen, damit du bauen kannst- mit wem brechen? Weinen und lachen,
klagen und tanzen - dieses auf und ab, unmutig, missmutig, verstimmt,
vergrätzt, bis hin zum sich leerweinen und sich davonschwemmen wollen,
klagen, wo sind die schönen Tage, und wenigstens in der Trauer meine
Treue wahren, mein Ich retten. Dann wieder lachen, Freude, so gern du sein
- als schönste Form des Lachens, wenn Körper miteinander lachen,
sie einig gehen. Tanzen als schönes Bild für ein Ganzes bilden.
Doch alles hat seine Zeit: herzen und ferne sein von Herzen, suchen und finden,
behalten und wegwerfen, zerreißen und zunähen, schweigen und reden,
die verschiedenen Grade von Nähe und Distanz, ja wir zerreißen
auch Freundschaft, und können sie wieder reparieren. Untreue, Verrat:
der Stoff kann genäht werden, aber der Riß, auch der vernähte
bleibt.
Lieben und hassen, wie nüchtern uns die Bibel einschätzt: Streit
und Friede hat seine Zeit. Und doch will uns Gott. Ihm gehört die Zeit.
Er läßt es Zeit werden, ja, Gott wird Zeit, mit uns so
ein Glück, Zeit für Glück, du zu sein. Amen.