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12.03.2001
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Predigt 13. August 2006

Predigt von P. Willfrid Knees am Sonntag, den 13. August in St. Laurentii / Itzehoe (Tag des Hl. Laurentius) und am 27. August 2006 in Talsi / Lettland

Die 4. Bitte des Vaterunser-Gebetes: "UNSER TÄGLICHES BROT GIB UNS HEUTE!"

Lesungen: Jesaja 58, 7 - 11 und Matthäus 6, 5 - 13

Liebe Gemeinde,

(ein Brot in die Hand nehmend) viele von Ihnen haben Zeiten erlebt, da hätten Sie sich die Finger geleckt nach solch einem Laib Brot. - Ich kenne das am eindrücklichsten aus den Erzählungen meines Vaters, der im Alter von 19 Jahren in Österreich zunächst in amerikanische, dann - ausgeliefert - in russische Kriegsgefangenschaft kam. Ihm gelang es in den südlichen Karpaten, in Bessarabien (heute: Moldawien), zu fliehen. Zu Fuß lief er durch ein hoch stehendes Kukuruz-Feld und durch einen Fluss hindurch, die Spürhunde hinter sich lassend, bis zur totalen Erschöpfung... Vor Hunger knabberte er Baumrinde und freute sich über Löwenzahn. Er kam in ein Dorf, wo noch Siebenbürgendeutsche lebten, alte Menschen und Kinder waren da. Sie versteckten ihn und peppelten ihn mit frischen Tomaten auf. Es war August 1945. Brot gab es nicht, denn es hatte kein Getreide gesät werden können.

Wenn wir uns heute gegenseitig unsere persönlichen Geschichten erzählten von Hunger und Entbehrungen, aber auch davon, wie wir in entscheidenden Lebenssituationen von anderen Menschen, auch von ganz Fremden, Gastfreundschaft, Wegzehrung, elementare Hilfe erfahren haben, OHNE etwas dafür geben zu können als Gegenleistung, - wir würden den ganzen Tag hier sitzen und die erstaunlichsten Geschichten zu Ohren bekommen! Oft erweist sich erst in der Not die echte Menschlichkeit!

"UNSER TÄGLICHES BROT GIB UNS HEUTE!", die vierte Bitte des Vaterunser-Gebetes; Jesus hat es seinen Jüngern beigebracht, ein jüdisches Gebet mit deutlichen Anklängen an das bis heute im Judentum gebräuchliche Achtzehnbitten-Gebet, aber viel knapper, auf das Wesentliche reduziert. Die Bitte um das täglich Brot steht im Zentrum, in der Mitte des Vaterunsers. --- Im christlichen Glauben geht es um den menschlichen Lebenshunger, nicht um eine Flucht aus der Wirklichkeit in irgendwelche höheren Sphären, sondern um die Frage: Wie können wir d i e s e s Leben bewältigen, ohne zu resignieren, ohne zum Raubtier zu werden und ohne verführt zu werden durch die in der Werbung vorgegaukelten Glücksillusionen? Doch nur dadurch, dass wir das wahre "Brot des Lebens"

(Johannes 6,35) entdecken und miteinander teilen. ---

Als Kind leuchtete mir dieser Abschnitt des Vaterunsers am meisten ein. Was Hunger ist, wusste ich. Für mich ging es in dieser Bitte ganz klar darum, satt zu werden - die Sättigung des Bauches. Und ich war vorwitzig und fragte mich: Warum wird eigentlich nicht auch um das tägliche Wasser gebetet? Wasser ist doch noch lebensnotwendiger als Brot?! - Na ja, dachte ich, Wasser ist wohl zu selbstverständlich... - Heute weiß ich: Wasser ist überhaupt nicht selbstverständlich! Sauberes Trinkwasser ist für einen großen Teil unserer weit über 6 Milliarden Mitbewohner auf Erden ganz und gar nicht selbstverständlich. Die hohe Kindersterblichkeit in den Elendsgebieten der Welt liegt zum großen Teil an dem verschmutzten Wasser, das Durchfallerkrankungen zur Folge hat. Brutal ist die statistische Zahl: Über 20 tausend Kinder sterben täglich weltweit, weil ihnen das zum Leben Notwendige fehlt. - Sind unsere Herzen so weit, dass wir beim Beten des Vaterunsers, besonders bei dieser 4. Bitte in das "UNSER" a l l e Menschen auf Erden einbeziehen? Bezeichnenderweise heißt es ja nicht: "M e i n täglich Brot gib m i r heute!"!!!

Die Bitte um das täglich Brot umfasst alles zum Leben Notwendige, reines Trinkwasser genauso wie saubere Luft, aber auch noch vielmehr: dass die wunderbare Schöpfung Gottes und die Vielfalt der Güter unserer Erde erhalten bleiben und dass wir Menschen endlich lernen, miteinander zu teilen - und zwar nicht nur im materiellen Sinne, sondern genauso im Kulturellen: dass wir unsere jeweiligen Begabungen und Talente miteinander ins Spiel bringen und uns so gegenseitig bereichern. Es geht ums TEILEN im umfassenden Sinne! - Lehre uns, HERR, wie s c h ö n das Leben ist, wenn wir miteinander teilen!

Im 104. Psalm, der bei uns immer am Erntedank-Sonntag gelesen wird, heißt es:

"DU lässest Gras wachsen für das Vieh und Saat zu Nutz den Menschen, dass DU Brot aus der Erde hervorbringst... und das Brot des Menschen Herz stärke:" (Psalm 104, 14 - 15)

Bringt Gott Brot aus der Erde hervor? - Doch nur mit Hilfe der Menschen, die den Boden bereiten, Korn säen, Unkraut fernhalten, die Ernte einbringen, dreschen, mahlen, backen.

Brot fällt eben nicht vom Himmel wie das Manna in der Wüste (siehe 2 Mose 16)! Beim Brot kommt vieles zusammen; es ist GABE und AUFGABE.

Viele tausend Jahre hat es gedauert, bis der Mensch gelernt hat, nicht nur Getreidebrei anzurichten oder Fladen zu rösten, sondern richtiges Brot zu backen aus einem Teig, der durch Gärungsprozesse Luft einschließt und dadurch lockerer und besser verdaulich wird.

BROT ist das Ergebnis des Zusammenwirkens von Himmel und Erde, von Gottes natürlichen Schöpfungsgaben und den Talenten von Generationen von Getreidezüchtern, Landwirten, Müllern und Bäckern. Und Jahrhunderte lang waren es Frauen, die alles, was zum Brot gehört, herrichteten.

BROT ist eine wunderbare Mischung aus NATUR und KULTUR. Alle vier Urelemente sind am Brot beteiligt:

- Sonnen - L i c h t, entscheidend für das Wachsen und Reifen des Getreides;

- W a s s e r als Nährstoff im Boden, als Grundstoff für den Teig;

- L u f t über dem Feld und im Gärungsprozess des Teiges;

- F e u e r beim Backen.

"Dadurch, dass die menschliche Arbeit noch ganz entscheidend den Naturvorgang weiter führt, entsteht ein Nahrungsmittel besonderer Qualität". (Michaela Glöckler, Kindersprechstunde, S. 358).

BROT ist Nahrung, die Mühe kostet, von der Saat bis zur Ernte, vom Schneiden und Dreschen übers Mahlen bis zum Backen.

Paradiesisch war das Leben, als Menschen - wie die Tiere - von der Hand in den Mund davon leben konnten, was in Fülle im üppigen Garten der Natur vorhanden ist: Früchte reichlich Obst zu jeder Zeit, und niemals Mangel. Dann, als der Mensch aus dem GARTEN EDEN verwiesen wurde, "dass er die Erde bebaute" (1 Mos. 3,23),wie es am Anfang der Bibel heißt, war der Acker verflucht - "Mit Mühsal sollst Du Dich von ihm nähren Dein Leben lang, Dornen und Disteln soll er Dir tragen, und Du sollst das KRAUT auf dem Felde essen. IM SCHWESSE DEINES ANGESICHTS SOLLST DU DEIN BROT ESSEN, bis Du wieder zu Erde werdest, davon Du genommen bist." (1 Mos. 3,17-19).

Das wird in einem christlichen Mythos so ausgesponnen:

"Adam und Eva gingen umher und suchten neun Tage lang und fanden nichts, wie sie es im Paradies gehabt hatten, und sie fanden nur das, was die Tiere aßen. Und es sagte Adam zu Eva: Dies hat Gott den zahmen und wilden Tieren zugeteilt, wir aber hatten Speise der Engel... Und wiederum standen Adam und Eva draußen vor der Höhle, um Gott zu bitten, dass er ihnen Speise zeigen möge, um ihren Leib damit zu kräftigen. Und das Wort des Herrn kam und sagte zu Adam: Geh hinab in die Gegend westlich von der Höhle, bis zu einem schlammigen, schwarzen Boden; dort werdet ihr Speise finden. - Und Adam hörte das Wort des Herrn, nahm die Eva und ging hinab zu dem schwarzen Boden und fand dort Weizen, der in den Ähren stand, und die Ähren waren reif zum Essen. Und Adam freute sich darüber. Und wiederum kam das Wort Gottes und sagte zu ihm: Nimm von diesem Weizen und mache dir davon Brot, um damit deinen Körper zu kräftigen. Und Gott gab dem Adam Weisheit in sein Herz, dass er die Geschäfte mit dem Weizen besorgen konnte, bis er zu Brot wurde. Und Adam vollbrachte das alles und arbeitete und ward sehr müde. Und er kehrte um nach der Höhle voll Freude darüber, dass er gelehrt worden war, wie man den Weizen bearbeitet."

Die G a b e Gottes und die M ü h e des Menschen kommen zusammen.

BROT ist die erste Kulturleistung!

Die Vertreibung aus dem Paradies hat den Menschen erfinderisch gemacht! Weisheit und Kulturtechnik tausender Generationen sind im BROT enthalten, das vor uns liegt - und ARBEIT, früher hauptsächlich Handarbeit von Menschen, heute zum großen Teil Maschinenarbeit.

Damit wird deutlich: Die Bitte um das tägliche Brot beinhaltet die Bitte um Arbeit! Dass wir mit unserer Arbeit unseren Lebensunterhalt fristen können. Genauer noch: Dass wir mit unserer Arbeit anknüpfen an das, was uns von Gott gegeben ist. Es ist also auch die Bitte darum, noch etwas beitragen zu können, jeden Tag noch eine Kulturleistung vollbringen zu können.

Es gehört zur Würde des Menschen, täglich etwas zu machen aus dem, was ihm von Gott gegeben ist.

Genau das ist für viele Menschen, wenn sie alt und gebrechlich werden, eine der großen Einschränkungen, zu spüren: Ich kann nicht mehr viel tun, nicht mehr viel beitragen zum Lebensunterhalt; ich kann nur noch empfangen, bitten, dass andere für mich eintreten, mir helfen.

Wenn ich nichts mehr zu meinem Lebensunterhalt beitragen kann, nur noch aus dem Empfangen lebe - so kann ich doch etwas ganz Entscheidendes dazu tun, eine der größten Kulturleistungen der Menschheit: DANKEN, DANKBAR EMPFANGEN!

Die Würde des Empfangens liegt im Dank. - Danken und Denken gehören zusammen. Wer dankt, denkt daran, wie viel Gottesgabe und menschliche Arbeit in j e d e m Brot, in j e d e r Speise zusammen kommen.

Für mich eine überraschende und wichtige Erkenntnis aus der Vorbereitung dieser Predigt ist:

Das DANKEN zu Beginn der Mahlzeit kannten die alten Griechen und Römer nicht. Sie haben am Ende der Mahlzeit dem Agathon Daimonion, dem guten Geist, ein Trankopfer gegeben. Aber das BROTBRECHEN zu Beginn der Mahlzeit, verbunden mit dem DANK an Gott, den Schöpfer, und der Bitte, dass Gottes S E G E N durch das geteilte Brot auf alle am Mahle Beteiligten komme, sie stärke und ihnen Kraft gebe, selber segensreich zu wirken, dieses sich beim gemeinsamen Mahl Bewusstmachen wie unser Leben jede Stunde, jeden Atemzug - und ganz besonders bei jeder Nahrungsaufnahme in Gemeinschaft - uns mit Gott verbindet, das ist jüdisches Erbe, das durch die christliche Praxis in unsere Kultur eingepflanzt wurde.

Übrigens galt damals das Zerteilen eines Brotes durch ein Messer als "töten". Zu Beginn der Mahlzeit hat der Hausvater in Stellvertretung des göttlichen Gebers das kreuzweise eingekerbte BROT feierlich gebrochen, indem er es entlang der Kerben auseinander teilte und hat jedem seinen "Bissen" zugeteilt. Doch vorher noch, vor dem Zerteilen, wurde das DANKGEBET und der BROTSEGEN gesprochen und alle am Mahl Beteiligten antworteten mit einem AMEN.

So wurde aus jeder Mahlzeit ein Gottesdienst, ein den SEGEN Gottes Aufnehmen durch das Brot, die physische Nahrung, aber auch gleichzeitig durch die Erfahrung des miteinander Teilens.

Ein Mahl allein einzunehmen, das gab es nicht. Ein Mensch, der allein unterwegs war und seine Wegzehrung zu sich nahm, hat auch dies immer verbunden mit dem Dank - und wenigstens die Krümel geteilt mit den Vögeln.

"Gesegnet seist Du, Herr, unser Gott, König der Welt, der Du hervor bringst BROT aus der Erde."

In diesem Bewusstsein leben: In allem, was ich bin und tue, bin ich getragen vom SEGEN Gottes. Nichts auf dieser Welt könnte ich zustande bringen, ohne die schöpferische Kraft Gottes, die ohne Unterlass wirkt im ganzen Zusammenhang der Natur, im Werden und Wachsen - auch im Vergehen, aus dem dann wieder Humus für Neues entsteht. Gottes schöpferische Kraft wirkt auch durch uns Menschen, unsere menschliche Weisheit und Erfindungsgabe ist von Gott. Ein Mensch, der sich das tag täglich bewusst macht - wenigstens beim Aufnehmen der Nahrung - kann gar nicht mehr egoistisch sein! Denn dafür, dass ich so lebe, wie ich leben kann, haben Generationen vor mir die Grundlage gelegt. - Was wäre ich allein mit meinem Wissen und Können? Aufgeschmissen!

Und die Kulturleistung aller menschlichen Generationen insgesamt, - was wäre die ohne das Wunder des WACHSENS: dass aus einem Korn in der Erde durch die Wärme der Sonne ein Keim geweckt wird und sprießt, diese Kraft der aufbauenden Verwandlung, dass aus toter Chemie Leben wird, das gedeiht, - diese göttliche Kraft ist die Grundlage allen Lebens!

Dieser göttlichen Kraft können wir uns getrost anvertrauen. Auch wenn unser Leib einmal zerfällt und wieder zu Erde wird, zu toter Chemie, - Gott hat das Leben eines jeden von uns in seinem Herzen gespeichert. Dort, im Herzen Gottes, werden wir erkennbar dieselben sein - aber verklärt in das Bild, das Gott in uns hinein geprägt hat im Urbeginn. Wir werden sein wie die Träumenden (Psalm 126). Von Gottes Liebe verwandelt wird alles Unheilvolle von uns abfallen. Wir werden leben, leben von der Liebe.

Christus spricht: >ICH BIN DAS BROT DES LEBENS. Wer zu mir kommt, den wird nicht hungern; und wer an mich glaubt, den wird nimmermehr dürsten!< (Joh. 6,35)

Deine tiefe Sehnsucht nach Leben in Fülle, - schließ Dich mit anderen zusammen innerlich an Jesus an, und Du wirst sehen: ER gibt Dir jeden Tag aufs Neue, wonach Dein Herz sich sehnt, - nicht auf Vorrat, aber genug für jeden Tag. Die Kraft der göttlichen Liebe strömt in dein Herz. Du wirst zu einem Menschen, der das BROT teilt mit vielen; in festlicher Gemeinschaft leuchtet je und dann die Zukunft im Reich Gottes auf.

Schaffe mit Deinem Glauben i n D i r einen Raum der Begegnung mit Gott und allen Menschen, die Dir am Herzen liegen. Dort hinein kannst Du Dich jederzeit zurückziehen - und bist niemals allein.

So beginnt in Dir schon ganz im Verborgenen das Reich des Geistes und der Güte, - Du lebst in inniger Verbindung mit Gott und den vielen, die schon in Gott sind.

Auf diese Zukunft ist Dein Leben ausgerichtet: Du mit Deinem Leben bist ein Teil des Lebens Gottes, jetzt noch im Wachsen und Werden, dann in Fülle. Nimm Gott auf in Dein Leben, in Deinen Alltag als Brot, in Deine Feiertage als Wein. AMEN.

Dorothee Sölle:

„Es ist eine lllusion anzunehmen, Menschen gingen in die Kirche, um dort Gott zu finden. Solche Begegnungen und Treffen finden statt, um Gott zu teilen.

Jeder bringt etwas mit von Gott, um es in der Gemeinsamkeit miteinander zu teilen:

Du bringst Deinen Hunger nach Gott mit, Dein Stückchen Freude im Leben hast Du in der Tasche, was Du bereits weißt von Gott, der schon mal „mit Strömen der Liebe“ auf Dich geregnet hat – das alles bringst Du mit. Vielleicht ganz klein, zerknittert, verschrumpelt – Du bringst es mit. Ohne Dich ist Gott kleiner!

Und mit Dir feiern wir den geteilten Gott... Den Himmel erden – in uns und mit uns und nicht ohne Dich, die da neben mir sitzt, und Dich, der nicht ganz genau weiß, was das soll.“


 




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