Predigt 25. Dezember 1993
Keitumer Predigten Traugott Giesen 25. Dezember 1993
Am Anfang war das Wort
Am Anfang war das Wort, und das Wort war bei Gott, und Gott war das Wort,
dasselbe war im Anfang bei Gott. Alle Dinge sind durch dasselbe gemacht,
und ohne dasselbe ist nichts gemacht, was gemacht ist. In ihm war das Leben,
und das Leben war das Licht der Menschen, und das Licht scheint in der
Finsternis, und die Finsternis hats nicht begriffen. Er kam in sein
Eigentum, und die Seinen nahmen ihn nicht auf. Wie viel ihn aber aufnahmen,
denen gab er Macht, Gottes Kinder zu sein, denen die an seinen Namen glaubten,
die nicht aus dem Blut noch aus dem willen des Fleisches noch aus dem Willen
des Mannes, sondern von Gott geboren sind. Und das Wort ward Fleisch und
wohnte unter uns, und wir sahen seine Herrlichkeit als des eingeborenen Sohnes
vom Vater voller Gnade und Wahrheit. Und von seiner Fülle haben wir
alle genommen Gnade um Gnade. Das Gesetz ist durch Mose gegeben, die Gnade
und die Wahrheit ist durch Christus geworden. Niemand hat Gott je gesehen.
Der Eingeborene, der einzig Geborene, der Erstgeborene, der Gottes ist und
in des Vaters Schoß ist, der hat ihn uns verkündet.
Aus dem Johannes-Evangelium, 1. Kapitel
Es ist richtig und nötig, dass es einige gibt, die brüten, die
ausbrüten, die in Worte fassen sollen und wollen, was Gottes Wille sein
könnte. Ein Text ist zu bedenken, der wohl ziemlich nah am Geheimnis
Gottes ist, dieses Wort des Johannes-Evangelisten: Im Anfang war das Wort,
und das Wort war bei Gott, und Gott war das Wort.
Goethes Faust konnte das Wort unmöglich so hochschätzen, er setzt
dagelegen: Am Anfang war die Tat. Aber aller Tat liegt Wort zugrunde.
All unserem Denken liegt das Wort zugrunde, das am Anfang war, also im Ursprung,
nicht am Start - den Start verlässt man und geht dann aufs Ziel los
-, der Ursprung bleibt bei einem. In der Bibel heißt es im Griechischen
en arché, da schimmert noch das Wort Arche durch,
das Schutzgebende. Das Substantielle Gottes ist das Wort.
Das Wort war bei Gott. Also Gott ist mehr als Wort. Gott ist die Substanz
des Wortes. Aber Wort - wissen wir, was Wort ist? Wort ist Wille, verstanden
zu werden. Wort ist Hinübersetzen ins andere. Und zwar nicht mit Gewalt,
nicht mit Instrumenten materieller Art, sondern Wort ist Überzeugen-Wollen.
Wenn das wahr wäre, dass im Anfang, von Anfang an, im Ursprung, im Prinzip,
als vom Grundsatz her bei Gott dieses Hinübergehenwollen zum anderen
ist, und zwar freilassend, das wäre Glück. Die Hand will greifen
und zwingen, das Wort will hinüberziehen, überzeugen,
hinübergewinnen ins Gemeinsame, das Eigene mitbringend, anbietend: der
andere kann auch Nein sagen. Das ist die Substanz Gottes, dass er nicht allein
sein will, sondern im anderen sich wiederfinden will. Wenn das, was bei Gott
im Anfang war, im Grunde das Wesen Gottes ist, dann ist Gott im Wesen Liebe,
nämlich Bei-dir-sein-Wollen. Sein Wort ist Dich-meinen.
Wir wissen ja, wie wir Menschen wurden - biologisch, das ist eine andere
Sache - aber wie wir wahrlich Mensch wurden, dadurch, dass wir angesprochen
wurden von Eltern, die uns sagten Du, und dann sagten sie unseren
Namen - tausendmal haben sie uns bei unserem Namen gerufen, bis wir merkten,.
Wer wir sind, und dann konnten wir endlich irgendwann sagen: du, Mama - ich,
ich. Durch Sprache, durch das Wortförmige wurden wir zum Ich. Wenn das
bei Gott im Wesentlichen ist: Gott war im Ursprung das Wort, dann ist, weil
das Ursprüngliche bleibt, Gott Verstehen und Verstehen-Wollen.
Alle Dinge sind durch dasselbe gemacht, nämlich durch diesen Willen
Gottes zur Kommunikation. Weil Gott nicht allein sein will, schafft er sich
ein Gegenüber. Und er schafft sich dieses Gegenüber so, dass dieses
Gegenüber nicht automatisch Gott gehorcht, wie die Bäume, die Tiere,
die wunderbare Schöpfung. Sondern er schafft sich ein Gegenüber,
das hören kann und trotzdem Ja oder Nein sagen kann. Das ist das Lebendige
am Leben, dieses Verbindenwollen, dieses Verknüpfenwollen, dieses im
anderen wieder Sich-Spiegeln-Wollen. Das Lebendige am Leben ist
Zueinanderfinden-Wollen unter Menschen in Freiheit. Die Biologie ist die
Lehre vom Zusammenfinden-Wollen auf eine organische, fast technische Weise.
Die Zellen sind Produkte des Zusammen-Kommen-Wollens, und darum verschmelzen
sie. Der Mensch ist ein Stück Spiegelbild, er ist nur eine Scherbe,
aber im Ursprung eine kleine Wiederholung Gottes selber. Gott schuf den Menschen
sich zum Bilde, zum Bilde Gottes schuf er ihn, genau in diesem einen Punkt
ihm ähnlich, dass er nämlich auch hinüber will zum anderen,
mit dem anderen ein Ganzes bilden will in freier Übereinkunft.
Das ist in Ihm war das Leben, und das Leben war das Licht der
Menschen. Das ist das Licht der Menschen, das ist Licht unserer
Würde, dass wir zu diesem Verstehen in Freiheit gerufen und gelockt
werden. Aber die Finsternis hats nicht begriffen. Sie lebt zwar davon,
aber sie weiß es oft nicht, und darum sind wir ja oft so herrisch und
anmaßend und so zertrümmert von Worten, die uns treffen. Und darum
ist es, glaube ich, so wichtig, dass dieses Wortförmig-Sein
des Lebendigen, dieses Auf-Verstehen-aus-Sein in die Welt kommt.
Die Welt ist dadurch gemacht, aber es muss immer wiederkommen, konzentriert
muss Gott selber in sein Eigentum kommen.
Und dann merken wir, dass wir nicht aus dem Blut und aus dem Willen des
Fleisches, noch aus dem Willen eines Mannes, sondern von Gott geboren sind.
Nicht Biologie ist unser Ursprung, das ist ja nur die Technik, wie Gott uns
zur Welt bringt. Nicht durch den Willen eines Mannes und einer Frau, sondern
wir sind erschaffen, weil Gott in uns nach sich selbst lauscht. Wir sind
Resonanzboden Gottes; dafür sind wir gedacht. Wenn wir es begreifen
würden. Aber auch wenn wir es nicht begreifen, hört Gott sich in
uns wieder.
Und das Wort ward Fleisch. Darum ist es so unendlich wunderbar, dass wir
Christen es jedenfalls glauben dürfen: Gott hat sich nicht manifestiert
nur im Meer oder im Wald oder in den Wolken. Die große Schöpfung
ist Gottes Kleid. Aber er selbst wird Mensch, wird ein Säugling. Und
darum, weil er es einmal wurde, dürfen wirr es glauben, dass er im Grunde,
im Ursprung immer wieder Mensch wird, in uns Menschen sich Echo geben will,
sich finden will.
Er wohnte unter uns, und wir sahen seine Herrlichkeit. Wir sahen natürlich
Jesu Herrlichkeit nicht unmittelbar; wir waren nicht unmittelbare Zeugen,
wie er auferweckte und wie er nährte und wie er heilte und wie er den
Richtern, die alle da mit Steinen bewaffnet standen und die Frau umbringen
wollten, wie er diese Männer, die als Richter kamen, bekehrte, dass
sie selbst das Richten lassen und die Steine niederlegen. Diese Herrlichkeit
haben wir nicht unmittelbar gesehen, aber sie ist ein solches Liebespotential,
es ist eine solche Glut mit diesem Jesus in die Welt gekommen, dass wir nach
2000 Jahren immer noch uns an dieser Glut wärmen.
Denn das Gesetz ist durch Mose gegeben. Gesetze erfinden die Menschen,
Zwangsmaßnahmen: wenn - dann, wenn nicht so, dann so. Auch Jesus ist
unter dieses Gesetz des Notwendigen getan worden, aber nicht dieses Gesetzliche,
nicht dieses Notwendige ist die Erlösung; es ist der Boden, auf dem
wir leben. Die Erlösung ist: Gnade um Gnade haben wir genommen. Die
Erlösung ist, dass Gott uns durch das Notwendige - und das kann
strapaziös sein, und das kann deprimierend sein - hindurchträgt,
und die Liebe ewig bleibt zwischen dir und ihm. Denn mit wem Gott einmal
geredet hat, wen Gott einmal ins Leben hat schlüpfen lassen, vor sich
selbst hingestellt hat, der ist gewiss unsterblich, weil sein Wille zur
Kommunikation unsterblich ist.
Gott ist unser ewiges Gegenüber. Und wenn wir weitersagen ein Stück
von diesem Gegenübersein zu Gott, das uns umfängt - heilen wir
einander ein Stück weit. So viel Böses passiert doch nur aus Notwehr,
passiert doch nur, weil wir es nicht begreifen, dass die Finsternis erhellt
ist. Nehmen wir einander den Belag von der Seele, lernen wir, einander wieder
zu sehen als Entwürfe der Liebe. Gott ist im Prinzip Wort. Und die Substanz
von Wort ist Liebe, Verbundenseinwollen mit dem anderen in Freiheit.