Predigt 2. März 1997
Keitumer Predigten Traugott Giesen 02.03.1997
Das 9. Gebot
"Du sollst nicht begehren deines Nächsten Eigentum (2.Mose 20,17) Stehle
nicht (2.Mose 20,15) Christus spricht: Kommt, ihr Gesegneten. Ich bin hungrig
gewesen und ihr habt mir zu essen gegeben. Ich bin durstig gewesen und ihr
habt mir zu trinken gegeben. Ich bin ein Fremder gewesen und ihr habt mich
aufgenommen. Ich bin nackt gewesen und ihr habt mich gekleidet. Ich bin krank
gewesen und ihr habt mich besucht. Ich bin im Gefängnis gewesen und
ihr habt mich besucht" (Matthäus 25, 34-36)
"Stehle nicht" ist in der Bibel zunächst gegen Menschenraub gesagt.
Erst im neunten Gebot ist das Eigentum insgesamt unter Schutz gestellt. Doch
Sachen sind nah beim Menschen; Gewalt gegen Sachen greift bald auch an die
Menschen, die sie schützen - das Problem aller gewaltfreier Demonstrationen.
Auch war das stärkste Motiv der Judenpogrome aller Zeiten die Habgier;
die Aussicht, bei Ermordung der Menschen jüdischen Glaubens sich bereichern
zu können. Du sollst nicht stehlen, du sollst nicht töten, diese
Weisungen ergänzen einander. Wie du ja auch dem anderen zu mehr Leben
verhilfst, indem du ihm zu seinem Auskommen und Einkommen verhilfst. Israel
glaubte, nur Gott kann sagen: "Mein ist das Land". Uns Menschen ist es nur
geliehen - zu gutem Nutzen; darum Erntedankfeste: Dem Geber der Gaben sei
Dank - ihm werden die Erstlinge der Ernte gewidmet. Im System der Erbpacht
steckt noch das altisraelische Landrecht: Nach 49 Jahren fällt das Land
wieder zurück an den Tempel, dann wird das Land erneut ausgeliehen.
- Aber die Ausleihe an Bedürftige ohne Ansehen der Person verlor sich
- auch nahmen es Könige und andere Herren in Besitz und setzten diesen
Raub mit Waffen, mit Kriegen durch. Nomaden konnten mit Weiderechten - mal
hier, mal da - auskommen, aber der Bauer mußte wissen, daß er
auch nächstes Jahr Anspruch auf das Land hat; wie sollte er sonst mit
Lust seine Arbeitskraft in den Acker zu stecken. Ganz früh hat die
Menschheit Besitzdenken entwickelt: Das eigene Revier zu sichern, Nahrung
zu erbeuten und zu sammeln, Kindern die Versorgung sicherzustellen, Ehefrau,
auch Ehemann gegen allzu Begierige zu verteidigen.
All das ist von früh an Teil des Überlebenswillens, der uns zu
gedeihen hilft. Auch die Lust am Besitz, an Werkzeug, an Material zur eigenen
Verfügung war früh schon bei uns. Vielleicht fingen die Familienbande
damit an wichtig zu werden, daß die Männer ihre Lieblingswaffe
weitergeben wollten ihrem Lieblingssohn und darüber begannen sie zu
fragen, wer denn wahrer Sohn sei. Auch zahlte es sich früh aus, geschickt
das Eigentum zu mehren und Mutters Liebling zu sein. Genüßlich
erzählt die Bibel vom törichten Esau, der für sein Leben gern
jagte und sein Erstgeburtsrecht für ein dampfendes Linsengericht
verschenkte; - Jakob dagegen wurde der Stammvater vieler auch dadurch, daß
er bei seinem Schwiegervater die Herden so raffiniert vermehrte, daß
er zuletzt reicher war als eben Laban, dem er 14 Jahre diente. Das alte Israel
hatte nichts gegen Besitz, im Gegenteil, er galt als materieller Segen, der
allen Dank wert war, der allerdings auch zur Barmherzigkeit verpflichtete.
Jesus sagte von sich: "Die Füchse haben Gruben, aber des Menschen Sohn
hat nichts Eigenes, wo er sein Haupt hinlege" (Matthäus-Ev. 8,20). -
Dies sagte er aber nicht als Klage gegen die egoistische Welt. Jesus hatte
wohl genug Menschen, die sich drängten, ihn und seine Jünger
aufzunehmen; ich verstehe Jesus so, daß er es nicht für seine
und der Jünger Sache hielt, Besitz zu sammeln, sondern eben Menschen
fürs Reich Gottes. Es gibt Warnungen die Fülle gegen Geiz und Habsucht,
Lockrufe genug zu Güte und gerechtem Teilen. Aber das Heimrecht im Reich
Gottes muß nicht erst erworben werden durch Verzicht. Der Mensch wird
nicht Gott recht durch Werke sondern ist Gott recht aus Gottes Liebe. Das
glaube ich als Kern der Botschaft Christi. Gottvertrauen macht dann aber
auch anderes wichtiger als Besitz, stimmt zur Güte, zur Freude, macht
hier schon zu Teilhabern des Reiches Gottes. In Jesu Vertrauen die Dinge
sehen - heißt das arm sein müssen? Ist es nicht eher so, daß
im Gottvertrauen man arm sein darf, also freigesprochen ist von der
Weltanschauung, gute Menschen zeichnen sich durch Guthaben aus.
Das ist unser aller Instinkt, Meinung: Hast du was, dann bist du was. - Jesus
spricht frei zu einer unbesorgten, verantwortlichen, fürsorglichen aber
nicht zersorgenden Art, das Leben zu führen. Es fragte ein reicher junger
Mann den Jesus: "Was muß ich tun, daß ich das Himmelreich ererbe?"
Und Jesus sagte: "Du weißt es doch: Halte die Gebote, dann wirst du
leben."
Erst als der Überflieger - gelangweilt oder leidenschaftlich nach
höherer Forderung verlangend - sagte: "Das habe ich getan von Jugend
auf", da legt Jesus nach: "Wenn du vollkommen sein willst, verkaufe alles,
und gib es den Armen und folge mir nach."
Vollkommen - griechisch "teleios", nicht im Sinne von perfekt, sondern im
Sinne von ganz, ungespalten, unzerrissen - meint den großen Freispruch,
sich jetzt um nichts anderes mehr kümmern zu müssen als um die
Freundschaft und Nachfolge Jesu. Aber der Kerl brachte diese Entwichtigung
nicht über sich: "Denn er hatte viele Güter". Was heißt,
daß er weiter Macht wollte, Verfügung, auch die Begabung, viele
in Arbeit zu bringen, sicher auch die Genugtuung Schicksale und Geschicke
zu beeinflussen, sicher auch die Lust, bedankt zu sein für
großzügiges Schenken. Und ja auch die Lust, gut zu essen, wann
er wolle und einzuladen, wen er wolle und sich mit Schönem und Kostbaren
zu umgeben. Und, und... Es gibt im Christentum ein starkes Ressentiment gegen
Reichtum: "Eher geht ein Kamel durchs Nadelöhr als ein Reicher ins
Himmelreich" - soll Jesus gesagt haben. Darin steckt ja die ganz menschliche
Erfahrung, daß Geld eine Eigendynamik hat, die den Besitzer leicht
zum Besessenen verdirbt.
Dann verliert Geld seine dienende Qualität als flüssiges Zahlungsmittel
und wird Selbstzweck. - Es hat dann den Sinn, sich zu vermehren; - Besitzer
haben dann ein schlechtes Gewissen, das Geld - oder auch nur die Zinsen -
für sich, geschweige denn für wohltätige Zwecke auszugeben;
wir werden zu Geldknechten - können nicht mehr mit dem Geld Gott dienen,
sondern wir dienen dem Gott Mammon: Daß unser Geld sich vermehre, ist
unser Lebenssinn - was alle menschlichen Beziehungen schwierig macht. Was
z. B. die Kinder in erster Linie zu Erben macht, sie im Windschatten der
elterlichen Ansprüche hält. Was auch bei Eheschließung an
Rückversicherungen und Klauseln ratsam scheint aus Argwohn, wenn ein
Gefälle wegen Besitz da ist. Ja wir begehren. Und sind Nachkommen von
Überlebenden, die begehrten. Die gerade darum auch sich fortpflanzten,
weil sie begehrten. Begehren, Hunger kriegen beim Sehen der Kirschen, Nähe
sich wünschen zu einem sympathischen Menschen, mit Lust ein Bild, ein
Kleid, ein flottes Auto sehen. - Etwas schön finden, begehrenswert finden
- das ist uns als Veranlagung mitgegeben. Das Wünschen hat zwei Seiten.
Erst mal macht es uns Beine, uns kräftig zu mühen: Hunger ist der
beste Koch.
Andererseits: Was verlockend anzusehen ist, das kann unser Wünschen
zur Begierde steigern. Die aber ist immer gefährlich, denn Begierde
lockt, in fremdes Eigentum einzudringen und wegzunehmen. Alles Leben
verdrängt auch Leben: Geschwister einander aus der Nähe der Mutter;
Bewerber um Kunden plazieren ihre Ware günstig, auch wenn das die Konkurrenz
verdeckt; jede Blüte will verheißungsvoller scheinen den Bienen,
schöne Augen machen ist doch so was ähnliches; bei der Arbeitsuche
seine Jugend vorteilhaft vorführen, macht den Mitbewerber um die Stelle
schon zu Alteisen.
Vor allem Geld kauft doch dem andern das Gewünschte weg. Sollen wir
auch mit Geld dem Nächsten sein Eigentum nicht wegkaufen, wenn er es
nicht selbst zu Markte trägt? Gerade der Markt ist ein vielgerühmtes
Mittel, einigermaßen Gerechtigkeit zu besorgen. Angebot und Nachfrage
brauchen einander. - Was ängstigen sich die Bauern, daß wir ihr
Rindfleisch nicht mehr begehren? Und über allem die Werbung. Wir sind
ja damit einverstanden, angefeuert zu werden, ein neues Automodell oder die
neue Kaffemischung zu kaufen. Wir sollen begehren - das sagt sogar der
Wirtschaftsminister: Spart nicht sondern kauft und macht, daß Arbeit
geleistet werden kann, daß Arbeit anständig bezahlt wird - denn
"der Bauer, der die Arbeit tut, hat das erste Anrecht auf die
Früchte"(2.Timotheus 2,6); "ein Arbeiter ist seines Lohnes wert"
(1.Timotheus 5,18). Und das ist wohl der Punkt: Dem andern sein Eigentum
nicht wegnehmen und ihn nicht um die Früchte seiner Arbeit bringen -
sondern ihm das Seine zu behalten förderlich und dienlich sein - ist,
so Martin Luther, uns aufgegeben. Wir wissen: Hungrig lassen ist Stehlen,
obdachlos lassen ist Stehlen. Solange es Arme gibt sind wir Reichen auch
Diebe.Amen