Keitumer Predigten Traugott Giesen
07.03.1999
Dienet einander, jeder mit der Gabe, die er empfangen hat (1. Petrus
4, 10).
Markus 10, 35 - 45
Einmal zogen die Jünger Jakobus und Johannes den Jesus zur Seite.
Wir hätten gern, sagten die Brüder, daß du uns was versprichst:
Laß uns einst, im Himmel, neben dir sitzen. Wenn du dann herrschst,
laß uns zu deiner Rechten und deiner Linken sein. Jesus sagte: Ihr
wißt nicht, was ihr von mir verlangt. Auch bestimm ich das nicht.
Und überhaupt, seht doch erst mal zu, daß ihr besteht, was jetzt
und hier auf euch zukommt.
Auch die andern Jünger, als sie von den Sonderwünschen ihrer
Kollegen hörten, wurden sie ärgerlich. Da rief Jesus sie zu sich
und sagte zu ihnen: Ihr wißt: Die als Herrscher Ansehen haben halten
ihre Völker nieder. Ihre Mächtigen tun ihnen Gewalt an. Aber
so ist es unter euch nicht. Bei euch soll es anders sein. Wer unter euch
groß sein will, der soll Diener sein, wer unter euch der Erste sein
will, soll euer Knecht sein.
Und später wurde das ein Lernwort der Christen: Auch der Menschensohn
ist nicht gekommen, um sich dienen zu lassen, sondern um zu dienen und
sein Leben zu geben als Lösegeld für viele.
Erstaunlich, daß uns diese Story aus dem Jüngerkreis erhalten
blieb. Eigentlich hat ja die Kirche Heiligenlegenden gesponnen um ihre
Gründerväter und -mütter. Doch muß dieser Coup der
Zebedäus-Brüder so typisch gewesen sein, daß er einfach
notiert sein mußte, den nächsten Generationen zur Lehre.
Auf meine Seite ziehen den Wichtigen, den Kräftigen, das ist ja
eine Überlebensstrategie � sich Liebkind machen bei den Eltern, sich
einschmeicheln bei Vater, Mutter, Oma, den Lehrern � konnten Sie, kannst
du es gut? Oder leidest du mehr, siehst dich benachteiligt, siehst dich
beladen von Arbeit. Es sind viele Benachteiligte und Zurückgesetzte
und Nichtbemerkte und Alleingelassene in der Welt. Sie gleichwertig zu
machen, sie aufzurichten, dazu ist Jesus gekommen � und mitten im Jüngerkreis
dies:
Jakobus und Johannes wollen besonders gewitzt sein. Sie wollen vorsorgen
bis in den Himmel. Jetzt Jesu Freund sein, schön und gut � zwei von
Zwölfen, nichts Besonderes also � das muß doch nicht sein, sagen
sie sich; versprich uns, Jesus, wohin du auch gehst, du nimmst uns mit,
du feierst und regierst mit uns. Und sie könnten noch gesagt haben:
Ach, Jesus, versteh uns richtig, das ist nicht gegen die andern � oder
haben sie dich auch schon gefragt? Jesus, Lieber, laß uns deine Allerliebsten
sein, bitte. � So können wir uns die Zercherei der beiden vorstellen,
weil wir auch so schon gejankt und geschmust und gedrängt haben. �
Und wir verstehen auch, daß die andern Jünger verstimmt
waren. Was los ist, wenn ein Geschwister vor den andern das Erbe klarziehen
will � wir haben das Getöse der Jünger gut im Ohr.
Auch Jesus nimmt das Gieren der Brüder nicht als Kinderkram sondern
wird grundsätzlich. Er sagt: Ihr wollt Macht haben � genau wie die
Herren der Erde. Die als Herrscher Ansehen haben, halten ihre Völker
nieder. Ihre Mächtigen tun ihnen Gewalt an. � Also, es ist kaum menschenmöglich,
Macht zu haben und andern nicht Gewalt anzutun. Welche werfen sich auf,
besser zu sein, zu mehr Übersicht bestimmt zu sein; sie berufen sich
auf einen Gottesauftrag oder auf die Vorsehung oder auf das Vorrecht des
Ältesten oder die Erbschaft oder eben auf ihre Waffen � in der Klasse
tun�s manchmal Fäuste oder die besonderen Klamotten: Und sie meinen,
sie hätten Vorrechte, und sie sagen, wo es lang geht und brauchen
nicht mehr zu verhandeln, brauchen sich nicht um Zustimmung zu mühen,
die andern haben zu gehorchen.
Auch die beiden Schlauberger dachen sich, wenn Jesus erst mal richtig
Herr ist, dann wird es viel zu regieren geben. � Und das hätten sie
besonders gern gehabt: Die ungeteilte Aufmerksamkeit des von allen geliebten
Herrn. Gern hätten sie die ganze Sehkraft Gottes auf sich gerichtet
gesehen � und die andern bekommen von ihren Gunsten Güte runtergereicht.
Aber dem entzieht Jesus den Boden: Bei euch soll es anders sein. Wer
unter euch groß sein will, der soll Diener sein, wer unter euch der
Erste sein will, soll euer Knecht sein. Das ist ein Paukenschlag � das
so begehrte Herrschen hat ja Glanz, Beifall, Ruhm gesammelt. Bei Jesu Freunden
soll�s anders sein: Glanz, Beifall, Ruhm für den, der die Drecksarbeit
macht. Nicht die das Licht auf sich ziehen seien die Ersten, sondern die
andere ins Licht setzen; nicht die viel wissen, sondern die vielen zu Wissen
verhelfen.
Dahinter steht natürlich Jesu neue Weltsicht, eine Philosophie
vom Ganzen: Meine, deine Leistungskraft ist nur eine Portion des großen
Vermögens. Dein, mein Versorgen-Können ein kleiner Strudel der
großen Versorge-Energie, die das Ganze satt macht. Das große
Sorgen Gottes stülpt sich in mein, dein Sorgen � und das trägt
dich über dich hinaus. Meine, deine Eigenmacht, auch die Fürsorge
� gerade junge Eltern, hört das � eine Faser Gottesmacht. Konto, Wissen,
Vermögen, alle Macht ist verliehen � ist nur ein Volt von der Allmacht.
� Ich soll sie nutzen vielen zugut.
Jesus deckt uns eine Grund-Verbundenheit auf, � eine gemeinsame Ahnung,
wie gemeinsames Grundwasser � daß wir einander gegeben sind, um uns
zu ergänzen. Und eben in der großen Not von Galtür � wie
die Menschen da mit bloßen Händen gruben, wie sie retten wollten,
wie sie sich mühten bis zur eigenen völligen Erschöpfung,
da zeigte sich dies Grundwissen wieder.
So war Jesus auch. Er sah sich als Ergänzer, er stärkte die
Menschen; zerschlagenes Vertrauen blühte an ihm wieder auf; Jesus
zog ins Gespräch und die Menschen fanden ihre Sprache wieder; Jesus
wurde Verlassenen ein Stück Weggefährte. Krankheit, Leid � deutete
Jesus als Erfahrung auf dem Weg zur Heilung. Jesus diente � im Sinne von
ergänzen.
Ergänzen � läßt einen Zusammenhalt anklingen, den vom
Ganzen, zu dem wir zusammengehören. Dienen ist dem andern das Notwendige
ergänzen; daß ich ihm abgebe Aufmerksamkeit, Essen, Dach überm
Kopf, Orientierung � ihm gebe, was ihm fehlt, ich aber auch erbitte, was
mir fehlt. �
Das Wort �ergänzen� hält aufrecht, daß der Ergänzungsbedürftige
mit zum Ganzen gehört. Die Ergänzung steht ihm zu. Denn auch
ich habe nur, weil es mir gewährt ist, gestundet, geliehen; es ist
mir als ein Partikel vom Ganzen anvertraut, ich darf es nutzen. Und es
ist eine Ehre, auch des andern Mangel zu ergänzen � welch ein Glück,
so wichtig zu sein, daß mein Haben und dein Brauchen zusammengehören.
Wer hat, der braucht doch auch die Nachfrage. Was nutzt denn kochenkönnen,
wenn keiner satt werden will; was nützt Heilkunst, wenn keiner Gebrechen
hat; was nützt Freude, wenn keiner mitmacht?
Jesus wendet uns Menschen zueinander, wie wir eigentlich gemeint sind:
Brüder, Schwestern seid ihr, und wer der Größte sein will,
ergänze am meisten. Auch der Menschensohn � der einzige Titel, den
Jesus von sich selbst gebraucht hat � Menschensohn, das Menschenkind, ich
Menschenkind gebe mein Leben für viele.
Mütter lassen Leben für Kinder; Polizisten, Feuerwehrleute
setzen ihr Leben ein � Ärzte, Ärztinnen, Schwestern, die unerschrocken
Hochinfektiösen beistehen. Unauffällig geben wir einander Leben,
füttern wir einander mit Leben, wenn wir uns einander widmen, einander
heilfroh machen. � Und ganz dramatisch ist dies Lebengeben ja, wenn Jesus
mit den Verdammten in den Tod geht. � Ähnlich wie Janosch Korczak,
der polnische Kindertherapeut, der in Warschau während der Naziherrschaft
ein Waisenhaus für jüdische Kinder leitete � und mit seinen anvertrauten
Kindern erzählend, tröstend ins Gas ging von Treblinka. � Jesus
gab sein Leben, um zum blühen zu bringen die Gewißheit, daß
der Tod uns nicht abreißt und vernichtet, sondern uns endgültig
mit Gott ergänzt.
Ergänzen ist das Leben. Nur für sich allein was auf die Seite
bringen, geht eigentlich nicht � es fault, es wird geklaut, es schafft
Neider. Der Mund des Gastes macht den Wein gut, sagt Martin Walser. Die
Lust am Teilen stammt aus der Ursprungserfahrung, ja, mein Existieren kommt
auch davon, daß Menschen nicht alleinbleiben wollten, und Mutter
sich mir teilte. � Und die vielen andern Ganzheitserfahrungen � wo ich
ergänzt wurde und werde: Die mir zu essen gaben, mir vorsagten, die
mit mir gemeinsam Unsinn machten, die mit mir ein Geheimnis teilen, die
mit mir ein Projekt schaffen, die mit mir die Hülle der Freundschaft,
der gemeinsamen Sprache, der Freude, der Liebe teilen. �
Erst wenn ich einen ergänzen kann, merk ich doch meinen Überfluß.
Mein Reichsein erfahr ich doch am Gebenkönnen, � mein Künstlersein
an der Erschütterung, die andere mir abnehmen. Meinen Lebensmut fühle
ich doch erst, wenn ich einen damit aufrichte, andern eine Wohnung baue
oder einrichte, darin sich gut leben läßt, andern ein Gebiß
baue, womit sie wieder beißen, sprechen, küssen können.
� Arbeit anbieten, Schutz besorgen, andere an Wissen anschließen,
Betten beziehen, sich um knusprige Brötchen mühen, die Angst
vor Morgen nehmen � das baut einen doch selbst auf, das macht einen innerlich
groß; � auch sich mal bedienen lassen, sich mal verwöhnen, mal
beschenken lassen � gib andern auch die Möglichkeit, dich zu ergänzen,
auch dir zu dienen mal; � ach die Natur, die gute Lehrmeisterin, zeigt
ein gutes Zusammen von Geben und Nehmen: die Biene, die die Blüte
befruchtet, entführt ihr auch den Honig; also Nehmen und Geben, ohne
Berechnung, ohne daß die Linke weiß, was die Rechte tut. �
Laßt uns einander gut sein, lassen wir uns einander gefallen
� die Rangkämpfe unter Geschwistern sind doch letztlich lächerlich.
Nur zusammen sind wir wer � vielleicht sogar der Leib Gottes. Amen
Schlußgebet