Keitumer Predigten Traugott Giesen
05.09.1999
J. P. Hebel: Der Kanzelredner will Zuhörer, die kommen, um sich
geistlich zu häuten, wie der Frosch körperlich.
Markus 1, 38: Und Jesus sprach zu seinen Jüngern: Laßt uns
weiterziehen in die nächsten Orte, daß ich auch dort predige;
denn dazu bin ich gekommen.
Und er predigte in ihren Synagogen in ganz Galiläa und trieb die
bösen Geister aus.
Und es kam zu ihm ein Aussätziger, der flehte und sprach: Willst
du, so kannst du mich reinigen. Und Jesus ergrimmte (geschönt zu:
es jammerte ihn) und er streckte die Hand aus, rührte ihn an und sprach
zu ihm: Ich will's tun; sei rein!
Und sogleich wich der Aussatz von ihm, und er wurde rein.
Er aber ging los und fing an, viel davon zu reden und die Geschichte
bekanntzumachen, so daß sie kamen zu ihm von allen Enden.
Ich möchte nicht in seiner Haut stecken, sagt man so. Willst du
denn in deiner Haut stecken? Es bleibt nichts anderes übrig. Haut
ist Schicksal und Geschichte ineins. Dies größte menschliche
Or-gan, es hüllt uns ein und zeigt uns, begrenzt uns und öffnet
uns für andere, ist das Kontaktorgan.
Andere Wörter: Fell, Balg, Schwarte; mit Unterschieden: Hirnhaut,
Zwerchfell. � Haut ist wohl zarter � dünne Haut, dickes Fell.
�Der Mensch hat viele Häute abzuwerfen, bis er seiner selbst und
der Weltdinge einigermaßen si-cher wird�, so Goethe. Haut ist nah
am Ich; eine ehrliche Haut; ich zieh dir das Fell über die Ohren �
ist schwer bedrohlich; milder: sie geraten sich in die Wolle; sich seiner
Haut erwehren müssen � ist lebensbedrohlich; auf die faule Haut legen
dagegen ist ein Rest vom Paradies.
Wenn was unter die Haut geht, bin ich innen getroffen. Liebe ich mit
Haut und Haaren, bin ich dran. Bin ich nur noch Haut und Knochen, dann
geht�s um mich im Ganzen. Möcht ich aus der Haut fahren, wäre
ich gern außer mir wäre mich gern los. Haut ist so nah mir,
ich bin die Haut. Auf der Haut liege ich auf der Lauer.
Da, wo ich ende und das Außen anfängt, ist oft viel los.
Die Haut kann locken oder Panzer bilden, kann sich abschreckend stellen
oder schmückend, Kosmetika unterstützen. Manchmal wird die Haut
zum Hochstapler; wir laden ihr auf, viel mehr zu versprechen an Kontaktfreude,
als wir dann an Verbündekraft auf Lager haben.
Jedenfalls ist der Reisesack des Lebens (Musil) meine Außenseite.
Schön, wenn die makellos wä-re. Aber mein Innen ist gut/böse,
ist auch gesprenkelt; schöne Haut könnte Lüge sein. Aussatz
macht abschreckend. Dabei kann der Mensch innen ein Engel sein.
Kleider machen Leute. Kleider sind ja zusätzliche Häute.
Nackt sind wir, wenn wir einander von innen her erkennen. Und Innenpleitiers
mit glatter Haut sind bedrohlich. Wie Menschen mit schö-nem Frätzchen,
die anderer Leute Wachsamkeit einlullen.
Es bleibt: Die Haut begrenzt mich und schlägt doch die Brücke
zum Nächsten. Dünne Haut läßt mehr empfinden, viel
Streicheln wird ersehnt, viel Grobheit schon im Vorfeld erspürt. Andere
Haut wahrt Abstand, bildet Schuppen, will sich einmauern. Vielleicht, weil
zuviel Nähe ihnen abgezwun-gen wurde. Ein Herr beugte sich zur wohl
Vierjährigen �Wie heißt du denn? Gibst du mir auch dei-ne Hand?�
� Schwupp, tat sie die Hände auf den Rücken: �Ich habe keine
Hand frei.� �
Aber die besorgten Eltern, unsere jedenfalls hätten schon das
�schöne� Händchen vorzuholen ge-wußt. Viele Erwachsene
haben Angst vor Berührtwerden, weil das einst der Anfang von Drängen
und Gewalt war. � Und wie viel Kinder müssen sich hinhalten für
die Kuschellust der Eltern � und die lassen den Kindern ihre Schutzzone
nicht. Kann daraus nicht eine mauernde Haut erwachsen?
Jesus trifft einen, der hat mit sich Probleme. Vielleicht hat er die
Wirklichkeit als ekelhaft, als angsteinflößend, abstoßend
erlebt, Menschen die mauern, jenseits aller Zärtlichkeit und er ist
dar-über hart und abstoßend geworden, mit erschreckender Haut.
Dieser Mensch hat eine Haut, die ihn bedrohlich scheinen läßt
für andere. Darum setzen sie ihn aus, er muß vor der Stadt hausen
� und wie so oft: Die Angst der Leute macht sein Hautleiden vollends zur
Tragödie. Wie Behinderte ja behindert werden von tausend Rücksichtslosigkeiten,
Hindernissen, Frechheiten.
Der Aussätzige schreit Jesus an: Wenn du wolltest, könntest
du mich wohl reinigen. Wie ein Schuldner seinen Gläubiger anschreien
könnte: Wenn du wolltest, du brauchtest mich nicht aus der Wohnung
zu werfen. Jesus ergrimmte � über das ungerechte Schicksal, oder über
die Störung, oder über seine Unlust. Dies griesgrämige:
�Wir haben nichts, wir geben nichts� � aus lauter Angst, es könne
einen selber treffen. Da meinen wir, dem eigenen Bedrohtsein entgehen zu
können, in-dem man ihn schuldig spricht für seine mißliche
Lage � ganz verrückt, wir.
Und Jesus streckte die Hand aus, rührte ihn an und sprach zu ihm:
Ich will's tun; sei rein!
Jesus weicht nicht zurück. Er rührt ihn an. Dies ist die
Rettung: Er bekommt das Zeichen: Du bist gut, du und ich wir gehören
zusammen, du bist nicht minderwertig. Wir sind ebenbürtig. Du, unter
dem Zelt der Hände wächst deine Haut wieder, schließt sich
die Wunde. Von innen nach außen reißt es dich auf. Von außen
nach innen wirkt die Wohltat der aufgelegten Hand, die Berührung rührt.
Du bist am Schönwerden.
Jesus wirkt hier zweifach. Jesus hat zwei Seiten. Er zeigt uns 1. Wie
wir mit Gott dran sind. Er zeigt uns 2. Wie wir miteinander dran sind.
Jesus als Vormann Gottes. Wenn du willst � das sagen wir ja in Richtung
auf sowas wie Gott: Mach, was du willst, aber das hier, mein Jammer kann
nicht dein Wille sein. Jesus nimmt den Hilfe-schrei an als Handlanger �
wie ja jeder Schwerkranke sich beim Arzt in Gottes Hand weiß; und
wenn nicht, dann sollte es der Arzt/die Ärztin jedenfalls wissen �
wir Menschen vermitteln, sind nicht die Macher sondern Helfer. Jesus sieht
sich als Gehilfen Gottes. Vielleicht geht das Jesus auf die Nerven, so
einstehen zu müssen für das Gutsein der Welt. Wie die Ärzte,
die Mütter, manchmal auch die Pfarrer sich zu klein finden für
die großen Erwartungen. Da, schau her, die Pleite: Und du predigst
vom Guten Gott. Gib deine Hand � sei rein. Um alles in der Welt, sei rein.
Leid ist nicht Endstation.
Das Zutrauen des Kranken, er hat ja recht: Gott hat nichts geschaffen,
gegen das er einen Unwil-len hätte (Weisheit 11). Ich bin nicht krank
als Strafe, mein Gott straft nicht, wohl erleidet er die Folgen mit. Und
irgendwas im komplizierten Körper läuft da schief � Stoffwechselstörung
� klar, kann sein, bei einem solchen Wunderwerk namens Ich. Die Selbststeuerung
versagt, Membranen verschleißen, wir sind aus brüchigem Material.
Ein Wunder, daß dieser Zellhaufen überhaupt den Gedanken �Ich�
bildet. Aber ich will heil werden, das kommt doch von den Ansprüchen,
die Du, Gott, in uns gelegt hast � wir Deine Kinder: Und hast Du Aussatz?
� Doch ja, wir passieren ja in Dir. Glieder an Deinem Leib. � Und doch:
Du kannst. Dein ist das Reich und die Kraft und die Herr-lichkeit. Dein
Wille geschehe, Dein Wille werde über mir heilsam. Und Jesus legt
ihm die Hand auf als Segensdach, als Versprechen, Heilendes strömt;
die verschreckte, geschundene Haut wird in Schutz genommen. Heilung also
nicht auf Kommando, wie das Kind es sich vorstellte und den El-tern meldet:
�Ich hab gebetet, aber Gott hat nicht gehorcht�. � Daß Gott hört,
weiß, beteiligt ist, macht Wege in der Gefahr, macht aus Zustand
eine Station.
�Wenn du willst, kannst du mich wohl retten� � Zutrauen zu Gott? Gott
will immer retten � das ist sein Metier. Aber er rettet durch die Umstände,
nicht an ihnen vorbei. Rettende Umstände müssen her � und ich,
du, wir gehören zu denen, die rettende Umstände bringen können.
Das rückt Jesus in seiner 2. Rolle nach vorn: Jesus als Vormann
der Menschen. Wir gehören zu den Umständen, zur Situation, wir
bilden das Klima mit, die krankmachenden oder heilenden Ver-hältnisse.
Wie wir uns verhalten, das macht Gott mit aus.
Wir haben Vollmacht zu heilen � unsere heilenden Hände oder zuhörenden
Ohren, oder lindernden Zungen gehören zu Gottes Werkzeugkasten.
Mit Jesus als Trainer kannst du auch die Berührungsängste
abbauen. �Dies Kind soll unverletzet sein� � laß es in dir klingen.
Du mußt nicht dauernd ätzende Sachen anfassen, aber, so heißt
es im Markus-Ev. (16, 18), mit deinem Glauben kannst du giftige Schlangen
hochheben, und sie werden dir nicht schaden. � Das jetzt mehr auf böse
Gedanken gemünzt: Du brauchst sie dir nicht anzu-ziehen, du kannst
sie entschärfen. Was ist friedensstiftender als eine Niedertracht
zu überhören, abzuwiegeln, mildernde Umstände in sein Hirn
zu träufeln, bis er zu glauben wagt: Ich kann auch anders als beißen
und kratzen. Ich kann noch heil werden � die Umstände sind mehr gegen
mich, daß ich gegen sie anbeißen muß. Ich kann mich zeigen
mit Schwäche, ohne Gewalt zu provozie-ren. Ich brauche auch keine
Prüfungsangst mehr. Ich kann von vielen angeschaut werden � sie gucken
mir nichts weg.
Hautsachen zeigen innere Veränderungen. Gönn dir Nähe,
gewähre Nähe � achte auf Distanz-Wünsche, versuch keinen
zu bedrängen, sein Abwarten überfahre nicht. Linder die Angst:
Die Masseurin, die zum erstenmal allein massieren soll, dazu noch einen
männlichen Patienten zittert auf dem Gang vor dem Zimmer. Da kommt
eine ältere Schwester, faßt sie an und sagt: �Die wissen doch
gar nicht, daß du es zum erstenmal machst.� � So machen wir die Umstände.
Daß sie glücklich werden und wir mit heiler Haut davonkommen,
wünschen wir einander.