Keitumer Predigten Traugott Giesen
12.09.1999
1. Mose 1, 27: Gott schuf den Menschen ihm zum Bilde, zum Bilde Gottes
schuf er ihn; und schuf sie als Mann und Frau.
1. Mose 2, 19 - 24: Und Gott der Herr machte aus Erde alle die Tiere
auf dem Felde und alle Vögel unter dem Himmel und brachte sie zu dem
Menschen, daß er sähe, wie er sie nennte; denn wie der Mensch
jedes Tier nennen würde, so sollte es heißen.
Und der Mensch gab Vieh, Vogel, Tier je seinen Namen. Aber für
den Menschen ward kein Gegenüber gefunden. Da sprach Gott: Es ist
nicht gut, daß der Mensch allein sei � ich will ihm einen Gefährten
machen, der mit ihm lebt.
Da ließ Gott einen tiefen Schlaf fallen auf den Menschen. Und
er nahm eine seiner Rippen und schloß die Stelle mit Fleisch.
Und Gott baute eine Frau aus der Rippe, die er von dem Manne nahm,
und brachte sie zu ihm.
Da sprach der Mensch: Das ist doch Bein von meinem Bein und Fleisch
von meinem Fleisch; man wird sie Menschin nennen.
Und ein Mensch wird Vater und Mutter verlassen und an seinem Gefährten
hängen, und sie werden ein Fleisch sein.
Noch immer ist mir diese Erzählung die bündige Geschichte
vom Menschen, vom Menschenpaar. Gott füllt das Wesentliche seinerselbst
in sein Menschen-Geschöpf, schafft uns zu seinem Bild. Nicht, daß
wir aussehen wie er � aber wir sind Auswirkung von ihm, wir spiegeln ihn,
wir sind sein Symbol. Für diese Art von Übertragung kenne ich
ein erhellendes Beispiel:
Als der große französische Maler Claude Monet, geb. 1840,
zum 80. Geburtstag fotografiert werden sollte, sagte der den Leuten mit
den großen Apparaten: �Geht lieber in meinen Garten und fotografiert
den. Der ist mir ähnlicher als ich.� Der Garten als Bild von Monet
� der Mensch als Bild von Gott. Nicht ums Aussehen sondern ums Wesen geht�s:
Der Garten mit seiner Farbenfreude drückt Monets Wesen aus. Und Gott
drückt sein Wesen im Menschen aus � in den Menschensorten Frau und
Mann. Der Mensch als Frau oder Mann ist Spiegel des Wesens Gottes.
Das Wesentliche von Gott und Mensch ist wohl, daß sie auf ein
Anderes hin streben, sie brauchen Ergänzung. Gott ist Liebe. Liebe
braucht das Du, das Gegenüber, um mit ihm vollständig zu werden,
um mit sich ins Reine zu kommen. Diese Unruhe hat der Schöpfer auch
uns ins Herz gelegt. Wir brauchen ein Gegenüber, mit dem wir uns fühlen,
an dem wir uns erkennen, mit dem wir lachen, Geheimnisse haben, streiten
können und Projekte ausbrüten, mit dem wir das Gutsein des Lebens
feiern können. Und das mit uns wächst.
Die Paradiesgeschichte erzählt das Werden der Menschheit wie das
des einzelnen Menschen: Als Kind reden wir mit den Tieren, geben ihnen
Namen. Die zehnjährigen Mädchen begeistern sich an Pferden, beherrschen
sie, geben ihnen Namen. Die Jungen tollen gern mit Hunden. Aber ein Gleichwertiges
findet der Mensch nicht beim Tier. � So fallen die Kinder in Tiefschlaf,
bis sie irgendwann aufwachen, und auf einmal steht es neben dir � der/die
Andere, und beiden gehen die Augen und die Poren auf füreinander.
Und sie bekennen, erkennen: �Das ist ja Fleisch von meinem Fleisch� � das
bin ich ja noch einmal nur ganz anders. Und wenn sie für einander
entflammen und das andauert, dann verlassen Herkunfts- und Ursprungsfamilie
und bauen ein Neues.
Am 09.09.1999 sollen manche Standesämter rund um die Uhr Eheschließungen
vorgenommen haben. Auch In St. Severin ließen sich fünf Paare
trauen, gestern noch zwei und heute, gleich, steht eine Taufe an und eine
Hochzeit und eine Goldhochzeit. Die Bibel schreibt: �Es ist besser zu zweit.
Sind sie zu zweit, hilft ein Gesell ihm auf, und eine dreifache Schnur
reißt nicht leicht entzwei� � so der Prediger der Bibel, Kap. 4.
Paulus dagegen singt das Hohe Lied der Liebe: Die Liebe ist langmütig
und freundlich (1. Korinther 13, 4) und preist gleichzeitig das Ledigbleiben:
�Zum Frieden hat Gott uns berufen�(1. Korinther 7, 15), �Ihr seid teuer
erkauft, werdet nicht der Menschen Knechte" (Korinther 7, 23). �Um der
kommenden schwierigen Zeiten willen�, sagt Paulus �meine ich, es sei gut
für den Menschen, ledig zu sein� (Korinther 7, 26). Verheiratet sorgt
man sich, seiner Frau, seinem Mann zu gefallen. Ledig aber sorgt man sich
um die Sache des Herrn, kann ungehindert Gott dienen (Korinther 7, 32 -
35). Na ja, die Ehefeindlichkeit des Paulus ist ein weites Feld, und wohl
mehr sein eigenes Problem gewesen. � Sicher richtig ist, daß Liebe,
Gemeinschaft, Nähe, Vertrautheit, Befreundung, Paarsein nicht selbstverständlich
Ehe meint.
Ehe ist wohl der Königsweg des Füreinanderdasein � ist Liebe
mit der Konsequenz �in Freude und Leid nicht zu verlassen, bis daß
der Tod sie scheidet.� All die anderen Formen freiwilliger Gesellung haben
Ehe im Hinterkopf, beleihen dies umfassende Bündnis. Alle Liebesbindungen,
wie kurz sie auch währen, leben im Jetzt den Traum von Immer, zelebrieren
in dieser kurzen Zeit das Ewige, beschwören mit heiligen Worten ihre
Inbrunst als füreinander bestimmt. Sogar die gekaufte Umarmung will
den Augenblick lang das �Fleisch von meinem Fleisch� glauben.
Ehe ist eins der Urbilder der Menschheit, wie Elternschaft, Haus, Brot,
Feuer. Natürlich sind Ehen bedroht: durch Trägheit, Müdewerden,
feindlichen Klang in der Stimme, oft gegen den eigenen Willen. Mit kleiner
Verachtung kann Haß beginnen. Und die �mundtoten Paare� (U. Johnson)?
Und auch schlimm was ein Konfliktforscher bescheinigt: �Paare wissen ja
oft nicht einmal, wie sie sich unterhalten sollen. Entweder sabbeln sie
beide und hören nicht zu, oder sie warten nur auf ein Reizwort, um
dann auf einander loszuschlagen.� Doch das sind nicht Ehefrüchte,
Eheschatten, sondern die ganz normale Lieblosigkeit, die beide aneinander
auslassen.
Aber man ist heute nicht mehr auf Gedeih und Verderb aneinander gekettet.
Die 1950 heirateten, von denen ließ sich nur jeder Zehnte scheiden.
Von den in den neunziger Jahren geschlossenen Ehen wird jede dritte Ehe
zerbrechen. Früher hielt man mehr miteinander aus, scheute sich auch
mehr � eine Trennung galt als Scheitern; finanziell konnte man als geschiedene
Frau nur mühsam sein Auskommen finden, das ließ viele Frauen
stumm ertragen. Heute reichen Frauen in 61 Prozent der Fälle die Scheidung
ein.
In der Turnschuhgeneration scheint schnell geheiratet zu werden und
leichteren Herzens auch geschieden � wo Flexibelsein höchste Tugend
ist, muß man Treue im Häuslichen erst schätzen lernen �
und so findet manch ein Mensch erst zur Lebensmitte hin zu einer persönlichen
Reife, die sich nicht mehr gegen den andern profilieren muß.
Es sind ja sicher zwei Bruchstellen in den Paar-Biographien: Einmal
das Elternwerden, Elternsein, später das leere Haus. Einmal muß
das Paar sich einer neuen Mitte, dem Kind, den Kindern, anpassen � aus
dem Liebespaar wird Familie; und zwanzig Jahre später, die Kinder
sind aus dem Haus, muß das Paar sich wieder in neuen Rollen finden.
Dann kommt die lange Zeit der Freudschaft-Ehe, wo beide dem Gemeinsamen
Priorität einräumen und dem je Eigenen Platz lassen. Wenn sie
eine genügend große gemeinsame Schnittmenge pflegen und jeder
extra seine Teilmenge dazu, dann können sie lebendig bleiben, einer
den andern fördern beim Wachsen. Sie müssen nicht das Glück
des andern völlig sein aber einander die Lebensgesprächspartner,
und daß einer für den andern haftet. Sie sind mit dran bei Leid,
Schuld und Schande � das alles widerfährt ihnen beiden. Einer schämt
sich für den andern � auch das gehört zur Ehe, da hat man immer
einen Zeugen, Mitwisser, und Mitträger seiner selbst. Freunde dürfen
einander kündigen. Ehe ist für immer, brutto, inklusiv Altwerden
und Schwachwerden, und einer stirbt vor dem andern, der irgendwie überbleibt;
und es ist Gnade, wenn noch ein neues Leben winkt.
Es hat keinen Sinn, sich die Ehe zu versprechen, solange es gut geht.
Oder für die Aufzucht der Kinder, dann sehen wir weiter. Ehe meint
den weiten Horizont, sich unverbrüchlich nicht zu verlassen � graubrothaftes
Glück, harte Arbeit inklusive � wenn die Liebe bleibt. Jammer und
Verstockung, wenn die Liebe ging � und sie nur bleiben aus Treue; Treue
aber gehört zum Komplex des Besitzes (R. Musil). Das merken wir genau,
wir wollen ja nicht des anderen Treue sondern seine Liebe.
Trotz des vielen möglichen Scheiterns ist �Ehe auf Zeit� widersinnig.
Ehe ist die Perspektive �für immer�. Keiner muß heiraten. Gesegnet
seien alle Verbindungen, Liebesbündnisse, Kameradschaften, Genossenschaften,
Gefährtenschaften solange sie gut gehen. Aber Ehe ist auf Dauer angelegt.
Ehe auf Zeit machte das Scheitern zur Normalität. Scheitern kann immer
sein, weil es mit der Liebe ist wie mit dem Heiligen Geist: der weht, wo
er will. Ehe setzt darauf, daß die Liebe bleibt, die Gnade, das Wunder,
Gottes Stoff. Aber sie können einander Liebe nicht versprechen, können
sie nur erbitten und sie pflegen, sie behüten, können sie für
einander wollen aber nicht machen. Brautpaare können und müssen
darauf setzten, daß sie von der Liebe für Ehe gemeint sind und
sie sich passend werden im Laufe der Zeit.
Wir haben alle die Sehnsucht nach dem ergänzenden Gegenüber
mitbekommen. Aber nicht alle wollen eines andern bessere Hälfte sein.
Ist einem Freiheit das Wichtigste, wird er sich kaum einer Ehe zumuten.
Zur Ehe gehört wohl ein Stück Bereitschaft zur Unterwerfung,
sich zu fügen, öfter es gut sein zu lassen; nicht alles auszumessen
und zu zählen, und nicht zu rechten und zu zwingen, nicht zu herrschen,
sondern Einvernehmen herzustellen. Das ist nicht jedermanns, jeder Frau
Sache.
Im übrigen: Jesus war nicht verheiratet. Er liebte viele Menschen
und sie steigerten aneinander ihre Seelen. Er hatte einen wunderbaren Freundeskreis
zu dem auch Frauen gehörten. Frauen dienten ihm mit ihrer Habe, heißt
es im Lukas-Ev., Maria-Magdalena hoffe ich ganz stark an seiner Seite;
aber auch nah war Johannes, den sie seinen Lieblingsjünger nannten,
und der oft dargestellt wird mit dem Kopf auf Jesu Schulter lehnend.
In Gorkis Sommergäste sagt sie: Wir waren zwar Mann und Frau,
aber Freunde sind wir nie gewesen. Lieber Freunde ohne Ehe, als Ehe ohne
daß sie Freunde sind.
Gott sei es gedankt, daß jeder die ihm gemäße Art
von Gesellung sich suchen darf und sie hoffentlich auch findet. Das ist
Gottes Auftrag (1. Petrus 4, 10): �Liebet, dienet einander, ein jeder mit
der Gabe, die er empfangen hat.�