Traugott Giesen Kolumne 29.09.2001
aus "Die Welt" Ausgabe Hamburg
Erntedank steht uns gut an
Als noch Hagelschlag, Mehltau,
Kartoffelkäferplagen echten Hunger auslösten, weitreichend und
tödlich, da war reiche Ernte eine Gnade. Und man trat vor den
geschmückten Altar mit inniger Dankbarkeit, gab auch einen Sack Korn
ab oder den Gegenwert eines halben Schweins. Man sang aus voller Kehle: "Wir
pflügen und wir streuen, den Samen auf das Land; doch Wachstum und Gedeihen,
steht in des Himmels Hand." Und traumhaft dann weiter: "Der tut mit leisem
Wehen sich still und heimlich auf und träuft, wenn heim wir gehen, Wuchs
und Gedeihen drauf." Wir wissen heute mehr von der Machart des Wunders, Fachleute
können das Träufeln nachahmen, welches Wuchs und Frucht gedeihen
lassen. Über das ganze Jahr sind bei uns Obst und Gemüse zu haben
- und wenn wir Erdbeeren aus Israel und Weintrauben aus Südafrika einfliegen
lassen. Die Damen und Herren von der Agrartechnik und der Lebensmittelchemie
und der Transportlogistik lassen ihr Können zusammenfließen und
beschaffen uns zahlungskräftigen Zugriff auf die Ernten,
allüberall.
Eigentlich haben wir noch mehr Grund zu danken
als unsere Vorfahren. Denn alle zehn Jahre verdoppelt sich das Wissen von
der Natur, und je mehr einer weiß, desto mehr staunt er über das
unerschöpfbare Wunder, welches das Leben darstellt.
Erntedank kommt jedem denkenden Menschen wie
von selbst in den Sinn. Die haltstiftende Tradition der Kirchensprache hilft
dazu, ist aber wie festliches Porzellan und Weingläser vom Glasbläser
- nicht jedermanns Sache. Doch ein "ach wie gut" wird sich beim Anblick des
geschmückten Altares wie von selbst aus deiner Seele lösen. Und
das "Unser tägliches Brot gib uns heute", wirst auch du dir gefallen
lassen. Denn auch dir scheint dein Sattgewordensein übers Jahr erstaunlich
und unverdient. Auch du drückst ein Stück Güte ab für
Welthungerhilfe oder "Brot für die Welt" - doch - denk nicht schlecht
von dir.
Du gingst doch durch reife Felder, du schrittest
unter überquellenden Pflaumenbäumen, du aßest dich satt an
Kirschen oder Brombeeren, du hast den Duft des üppigen Gelingens des
Lebens noch in der Nase, deine Augen haben die gelben Sonnenblumen und die
tizianroten Dahlien noch auf der Netzhaut.
Du kennst von weither noch Psalm 23, vom guten
Hirten: "Er bereitet mir einen Tisch im Angesicht der Feinde ... er schenket
mir voll ein." Das steht uns gut an, einmal im Jahr sehr deutlich und festlich
sich zu bedanken beim Vatermutter-Hintergrund des Daseins, dass du einen
Tisch hattest, der gedeckt war. Du konntest dich und andere ernähren,
du brachtest Beute mit nach Hause. Du konntest anderen so nützen, dass
sie dir auch nützten. Und dies im Angesicht auch feindlicher, schwieriger,
schädlicher Beigaben, die auch zu dir gehören. Wieder ein Jahr
hindurchgetragen, ernährt, erhalten, gerettet. Wink einen Dank in Richtung
Gott oder wie du ihn nennst, den ewiggültigen Betreiber des Lebens.