Traugott Giesen Kolumne vom 07.06.1997 aus Hamburger
Morgenpost
Vorgeburtliche Untersuchung?
Wenn in unserer Herkunftsfamilie eine erblich übertragbare Krankheit
vorkommt, ist es Pflichtsache, sich genetisch untersuchen zu lassen. Ist
da ein Argwohn, eine Ahnung, daß eventuelle Kinder geschädigt
sein könnten, würde ich auf Elternschaft verzichten.
Kinder haben das Recht auf bestmögliche biologische und seelische
Ausstattung. Und Eltern dürfen sich nicht für schuldig halten
müssen, weil sie ja anders gekonnt hätten - nämlich vor
eventuellem Zeugen sich untersuchen zu lassen. Auch sähe ich mich bedroht,
nicht fürsorglich genug sein zu können. Ich fürchte zu
erschrecken, fürchte auch, soviel Liebe nicht zu haben. Dieser Spielraum
gilt, bevor ein Kind unterwegs ist.
Aber die Medizin kann neuerdings Krankheiten des Ungeborenen erkennen, kann
vorgeburtlich Behinderung und Schädigung diagnostizieren. Ein kleiner
Teil kann im Mutterleib behoben oder gelindert werden, Blut kann ausgetauscht
werden. Und vor allem können die Eltern vorbereitet werden auf Behinderung
und Leid, das mit dem Kindlein kommt.
Und dann ist die werdende Mutter, sind die werdenden Eltern in tiefster Not.
Dann horchen sie in sich, fragen womöglich, ob das Kind sich so nicht
will, lauschen, ob das Kind Zeichen gibt von Lebenswillen oder Angst. Auch
befragen sie sich selbst, ob sie Kraft haben werden, ein Kind mit
Beschädigung genug zu lieben, ob sie nicht selbst sich in Frage gestellt
sehen durch ein Kind mit Handikap.
Wunderbare Mütter (und Väter) sehen es anders: Sie haben sich dem
Leben hingehalten, haben sich geliebt mit Bereitschaft, ein Kind zu empfangen.
Es wird in jedem Fall ein Kind der Liebe, das Gott ihnen in ihre Chromosomen
gefüllt hat. Sie wollen mit Hingabe für dieses Gotteskind da sein,
wie lange es bei ihnen auch da sein wird. Wieviel Freude und Entwicklung
es mit ihnen haben wird, ist nicht ihre Frage. Sie sehen sich als erste Engel
Gottes für sein Wesen. Sie verbieten sich, über Wert und Sinn und
Schönheit zu rätseln - sie gehorchen dem Leben und nehmen an, wer
ihnen anvertraut und zugemutet ist. Treu werden sie sein diesem mühevollen
Menschlein, solange sie können; sie werden Hilfe annehmen, sie werden
Gott loben und danken für das viele Glück in den Mühen und
werden um Kraft bitten und nicht fragen wollen warum, warum? "Es ist nichts
Geschaffenes, wogegen Gott Haß hätte. Du liebst alles, was ist.
Du schonst alles, es gehört dir, du Freund des Lebens." - So steht es
irgendwo versteckt in der Bibel (Weisheit 11). Es sind Gottes Freunde, die
sich seiner so gefährdeten, so bedürftigen Kindlein erbarmen. Sie
ahnen, daß das Geheimnis der Welt noch verwundet ist und lindern Gottes
Leiden im Lindern der Leiden der Kinder.
Aber Gott liebt auch die Angstvollen, die traurig Zweifelnden, die sich für
das große Gutsein zu klein halten, liebt auch die Schwachen.