Traugott Giesen: Zeit zur Freude - nicht
nur ein Ostertext
Freude ist dieser Geschmack am Ganzsein, im
guten Ganzen zu sein, mit sich und allen.
Wenn ein Kind mit anderen im Spiel jauchzt;
wenn zwei sich umarmen; Geschwister einvernehmlich das Erbe teilen; Menschen
begeistert musizieren, ein großer Chor erschöpft und glücklich
ist, dass Gutes gelang; wenn ein Kind geboren ist; wenn Menschen sich wieder
versöhnen; oder für einen in Not eine Wohnung gefunden wurde, und
dieser zum Einstand einlädt; wenn einer eine Prüfung bestanden
hat; ein Kleid gelungen ist; man wieder Arbeit fand; oder endlich Frieden
zwischen zwei Völkern anfängt - immer blitzt da das Gutsein des
Lebens auf.
Leid engt ein, Freude öffnet
Eigenartig, wenn wir Schmerzen haben, ein solider
Zahnschmerz reicht da schon, dann sind wir ganz bei uns. Dann kann noch so
viel Wichtiges draußen passieren, wir sind ganz mit uns beschäftigt,
sind egozentrisch. Schmerz und Leid zentriert mich.
Freude aber öffnet für das Ganze.
Wildfremde Menschen werden Vertraute; die Freude auf dem Gesicht des
Nächsten offenbart, daß wir vom Gemeinsamen leben. Liebende
fühlen sich nicht mehr als Einzelne, sondern als Teile einer
überirdischen Ganzheit.
Wenn ich außer mir bin vor Freude, bin
ich ganz bei meinem wahren Selbst. Das ist nicht mehr mein kleines Ich, sondern
die Weltseele, die auch in mir pocht und lodert. Ich könnte zerspringen,
ich könnte zerplatzen vor Freude. Diese Wendungen bewahren diese Wahrheit:
Freude kehrt mich nach außen, Freude kehrt zueinander, macht uns zusammen
groß und schön.
Auf mich allein gestellt ist massenweise
Furcht da
Mein kleines Ich, auf sich gestellt, hat wenig
Grund zur Freude. Stehe ich gegen den Rest der Welt, sehe ich die Welt als
gegen mich gerichtet, dann ziehe ich mich zurück, fürchte
Wärmeverlust und Ausbeutung. Oder, statt mich klein zu machen, versuche
ich, mich breit zu machen; einen Schutzwall nach dem andern baue ich vor
mir auf aus Wörtern, aus Besitz, aus Geld; ich suche Menschen mir
gefügig zu machen, die mich schützen vor Kritik, vor Verlust.
Mein kleines Ich auf sich allein gestellt sieht
sich immer bedroht. Wie soll da Freude mich tragen. Bin ich voll Mißtrauen,
kann mich nichts von der Furcht abbringen: alle Sicherheiten machen mich
noch furchtsamer vor Verlust. Was bleibt, sind Schatten der Freude, schwache
Vertröstungen: Gaumenfreuden, Schadenfreuden, Flimmerkiste, Rechthaberei.
Doch schon sitzt das Nichts einem als Gesellschafter gegenüber, und
man bekommt gegen sich und alles ein Grausen. Nur eins hilft: mein kleines
Ich muß Anschluß finden an das Große. Mein Ich muß
aufgefaltet werden wie eine Knospe vom Wärmestrom. Ich muß
erlöst werden, und das Lösungsmittel ist Freude.
Der Löser: Der Auferstandene
Ostern kam Christus zur Welt, der nicht endende
Sog in die Freude. Der Ostertext steht in der Weihnachtsgeschichte:
"Fürchtet euch nicht, siehe, ich verkündige euch große Freude,
die allem Volk widerfahren wird: Euch ist heute der Heiland geboren" (Lukas
2,14).
Furcht ist nicht mehr nötig; Freude ist
uns mitgeteilt. Sie widerfährt uns wie ein Sonnenaufgang, wie eine Liebe,
wie ein Freispruch: Uns ist heute der Heiland geboren!
Der Jesus, der damals einzelne wenige Zeitgenossen
von ihrer Selbstverlorenheit befreite, der Jesus, der um 30 am Kreuz starb,
ist von Gott in die Gegenwart auferweckt; sein Leben verlief nicht im Sand,
seine Weltsicht versickerte nicht in Friedhofserde wie so manche Philosophie.
Im Gegenteil: der Jesus ist von Gott als Heiler, als Heimführer unserer
Seelen zeitgleich gemacht jeder Zeit. Meine, deine Zeit ist Christus-Zeit,
Freudenzeit, Zeit, mich in Gottes gutem Ganzen vorzufinden: Der Christus
wirkt auf uns ein in ganz unerklärlicher Weise, als Mut, dich und mich
als ein Grund der Freude Gottes zu glauben.
Du, ein Grund der Freude Gottes
Warum, wissen wir nicht, es spricht so viel
dagegen, auf uns, auf mich, mein kleines Ich gesehen. Aber der Hund, an dem
ich mich freue, weiß auch nicht, warum er mir Grund zur Freude ist.
Das Bild ist etwas schief - und doch, nimm das an! Laß dir dies sagen:
Du, ein Grund zur Freude Gottes, du ein Splitter von Gottes Ganzheit und
deine Freude ein Abglanz seiner Gloriole.
Ach, Mensch, diese Widmung glaub. Diese Bestimmung
verfügt dir Christus. Diese Beförderung, diese Adoption, diese
Qualifizierung widerfährt dir. Laß es dir gefallen: Du, Grund
zur Freude!
Mit Gottes Blick uns sehen
Heiler ist uns Christus, indem er unseren Blick
wegnimmt von uns und hinlenkt auf Gott. Das meint: wenn ich mich von innen
besichtige, kann ich mich nur mit spitzen Fingern anfassen: so viel
miese kleine Gier, so viel Dummheit, so viel Angst. Kein Wunder, dass ich
die anderen als mir ähnlich einschätze und immer auf der Lauer
liege: Furcht als mein Antrieb.
Christus richtet meinen Blick aber auf Gott.
Wie er mich sieht, so darf ich mich sehen. Er sieht mich an mit liebenden
Augen: Du, mein Kind - auch mit deinen gefährlichen Kräften.
Die Predigt des Samenkornes
Du mußt auf Kosten anderer leben, aber
werde auch den anderen Lebensmittel. "Wenn du dein Leben bewahren willst
für dich, dann wirst du's verlieren. Wenn das Samenkorn nicht zur Erde
kommt und erstirbt, so bleibt's allein. Geht's aber auf, so bringt's viel
Frucht" (Johannes 12,24).
Jesus beglaubigt diese Predigt des Samenkornes
durch sich bis in sein Sterben. Er gab sich aus als Wechselgeld der Liebe
Gottes. Er war die Freude in Person. Seine Leidenschaft, seine Passion brachte
ihm den Tod. Aber Gott ließ ihn durch den Tod hindurch erblühen
in die Seelen der Menschen, und so ist er hier, dir das Trauergewand auszuziehen,
den Furchtpanzer, die Schleier der Angst, zu versagen und nicht zu
genügen.
Heute geschehe dir Auferstehung: er hat dir
den Sack der Trauer ausgezogen und dich mit Freude gegürtet (Psalm
30,12).
In dir brennt Feuer
Tief in dir angelegt ist der Glutkern
Gewißheit: Gott ist mit dir einverstanden; nicht mit allem, was du
tust, da braucht vieles viel Verzeihen, aber mit dir. Du bist ihm Grund zur
Freude. Und die Freude an diesem Gott ist deine Stärke (Nehemia
8,10).
Sie richtet dich zu einem Selbstbewußtsein
auf, das nicht aus Angeben und Leistung erwächst; nicht aus dem Vergleich
mit anderen. Darum kann dich anderer Leute falsch gepolte Selbstsicherheit
auch nicht kleinkriegen. Mit Vernunft und einer Portion Leidefähigkeit
gewappnet, wirst du Freude die Fülle in deine und Gottes Scheunen
fahren.
Du wirst zuletzt sagen: Ja, Liebhaber des Lebens,
du hast meine Klage verwandelt in einen Reigen (Psalm 30,12).
Das Traumbild des Reigens aller Geheiligten
vor Gott sei dir gegenwärtig auf dem langen Weg ins gelobte Land. Noch
tragen unsere Freuden auch Trauerrand. Aber in unsere Trauerbriefe ist auch
der Freudenregenbogen eingezeichnet.
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