Keitumer Predigten Traugott
Giesen 4. Advent 23.12.2001
Das Licht scheint in der
Finsternis
"Stärket die müden Hände und
macht fest die wankenden Knie! Sagt den verzagten Herzen: Seid getrost,
fürchtet euch nicht! Seht, euer Gott kommt." (Jesaja 35, 3.4). "Das
Volk, das im Finstern wandelt, sieht ein großes Licht. Und über
denen im Finstern scheint es hell." (Jesaja 9,1-6).
Die Verheißungen des Jesaja sind auch
für uns gut. Sie wurden als Leuchtschrift auf Jesus gedeutet. Sie gelten
auch uns: Das Volk, das im Finstern wandelt, sieht ein großes Licht!
Der vierte Advent ist ein Atemhol-Tag. Wer heute zum Gottesdienst geht, hat
so gut wie eine ganze Bank für sich. Keine Eile, keine Enge. Zeit, zu
brüten, was zu merken. Das Licht der Kerzen, - die Bäume stehen
schon, noch still und stumm. Jetzt ist Zeit, die einzelne Kerze anzuschauen,
sich darein zu versenken. Es ist eine Zeit, es gut werden zu lassen. Jedenfalls
aufatmen, jetzt die Flamme, mit dem dunklen Gaskegel über dem schwarzen
Docht, sie steht und tanzt. Oben glimmt mit winzig rotem Glutpunkt der Docht.
Er steht in einer jetzt flüssigen Wachs- oder Stearinlache. Die Flamme
leuchtet, schwingt im kleinsten Luftzug, sie sieht lebendig aus.
Gut, wenn die Kerze auf einem Leuchter steht.
Die vier Kerzen auf dem Adventskranz haben eine besondere Klarheit bei sich.
Kränze flocht man früher Siegern. Wie diese Verknüpfung zu
Weihnachten? Da ist ja der Sieger des Lebens geboren, er ist durch den Tod
gegangen und ist nicht verschluckt worden. Er hat den Tod durchdrungen, hat
das Wesen des Dunklen und des Nichts gelichtet. Er kam durch. Er hat dem
Tod den Stachel der Endgültigkeit gezogen. Es ist das Licht am Ende
des Tunnels, wir gehen in ein Haus von Licht, wenn wir von hier gehen.
Finsternis deckt das Erdreich und Dunkel die
Völker. Es ist viel Verzweiflung in der Welt. Aber das Licht Gottes
scheint in die Finsternis, das Finstere mündet im Leuchten. Es wird
nicht dunkel bleiben über denen, die in Angst sind. Ja, hier wird unser
Blick oft "starrer, eigensinniger, ganz zugehängt von Bedenken" (Uwe
Johnson) Soviel Angst um jemand anderen treibt uns um, dann auch Angst um
uns. Robert Musil sagt von seinen Mitmenschen: "Die Leute gingen mit großen
Hunden an der Leine spazieren. Jeder schüchtert den anderen lieber ein,
als dass er sich mit ihm verständigen würde" - sind wir so? Oft,
- aber heute, jetzt, beim Blick in die Kerzen geht uns ein Licht auf in der
Seele. Wir werden ruhig.
In Jesu Siegeskranz sind die Schmerzen der
Menschheit mit eingeflochten, der Adventskranz hat auch die Dornenkrone in
sich. Dies mitdenken, - jetzt, da uns die Sorgen durch den Kopf ziehen, Wir
gehen noch den steinigen Weg mit Dunkel und Vergeblichem. Wir sind auch
müde, sind viel krummes Holz. Wir wären gern eine schöne runde
Sache, in das alles Kratzige eingeflochten wird zu einem runden Ganzen. Gott
ist mit uns beschäftigt, will die Mühen zurechtkriegen und bügelt
unsere Schnipsel aus und flicht sie zu seinem Siegeskranz. Ein schönes
Bild.
Kerzen gehören auf einen Leuchter, - besonders
schön auf dem Altar. Betritt man diese Kirche, sind Kerzen an. Eigenartig,
wenn man ganz allein in diese Kirche kommt, auch in andere anderswo, und
es brennen Kerzen auf dem Altar - wir wissen dann, Gott ist da. Die Anwesenheit
von Ewigem passiert. Der Kranz mit vier Kerzen - was erst nur für die
vier Wochen vor Weihnachten steht und unsere gesteigerte Erwartung zeigt,
ist ein Bild der gesteigerten Vollkommenheit: Der Kreis und das Quadrat.
Das Runde und das Eckige in höchster Ordnung. Eine Ruhe geht von diesem
Bild aus. Ruhe möge in unser Inneres einkehren.
Wir haben viel beschickt, haben besorgt und
beschafft und vorbereitet. Und jetzt die Hände im Schoß. Einfach
den Atem kommen und gehen lassen. Die Kerzen anschauen, wie sie leuchten.
Und dir geht dein eigenes Leuchten auf, innen, ganz tief innen, ist auch
ein Leuchten, ein Kind in dir, du die Krippe für ein wunderschönes
Kind, es leuchtet. Du gerne Du, doch, von weitem sieh dieses große
Licht.
Noch mal die Kerze. Du vor der Kerze. Das Licht
geht in dich ein, geht in dir auf. Es wird in dir hell, die Gedanken lichten
sich: Milde überkommt dich, eine Weichheit. Der Raum, den das Kerzenlicht
berührt, der Raum hat viele Grade Helle. Auch das Dunkel in dir bekommt
helle Zonen. Das Kerzenlicht ist doch eine Sonne, eine geheimnisvolle
Kraftquelle, gebändigtes Feuer, Wärme und Liebe wehen dich an,
du verstehst dich selbst als Kerze. In dir brennt Gottes Energie. Das ist
ganz schlicht erst mal wahr, deine Lebenskraft, die dein Herz schlagen macht,
dich lieben und arbeiten macht, diese Energie findest du vor. Der Docht ist
deine Lebenslust, dein Lebenstrieb. Anzünden tut dich heiliger Geist,
Freude, Gottes Ruf: Mensch, wo bist du, wer bist du. Zeig dich. Stell was
auf. Laß dein Licht leuchten. Und manchmal kommt eine große Schere,
und kürzt deinen Docht, der eben zuviel Energie verfeuert und statt
zu erleuchten die Gegend verrußt. Dann muß dein Ich wieder klein
anfangen und sich an anderen Lichtern entzünden. Aber die Kerze lehrt,
man muß auch Platz haben neben sich, sonst ertrinkt man in einem Meer
von Wir und alles brennt auf. Die eine Kerze, deine Ich-Person. Zur Taufe
wird uns eine Kerze geschenkt, als inneres Bild für eine leuchtende
Seele. An manchen Gräbern werden Kerzen entzündet als inneres Bild
für den Seelenfunken.
Man hat erst Jahrhunderte nach Jesu Leben gefragt,
wann er denn wohl geboren sei. Und Christen in Rom hatten die Eingebung:
Er muß am Tag der unbesiegbaren Sonne geboren sein, wenn die längste
Nacht vorbei ist und die unvergängliche Sonne wiederkommt. Ja, die Sonne
ist Jesu Lebenslicht. Die Erschaffung des Lichtes war ja auch Gottes
grundlegendes Werk, die Erschaffung dieses Jesus war das Siegel aufs Menschsein:
Im Kampf zwischen Licht und Finsternis wird der Mensch Gott ähnlich,
es soll nicht dunkel bleiben über uns. Wir sind "Kinder des Lichtes"
(Epheser 5,9). Gott lässt uns nicht dem Dunkel, wir werden
aufgerichtet.
Nimm den Schein der Kerze als Lichtkuß
Gottes. Probier es aus: Schaust du in die Flamme, weichen die Schatten hinter
dich. Ein besonderes Lehrstück ist die Kerze, wenn man ihr An- und Ausgehen
bedenkt. Wir sterben ja auch ein wenig, wenn wir nachts einschlafen und werden
morgens wach, erweckt, auferweckt. Und noch inniger müssen wir sterben
mitten im Leben, müssen uns häuten und verwandeln lassen, neu anstecken
lassen von Begeisterung, müssen Liebgewordenes vielleicht freigeben.
"Und solang du das nicht hast, dieses: 'Stirb und werde!' bist du nur ein
trüber Gast auf der dunklen Erde." (Goethe)
Auch dieses Weihnachten wird uns verwandeln.
Vielleicht ist es dein erstes ohne Eltern oder ohne Kinder oder du wirst
nach Afghanistan geschickt. Was ist uns denn sicher hier? Wie ein Windstoß
die Kerze ausblasen kann, so kann dein Bewusstsein von dir wegwehen.- Welch
ein schönes Glück, noch einmal, wieder noch einmal Weihnachten
in St Severin feiern. Schon jetzt der Blick in die Kerzen. Einige
Krippendarstellungen der Kunstgeschichte zeigen Josef, der abseits steht
und eine brennende Kerze mit seiner Hand beschirmt. Es spielt an auf den
wunderbaren Glauben des Zimmermannes. Er weiß nicht, wie ihm geschieht,
er sieht sich hineingerissen in ein wunderbares Ereignis: Da liegt ein
Neugeborenes im Strahlenkranz, es hat eine ungeheure Leuchtkraft. Dieser
Mensch wird die Menschheit aus der Finsternis von Tod und Schuld erlösen.
Und Josef mit seiner kleinen starken Menschlichkeit wird das Kind und seine
Mutter behüten und durchbringen, bis es selber kann. Genau wie Gottes
großes Leuchten Menschen braucht, die es merken, so brauchte Jesus
den Josef als väterlichen Freund. Das Kerzenlichtlein hinter Josefs
Hand ist auch Bild für unseren Lebensmut, dass wir uns brauchen lassen
vom schönen schweren Leben. Und unser Licht leuchten lassen, manchmal
sogar zu Lichterketten. Amen.
(Siehe auch: Katrin Seidel: Die Kerze;
Motivgeschichte und Ikonologie; Olms-Verlag )