Predigt 28. November 2004
Keitumer Predigten Traugott Giesen 28.11.2004
1. Advent: Der Tag der offenen Tür zum Himmel
Christus spricht:Ich bin die Tür, wenn jemand durch mich hineingeht,
wird er selig werden. Und wird ein- und ausgehen und Weide finden (Johannes
10,9).
Jetzt, zum 1. Advent, putzen sich die Läden heraus und auch zu Hause
stehen ein Zweiglein und ein Kerzlein mehr. Von weitem winkt Weihnachten,
Besinnung auf Christliches steht an. Kirchenherren klagen: Gott ist
sehr an den Rand gedrängt. Aber stimmt denn das ? Ja, die Priester
bis auf den blühenden Bruder Papst - sind nicht mehr prunkvoll
geehrt; auch auf den Dörfern redet nach dem Bürgermeister erst
der Feuerwehrgeneral, der Pastor muß sich schon selber melden, und
er kann froh sein, wenn ihm gewunken wird: "Komm, rück' herauf."
Daß die Geistlichen nicht mehr die erste Geige spielen in der
Öffentlichkeit, passt gut zur Demokratie. Daß eine Kirchengemeinde
ein Stadtprojekt wie die Verlängerung der Startbahn für Airbus
lahm legen könnte, scheint heute zu Recht mittelalterlich. Und Kirchenmacht
bröckelte doch immer schon. Einst brachte die Satirezeitschrift
Simplizissimus eine entlarvende Karikatur: sie zeigte Kaiser Wilhelm II mit
seinen Söhnen zum Dom schreiten, die Unterschrift lautete: Die
Allerhöchsten ziehen zur Kirche, um den Höchsten zu ehren.
Inzwischen ist das Establishment mit Kirchenbesuchen zurückhaltend,
bis auf höchste Trauertage.
Sicher geht der Einfluß der Geschichte zurück, darum auch der
Einfluß christlicher Prägung. Klar, daß immer weniger Menschen
biblisches Lutherdeutsch "Stellt euer Licht nicht unter den Scheffel" -
verstehen. Die Gegenwart ist übermächtig, der Duden
veröffentlicht jede Ausgabe Tausende neuer Wörter, alle 12 (?)
Jahre verdoppelt sich das Wissen. Spiele für Jugendliche werden
vierteljährlich neu auf den Markt geworfen, Damenmode hat eine Verfallszeit
von einem halben Jahr, bald braucht man ganz neue Fernseher. Wir sind mit
Neuem beschäftigt, müssen immer Neues lernen - siehe Handys und
Fahrkartenautomaten und können kaum noch die alten Gebete
Der Herr ist mein Hirte, aber auch Schillers Glocke ist
verrauscht.
Ja, christliche Tradition wird dünner und Kirche schrumpft. Dabei ist
zweierlei klar: erstens: Unser Basisgefühl, unser Basis-Menschsein-Wissen
ist stationär. Wir sehnen uns wie eh und je. Und zweitens: Gott ist
doch da. Er - das Herz aller Dinge, das Gehirn der Welt, der Kosmos sein
Leib, wir seine Glieder. Er das Wort, das sich in alle Wörter verzweigt.
Wie sollte Gott an den Rand gedrängt werden? Wie kann man denn die Erdachse
an den Rand drängen, oder die Liebe? Es gibt viele Ikonen für die
Liebe, die eigene Mutter oder Marilyn Monroe oder Maria. Aber sicher ist
Jesus das tiefste Bild der Menschheit, sieben mal siebzig mal lockt er uns
zu vergeben. Er bringt die Fundamentalisten dazu, die für die Ehebrecherin
vorgesehenen Steine fallen zu lassen. Er garantiert, daß Gott Liebe
ist, er lässt sich kreuzigen, um das zu besiegeln. So dramatisch
wichtig ist sein Erscheinen! Und daß uns aufgeht Erleuchtung über
Gott. Noch sehen viele ihn grausam und herrisch uns unterwürfig behandelnd.
Noch flackern Propheten in seinem Namen nicht sanftmütig, sondern
waffenstarrend. Doch unter Jesus Namen Gott anrufen heißt, seine
Größe und seine Güte zusammen zu sehen. Das hat Kirche lange
und mühsam lernen müssen, sie darf nicht mehr zwingen, lieber soll
sie verachtet sein wollen als gefürchtet. In meines Vaters Haus
sind viele Wohnungen sagt Jesus einmal, also lasst uns andere Religionen
geschwisterlich schätzen. Wenn sie in ihren Herkunftsländern noch
wenig tolerant sind, sollte uns das nicht hindern, gastfrei und hilfsbereit
zu sein. Die Sanftmütigen preist Jesus selig, die Vertrauen wagen, bahnen
Frieden an. Zum Glauben an Gott gibt es keine realistische Alternative. Man
kann nicht an die Mathematik glauben, die kann man nur nutzen.
In meines Vaters Haus sind viele Wohnungen - das gibt auch den
Bauplan von Kirche vor: Es gibt viele Weisen, Christ zu sein, in vielen Rhythmen
kommt Gott zu Ehren, viele Lebensgestalten sind förderlich, Gott liebt
die Vielfalt, darum die vielen Arten von Blüten und Bäumen, aus
Freude an der Vielfalt sind die Milliarden Menschengesichter verschieden
und ihre Seelen auch. Wir sind heute hier zum Gottesdienst versammelt - nach
dem Muster der Nordelbisch-Evangelisch Lutherischen Kirche, aber unter dem
Muster ist der Stoff der Alten Kirche zu sehen, die 12 heiligen Sätze
der Christenheit benennen die Basis christlichen Glaubens, und man findet
Vertrautes, auch wenn man aus Berlin oder Bayern hier ist, und ich hoffe,
auch Buddhisten oder Freisinnige finden hier Heimatklänge.
Kirche ist doch mehr der Ort für Anbetung als für Lehrsätze,
mehr für Menschenbefreundung als für Recht haben und Schuld zuweisen.
Und die wir zur Kirche halten betrachten sie als wesentliches Element unserer
Heimat: die kirchlichen Feiertage sind Festzeiten im Kalender, die wir mit
wahrnehmen, sie also mitgestalten und füllen. Die Moderne verdünnt
nun das Christliche, wechselt das große Gefühl in die kleinen
Münzen. Das Krippenspiel ergreift Kinder noch, vor allem, wenn sie selber
Hirte oder Engel sind, die 1.000 Engeldekorationen aber transportieren kaum
noch einen Hauch frohe Botschaft, das Weihnachtsoratorium kann uns anbetend
rühren, Weihnachtslieder, den Werbesprüchen unterlegt,
verschleißen unser Schönstes zum Klangteppich, der das
Geschäftliche leicht narkotisiert.
Aber keine Klage über Weihnachtseinkäufe! Ich mache auch welche,
will auch beschenkt werden. Ich sehe mich noch ein Schlüsselbrettchen
laubsägen und bemalen, will nicht, daß meine Enkel das wieder
mir zur Liebe machen. Ich bastele ihnen auch keinen Schlitten mehr und keine
Puppenstube. Aber backen oder malen sollen sie mir was. Mal Dank an viele
Menschen, die uns helfen, für unsere Lieben was Schönes,
Nützliches, Überraschendes, Leckeres, Bildendes, Schmückendes
zu finden. Nichts zu schenken ist erst mal geistige Armut, dann kann es auch
gute Gründe haben.
Nochmal zurück zu kirchlichen Feiertagen als Stoff für das
Lebensgefühl. Wir brauchen Feste, die uns festhalten, uns beieinander
halten, uns Gefühle flüstern, uns in gemeinsames Wissen eintauchen.
Wir leben nicht nur von privaten Erlebnissen. Ja, unsere Seele ist sehr
individuell, jeder ist einzigartig wunderbar von Gott ins Sein gerufen. Aber
wir sind Glieder eines Leibes, sind im Unterbewusstsein geprägt durch
Hunger und Durst und Lebenwollen und Bilder der Bedrohung und Bilder des
Heils.
Zu den gemeinsamen Bildern der Bedrohung und des Heils gehört die Angst,
nicht dazuzugehören, ausgeschlossen zu sein vom Fest, in die Finsternis
verbannt sein. Vor einer schweren Tür stehen, klopfen und schreien und
einfach nicht gehört werden, abgewiesen werden - da wird Heulen
und Zähneklappen sein(Matthäus 8,12) heißt das in der
Bibel, die ja auch schauerliche Bilder bewahrt, z. B. Matthäus 25: Da
sind Welche, die den Hochzeitszug des Weltenretters begleiten. Dann geht
einem Teil der Jubler das Öl der Lampen aus, sie müssen nach Hause,
sich neues Licht holen, da ist der Festzug schon vorbei, am Ballsaal steht:
Geschlossene Gesellschaft und noch brutaler: Das Jüngste
Gericht,ergehe so, daß wir wie Schafe von den Böcken geschieden
werden, die einen ins Paradies, die andern in die Verdammnis. Das schärfste
Bild des Ausgeschlossenseins ist das Schlachtengemälde der Endzeit,
am Orte Harmageddon (Offenbarung 16, 16), wonach nur wenig Auserwählte
mit Gott ewig leben dürfen. Ach, so eine Schreckens-Pest, die noch Seelen
quält, als wäre Christus nie geboren.
Dagegen 1. Advent. Der Tag der offenen Tür zum Himmel, zu Hoffnung und
Frieden. Jesus sagt: Ich bin die Tür, wenn jemand durch mich
hineingeht, wird er selig werden. Und wird ein und ausgehen und Weide
finden (Johannes 10,9). Stell dir vor, dein liebster Mensch wäre
die Tür, wäre der Einlass zum Glück - dann weißt du,
daß du nicht draußen vor der Tür bleibst. Jesus Christus
nun ist jedem Menschen der Liebste, auch wenn er es nicht weiß. Jesus
Christus ist das Prinzip Liebe, zwischen Gott und dir ist nur Liebe, du kannst
verdüstert sein, verhärmt, verhärtet, du kannst liebeabweisend
sein, kannst Böses tun - du selbst wirst Gott nicht dir böse machen.
Du kannst zwar Gott als böse ansehen, als leer und schwarz, aber das
macht dein Ansehen bei ihm nicht schwarz. Er wird dich zuletzt aus dem Staub
erheben, er wird dich abwaschen und schön machen, seine Kleider wirst
du tragen, Kleider von Licht (Christi Blut und Gerechtigkeit, das ist
mein Schmuck- und Ehrenkleid) Mit Christi Tod am Kreuz hat Gott bildlich
gesprochen alles Böses der Welt auf sich geladen; mein Böses ist
furchtbar, aber es ist nicht, was mich bestimmt. Ewig bestimmt mich nur Gottes
Liebe. Das ist in Jesus offenbar. Und darum ist seine Geburt so wichtig.
Wär er nicht, wäre Gott uns immer noch der Gewaltgott, der mit
den stärkeren Bataillonen ist, der mit Furchtmachen die Welt in Schach
hält, wäre er wie Bin Laden ihn vollstreckt und Bush ihn rächen
will.
Aber Gott will nicht Unterwerfung, sondern Freude, er hat mit dem Christus
geschworen, nicht mit Angst vor Höllenstrafen uns Guttaten abzuzwingen.
Damit tut Gott Grandioses: der Satz: Der Zweck heiligt die Mittel
ist durchgestrichen und kassiert. Die Mittel enscheiden über das Gutsein
der Zwecke. Die guten Mittel, die fairen Methoden, die freundschaftliche
Machart entscheidet, ob was Gutes draus wird. Man kann das Lied der
Liebe nicht auf dem Instrument der Gewalt spielen (St. J. Lec). Gott
verzichtet als erster darauf - das beweist Jesus Christus. Das macht ihn
zur Tür zum wahren Gott und zum wahren Sinn des Lebens.
Der 1. Advent öffne uns eine Tür der Erkenntnis, warum Christus
der Stern der Erlösung ist: Welt ging verloren, Christ ist geboren,
singen wir später: die Gewaltwelt, die Mörderwelt, die Rachewelt
ging verloren - Christ ist geboren. Dir als Tür, gern du zu sein, dir
als Licht, das dich an Geist und Leib entzünde.