Kolumne 19. März 2005
Traugott Giesen Kolumne 19.03.2005 aus "Die Welt" Ausgabe
Hamburg
Was hält die haltbaren Ehen?
Vergleicht man die 220 000 Scheidungen mit den 380 000 in 2003 geschlossenen
Ehen, könnte man das Heulen kriegen über die Unfähigkeit der
Menschen zu Bindung und Treue. Doch die Zahl der Scheidungen muß man
redlicherweise in Beziehung setzen zu der Zahl der 19 Millionen bestehenden
Ehen. Dann erweist sich die Ehe als erfolgreichstes Sozialprojekt
überhaupt. Und es stimmt doch: Wir kommen aus Ehen oder Eheähnlichem,
leben oder lebten in Ehen, oder gehen auf Ehen oder Eheähnliches zu.
"Willst du ihn, willst du sie lieben und ehren, bis daß der Tod euch
scheidet?" Dieser weite Horizont ist das Wesentliche. Sie müssen vertrauen,
daß sie zusammengehören. Ob sie aber das Zusammengehören
immer leben können, ob die Zusammenhaltelust anhält, und sie sich
immer wieder einig werden, das wird sich zeigen.
Manche Ehe hat nur Kraft auf Zeit, manche Ehe mußte sein, um dieser
wunderbaren Kinder willen; manch einer braucht eine zweite, Einzelne auch
eine dritte Ehe - soll doch keiner meinen, Scheiden sei lustig. Unendlich
wird gelitten, gerade dann, wenn zwei die sich liebten, hassen lernen.
Aber haben haltbare Ehen besondere Rezepte? Ja, sie lieben sich noch immer.
Gibt es Regeln, daß die Liebe bleibt? Nein, denn die Liebe ist ein
Gottesgeschenk, man kann sie nicht machen, nicht festhalten, auch Eheringe
ketten nicht. Aber man kann die Liebe hegen, sie hüten, sie pflegen.
Einer muß dem andern helfen, gern er selbst zu sein. Also müssen
beide sich fördern. Kommen beide vorwärts im Personwerden, dann
werden sie sich immer wieder suchen. Natürlich sind die beiden
Engverbündeten auch Konkurrenten, also muß man reden, handeln,
klären, Kompromisse suchen. Ehe geht nur, wenn man auch einen Schuß
Unterwürfigkeit hat. Wenigstens einer muß, wenn's brenzlig wird,
ein Stück nachgeben; schon ein paar Augenblicke später ist der
eben noch Siegreiche bereit zu Ausgleich und Zugeständnis. Meist sind
es immer wieder dieselben Fehler, die wir machen und dieselben Wunden, die
wir treffen. Können wir uns nicht bessern, so können wir uns doch
helfen, den Schaden klein zu halten und die Wunden doch zu lindern. Schmerz
und Freude liegen hauptsächlich in der Wiederholung: Etwa endlich
Anerkennung zu bekommen, oder endlich wahrgenommen zu werden. Und die
Herrlichkeit, ich bin nicht allein, jemand steht für mich ein; und der
Genuß, gebraucht zu werden und zu beglücken. Vertrauen braucht
Zeit. Sich dem andern zu offenbaren, ohne Angst, zensiert, gemaßregelt,
gescholten zu werden - das ist die Kunst. Und zu wissen, daß die Liebe
Enttäuschungen verdauen kann. Und Schonung, immer wieder: Frag nur,
was du mußt. Liebe ist, nicht alles vom andern zu erwarten. "Liebe
deckt zu" heißt das in der Bibel. Das alles kann die Liebe fördern.
Erfahrene Ehen haben viel gemeinsam vor. Wenn die Gnade von Kindern - und
dann Enkeln gewährt ist, ist der Sog, Zukunft zu begleiten, sehr konkret.
Das Beste der Ehe aber ist das zärtliche Altern, wo einer dem andern
die Last mitträgt.