Traugott Giesen Kolumne vom 21.06.1997 aus Hamburger
Morgenpost
Wenn Kirchen brennen - Vorsicht!
Es ist ein großer Jammer, Kirchen anzuzünden. Es hat eine
Signalwirkung sondergleichen. Es beschafft Aufsehen, man kann sich brüsten,
ein Tabu mit Füßen getreten zu haben. Es beschafft Kitzel und
das starke Gefühl: denen - wem auch immer - haben wir es gezeigt.
Gott sei's gedankt, keine Menschen, lieber Kirchen als Menschen. Menschen
sind die direkten Ebenbilder Gottes - darum brennt Gott auch mit, wenn ein
Mensch angezündet wird. Aber auch das Verbrennen von Kirchen ist
höchste Alarmstufe: Es verneint den Lebensgrund Liebe, tritt was vielen
heilig ist mit Füßen. Doch es muß nicht blanker Haß
sein wie bei den Nazis, es ist schon gar nicht Habgier, wie sie bei den
Brandschatzungen der Synagogen im Mittelalter gang und gäbe war.
Vielleicht ist es Revanche - Fouls von Beschädigten. Verrohte treten
zurück; Ungeliebte, ungebraucht sich Wissenden, Versager, die nur Absagen
kassieren, sie kämpfen nicht weiter, um sich in Position zu bringen.
Sondern sie markieren mit einem Gewaltakt ihren Punkt ohne Umkehr. Und wissen
nicht, was sie tun. Sie meinen ja, mit dem Anzünden des Kirchenhauses
sich vom letzten Rest Gottvertrauen und Zukunftsfühlen zu trennen. Sie
wollen schwachsinnig - männlich - beweisen, daß sie dem Glauben
an Gott nicht aufsitzen. Kirchen anzünden ist in ihrem Schema, was mal
andere aus andern Gründen Kaufhäuser anzünden ließ.
Sie halten Kirchen für Filialen eines fremdenfreundlichen Gottes; gegen
den haben sie etwas und gegen sein Personal auch. Oder sie sind fasziniert
von Teufelskulten und meinen für ihren Beelzebub ein Faß aufzumachen,
wenn sie Kirchen klatschen.
Kirche steht noch immer stellvertretend für Gott (allein das ist schon
Grund genug, Kirchensteuer zu zahlen, einfach um den öffentlichen Raum
für Gott freizuhalten). Auch die Kirchen anstecken, halten den Herrgott
letztlich für verantwortlich für ihre Misere. Und haben allerletztlich
sogar auch recht damit - Gott trägt ja die Sünde der Welt.
Wenn es nicht nur ein blöder Streich von Rotzkerlen ist, -.wie etwa
die Schule anstecken, - dann kann es sein, sie wollen Gott eins auswischen
- als Mutprobe untereinander und als Herausforderung, daß Gott sich
ihnen zeige. Wer weiß, was in den Köpfen ist? Jedenfalls dröhnt
manche Verlautbarung des ersten Erschreckens sehr und produziert erst das
Untergangsszenario, das die Täter gern verursachten.
Kirche steht auch stellvertretend für eine Gesellschaft, die sich hilflos
abfindet mit Chancenlosigkeit der anderen. Indem sie eine der Stützen
dieser Gesellschaft, die Kirche, beschädigen, meinen sie, auch ihre
Verächter zu zerstören. Sie - das sind unsere Kinder, unsere
Nächsten, unsere Verzweifelten. Die würden auch gern was
Schöneres tun. Lehren wir sie, befreunden wir uns.